Martina Renner: »Es braucht eine Demokratisierung«

Nach Todesschüssen in Dortmund: Linke-Abgeordnete Martina Renner kritisiert Selbstverständnis der Polizei

  • Interview: David Bieber
  • Lesedauer: 3 Min.
Demonstrantion zum Jahrestag des Todes des 16jährigen Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund.
Demonstrantion zum Jahrestag des Todes des 16jährigen Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund.

Vor über einem Jahr hat die Polizei in Dortmund den 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé mit einer Maschinenpistole erschossen, als sich dieser in einer psychischen Ausnahmesituation befand. Einige Polizisten stehen deshalb bald vor Gericht. Kritikwürdig ist aber auch der Versuch der Polizei, zu dem Tod des jungen Geflüchteten mit falschen Behauptungen die Informationshoheit zu behalten. Wie haben Sie damals darauf reagiert?

Ich bin aufgrund von Tweets und Postings von Menschen aus Nordrhein-Westfalen auf den Fall aufmerksam geworden. Die Polizei Dortmund hatte dann auf ihrem Twitterkanal darum gebeten, nicht zum Tathergang zu spekulieren. Ich habe diesen Tweet kommentiert mit dem sinngemäßen Hinweis, dass es eher keine Spekulation sein dürfte, von der Polizei zu erwarten, einen Menschen in einer Ausnahmesituation bei zahlenmäßiger Überlegenheit anders als mit einer Salve aus einer Maschinenpistole zu stoppen.

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung zu dem Fall?

Nach meiner Erinnerung war auffällig, dass die falsche These vom Messerangreifer zunächst noch dafür herhalten sollte, die tödlichen Schüsse zu rechtfertigen. Schnell wurde auf die üblichen Entschuldigungen wie »Unschuldsvermutung«, »Ermittlungen abwarten« oder »Kein Generalverdacht gegen die Polizei« zurückgegriffen.

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Dass die Dortmunder Polizei hier vollends versagte, ist offenkundig. Aber wie kann man sicherstellen, dass solches Fehlverhalten sich nicht wiederholt?

Die beteiligten Polizisten haben nicht bloß versagt, sondern auch nach Bewertung der Staatsanwaltschaft Mouhamed vorsätzlich verletzt und getötet. Tatsächlich fehlt es innerhalb der Polizei an Problembewusstsein und Handlungskonzepten, auch wenn die zuständigen Innenministerien das Gegenteil behaupten. Mehr als die Hälfte der seit 2010 von der Polizei im gesamten Bundesgebiet erschossenen Menschen befanden sich in einer psychischen Ausnahmesituation! Ich befürchte, dass es auch künftig weitere Fälle geben wird. Die Polizei NRW etwa möchte bereits seit 2017 »gewaltfähiger« werden, weil die Respektlosigkeit gegenüber ihren Beamten mitunter zugenommen habe und in jeder Einsatzlage und mit allen Mitteln das staatliche Gewaltmonopol verteidigt werden müsse. Ich glaube, die Todesschüsse aus der Maschinenpistole verdeutlichen, dass diese Haltung in der Realität Menschenleben gefährdet. Es muss daher ein grundsätzliches Umdenken im Selbstverständnis der Polizei und in der Ausbildung geben.

Wie können Polizei und Innenpolitik aus linker Perspektive aussehen?

Wir müssen eine Gesellschaft einrichten, die die Schwächsten schützt sowie für eine funktionierende Zivilordnung und rechtsstaatliche Verfahren sorgt. Dafür braucht es eine Demokratisierung der Sicherheitsbehörden! Neben einer Ausbildung anhand eines demokratischen und modernen Menschen- und Gesellschaftsbildes sind Transparenz und Überprüfbarkeit von innen und außen notwendig, also unabhängige Kontroll- und Beschwerdestellen mit eigenen Ermittlungsbefugnissen.

Was können Sie als Mitglied im Innenausschuss des Bundestages tun, damit mehr über Polizeigewalt und polizeiliches Fehlverhalten gesprochen wird?

Der Bundestag ist im föderalen System allein für die Sicherheitsbehörden des Bundes, beispielsweise die Bundespolizei zuständig. Zuletzt wurden Änderungen am Bundesdisziplinargesetz im Innenausschuss diskutiert und auch mit der Anhörung von Sachverständigen begleitet. Dabei ging es etwa um die Frage, wie nicht nur Straftaten, sondern auch die Verletzung der Verfassungstreue durch Beamte bei rassistischen Einstellungen und Hetze schneller und besser geahndet werden können. Dabei ist es die Aufgabe meiner Fraktionskolleg*innen und von mir, so weit wie möglich eine Sachverhaltsaufklärung zu erreichen und Fehler offenzulegen.

INTERVIEW
Martina Renner in der 41. Sitzung des Deutschen Bundestages im R...

Dortmunder Polizisten haben Mouhamed Lamine Dramé vorsätzlich getötet und verletzt, meint Martina Renner. Die Linke-Bundestags­abgeordnete ist unter anderem Obfrau ihrer Fraktion im Innen­ausschuss und Sprecherin für antifaschistische Politik.

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