Total beschissene Schultoiletten in Berlin

Eine neue Studie listet altbekannte Mängel auf – was unternimmt das Land Berlin?

Wenn sich dadurch etwas ändert – und das ist ja das Ziel der Studie über den himmelschreienden Zustand der Berliner Schultoiletten –, dann wäre Aimo Görne froh und dankbar. Aber eigentlich bräuchte man keine Studie, um herauszubekommen, wie es um die Toiletten in der Hauptstadt bestellt sei, meint der Vorsitzende des Landesschülerausschusses. Die Mängel seien eigentlich offensichtlich und müssten nicht noch extra bescheinigt werden, bevor man sie endlich behebe. Laut Görne gibt es drei beherrschende Themen: das Schulessen, das zuweilen miserabel schmeckt, die durch Mitschüler erlebte Gewalt – und die Schultoiletten.

Die Deutsche Toilettenorganisation, die sich modern und englisch German Toilet Organization nennt, und das Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit der Universität Bonn haben in sechs Gymnasien, zwei Gemeinschaftsschulen und neun Integrierten Sekundarschulen in der Bundeshauptstadt genau hingesehen. Sie haben sich bei den Schulleitungen erkundigt und die von 444 Mädchen und 446 Jungen ausgefüllten Fragebögen ausgewertet. Hinzu kamen noch 59 Fragebögen von Schülern, die sich entweder als divers bezeichneten oder keine Angaben zu ihrem Geschlecht machten. Die Daten wurden zwischen Februar und Juni vergangenen Jahres erhoben, die Ergebnisse am Freitag vorgestellt.

Demnach vermeiden 85 Prozent der Befragten, für das große Geschäft auf die Schultoilette zu gehen. Lieber verkneifen sich die Schüler den Toilettengang, bis sie wieder zuhause sind. 46 Prozent wollen nicht einmal zum Pinkeln auf das Schulklo gehen. Mehr als ein Viertel der Schülerinnen und Schüler trinkt und isst in den Pausen weniger, um nicht in die Notlage zu kommen, doch dringend zu müssen.

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Die Gründe dafür sind so einfach wie vielfältig: Es stinkt. Es ist schmutzig. Es fehlen Seife, Klopapier oder Handtücher – oder alles zusammen. Die Kabine lässt sich nicht abschließen oder die Tür ist so knapp bemessen, dass Mitschüler von oben oder unten hineinsehen können und es deswegen an Privatsphäre fehlt. Berichtet wird nicht nur von kotverschmierten Toilettenschüsseln, sondern sogar von Kot auf dem Boden und an den Wänden.

Schülervertreter Aimo Görne überrascht das alles nicht. Er selbst sei seit der Oberstufe lieber beim Bäcker auf der anderen Straßenseite aufs Klo gegangen, weil die Schultoiletten unzumutbar gewesen seien. »Es ist ein extrem persönliches Bedürfnis«, sagt Görne. Wer sich das schon in der zweiten Unterrichtsstunde verkneifen müsse, wie groß erst sei der Druck in der sechsten Stunde? Den Vorwurf, die Schüler seien selbst schuld, wenn sie die Toiletten verschmutzten und beschädigten, lässt Görne nicht gelten. »Einige wenige machen etwas kaputt und alle müssen leiden«, beschreibt er die missliche Lage.

Überrascht ist Bildungsstaatssekretär Torsten Kühne (CDU) – allerdings nicht darüber, dass die Befragten den Schultoiletten ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Ihn verblüfft vielmehr, dass es noch für die Gesamtnote 4 minus reichte, was ja »knapp ausreichend« bedeute. Kühne hätte Schlimmeres erwartet. Über die Ursachen der Misere macht sich der Staatssekretär keine Illusionen. »Die Schulen werden übernutzt«, stellt er fest. Die Gebäude seien für 20 000 Schüler weniger ausgelegt, als man gegenwärtig habe. »An einigen Punkten, mehreren Punkten, sind wir dran«, versichert der Politiker. Dazu gehöre die Sanierung der Schulen samt Toiletten. »Geld ist nicht unser Hauptproblem. Es ist vielmehr ein Problem des Personals«, erläutert er. Die Missstände seien längst bekannt. Eine Milliarde Euro pro Jahr stünden für die Behebung zur Verfügung. Doch nur etwa 80 Prozent der Mittel seien zuletzt abgerufen worden. Es fehle an Beschäftigten, die Aufträge Stück für Stück abarbeiteten. Warum Schultoiletten in aller Regel mit Kabinen ausgestattet seien, in die von außen eingesehen werden könne? Da fällt Torsten Kühne keine DIN-Bestimmung ein, die dagegen spräche. Er vermutet, dass die sparsamere Ausführung aus Kostengründen erfolgt.

Die Studie ergab, oh Wunder, dass Toiletten, die zweimal und nicht nur einmal täglich geputzt werden, sauberer sind. Nicht sofort nachvollziehbar ist vielleicht das Ergebnis, dass bei häufigerer Reinigung auch die Vandalismusschäden spürbar abnehmen. Dafür gibt es allerdings einleuchtende Erklärungen. Wenn es auf der Toilette sauber ist und angenehm riecht, wird sie nicht gemieden, sondern benutzt. Wer dann mutwillig die Wände beschmieren oder die Klinken abtreten will, muss eher damit rechnen, dabei überrascht und erwischt zu werden. Das vermutet Schülervertreter Görne. Die Studie bestätigt ihn: Wenn an einer Bildungsstätte klar angesagt wird, dass und wie die Schüler fehlendes Klopapier und Beschädigungen melden sollen, dann ist es um die Toiletten besser bestellt.

Svenja Ksoll von der Toilettenorganisation empfiehlt unter anderem das Putzen zweimal täglich und nicht nur einmal nachmittags oder abends, sondern auch einmal bei laufendem Unterricht. Dann würden die Schüler die Reinigungskräfte bei der Arbeit treffen und eher Hemmungen haben, die Toiletten zum Beispiel aus Jux und Dollerei absichtlich zu verstopfen. Von 17 unter die Lupe genommenen Berliner Schulen gab es 2022 in sechs bereits diesen Reinigungszyklus – mit spürbarem Erfolg. Ein guter Weg sei auch, die Schülerschaft bei der Gestaltung der Toiletten mitreden zu lassen, lautet eine weitere Empfehlung.

Das kann Landeselternsprecher Norman Heise nur unterstützen. Er verweist auf ein Projekt im hessischen Landkreis Marburg-Biedenkopf, wo die Schüler 2014 bei der Ausgestaltung mitwirkten. Der Vandalismus habe abgenommen, teilweise sei er verschwunden. Und selbst spätere Generationen, die gar nicht an dem Projekt beteiligt gewesen seien, hätten die Toiletten pfleglicher behandelt.

»Verheerend« nennt die Berliner Linke-Abgeordnete Franziska Brychcy die Ergebnisse der Studie. »Wenn Schüler*innen weniger trinken und essen, um die Benutzung der Toilette zu vermeiden, wird der Handlungsdruck deutlich«, sagt sie. Die Reinigung auch am Tage sei ein guter erster Schritt. »Sie darf nicht Haushaltskürzungen zum Opfer fallen und der Senat muss den Bezirken ausreichend Mittel dafür zur Verfügung stellen.« Für Brychcy gehören saubere Schulen und gute Arbeitsbedingungen für die Reinigungskräfte zusammen. »Das heißt, dass die Beschlüsse zur Kommunalisierung der Schulreinigung endlich umgesetzt werden und die Reinigungskräfte mehr Zeit zur Verfügung haben müssen.«

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