Freibad Staaken: Reunion im Planschbecken

Im sommerlichen Westen Berlins tauchen beim Schwimmen Erinnerungen an eine andere Zeit auf

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.

Endhaltestelle. Zwei Mädchen und fünf jugendliche Fußballer steigen aus dem Bus, ein Schlängelpfad führt in einen Wald, der sich schnell in Gewerbegebiet, Fußballplatz und Zauneidechsenschutzgebiet verwandelt. Hinter dem Zaun wird an diesem Sonntagmittag gekickt, Rufe erschallen, die Jungs mit Trikots des 1. FC Lübars schauen neugierig. Ihr Bezirksfreundschaftsspiel gegen die A-Junioren der Spandauer Kickers steht an. Ich folge den Mädchen, zeige dem Mann hinter der Glasscheibe meine Papiere und darf passieren, betrete eine Wiesen- und Baumlandschaft mit Bademeistern, auf Tüchern lagernden Familien und herumflitzenden Kindern.

An diesem Sonntag im August, dem Jahrestag des Mauerbaus, habe ich meinen Freund zum Hauptbahnhof begleitet. Er reist zu einem Fußballspiel nach Leipzig, ich habe die S-Bahn nach Spandau genommen, bin am Rathaus mit den Fußballern in den richtigen M32 gestiegen (nicht jeder fährt zum Döberitzer Weg) und durch Spandau in Richtung Westen gefahren. Dass hier irgendwo die Grenze lag, ist schwer zu erkennen. Wir fahren lange an Plattenbauten vorbei, irgendwann wird es dörflich, eine Kirche lädt zu Kaffee und Kuchen, der Bus spuckt seine Rentner aus. Während der zwanzigminütigen Fahrt wird mir bei meiner Proviantsuche klar, dass ich meinen Badeanzug vergessen habe. Das passiert mir zum ersten Mal, und ich habe schon oft etwas vergessen: Schwimmbrille, Handtuch, Schrank-Euro, Badelatschen, Plastiktüte oder Haarbürste.

Nach der Ausweiskontrolle fällt es mir wieder ein. Inmitten hoher Bäume liegt das Sommerbad Staaken, das einzige dieses Jahr geöffnete Freibad Spandaus. Rechterhand des Einlasses liegen die Umkleiden und ein Imbissbüdchen, ich steuere die Duschen an, ziehe mich bis auf die Unterwäsche aus, schleiche mich nach dem Duschen durch die Schleuse und schäle mich aus dem Handtuch, rein ins 25-Meter-Becken. Niemand beachtet mich, langsam entspanne ich und genieße es. Eine Bahn ist geleint, die gehört eine halbe Stunde mir allein, das Wasser ist kühl und weich, die Rufe der Gruppe Knirpse, die am kurzen Ende reinspringen, mischen sich mit der Schiedsrichterpfeife des Fußballspiels nebenan.

Ich schwimme meine 1000 Meter, genieße den Wechsel von Sonne und Wolken, lasse mich treiben. Das Bad füllt sich, viele Sprachen ertönen. Über den Büschen am Rand des Nichtschwimmerbereichs tauchen Männerarme auf, werfen Kinder hoch. An der Plansche wird ein Wespenstich verarztet, eine Wippe quietscht, der Sonnenschirm der Bademeister dreht sich im Wind. Als ich mich zum Trocknen im Gras aale, lese ich, dass dieser Stadtteil Spandaus nebst Flugplatz Staaken nach dem Zweiten Weltkrieg von den Briten mit den Sowjets für den Flugplatz Gatow getauscht wurde. West-Staaken lag nun in Ost-Berlin, hier stand die Kirche, kam 1965 Katharina Witt zur Welt und siedelte sich Industrie an, während die östlichen Verwandten zu West-Berlin gehörten, bis Spandau 1990 wiedervereinigt wurde.

Betriebe West-Staakens wie das VEB-Plasteverarbeitungswerk bauten sieben Jahre lang ein Schwimmbad mit Becken aus Polyesterharz, das im Sommer 1980 eröffnet wurde. Anfang der 90er Jahre erhielt es ein Edelstahlbecken, die Funktionsgebäude strahlen noch den alten Charme aus.

Zurück nehme ich den Regio vom Bahnhof Staaken, laufe an der Zeppelin-Grundschule, einem Park, dem »Grenz-Eck« und einer Dauerkleingartenkolonie vorbei eine Brücke hoch, unter der die Gleise pfeilgerade von und nach Berlin führen. Mein Zug nach Gesundbrunnen fährt ein, irgendwo ertönt eine Trillerpfeife.

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