Schmerzhaft wie ein Stromstoß

Für die Behandlung der Trigeminusneuralgie gibt es jetzt eine neue Leitlinie

Der Trigeminusnerv verzweigt sich in drei Äste, die im Gesicht und auf der Stirn für Sinneswahrnehmungen sorgen, aber auch Schmerzreize weiterleiten.
Der Trigeminusnerv verzweigt sich in drei Äste, die im Gesicht und auf der Stirn für Sinneswahrnehmungen sorgen, aber auch Schmerzreize weiterleiten.

Der Trigeminusnerv, auch Drillingsnerv genannt, gehört zu den Strukturen des menschlichen Körpers, von denen man erst erfährt, wenn sie plötzlich nicht mehr wie gewohnt funktionieren. Dieser Nerv tritt, für wenige Millimeter noch gebündelt, aus dem Gehirn heraus und teilt sich dann, etwa in Ohrhöhe, in drei Äste auf. Diese verlaufen über Stirn, Oberkiefer und Unterkiefer. Ihre feinen Verästelungen sorgen in diesen Bereichen des Gesichts für die Wahrnehmung von Sinneseindrücken und sind auch für die motorische Kaumuskulatur zuständig. Außerdem leiten sie Schmerzreize weiter. Treten im Gesicht plötzlich Schmerzen auf, ist die Chance groß, dass der Trigeminus beteiligt ist.

Gereizt werden kann dieser durch ein verändertes Blutgefäß, das auf den Nerv drückt, und zwar genau dort, wo er, noch gebündelt, aus dem Gehirn heraustritt. In diesem Fall wird von einer Trigeminusneuralgie gesprochen, die Patienten leiden dabei wiederholt an kurzen, blitzschnell einschießenden, stromstoßähnlichen und unerträglich stechenden Schmerzen im unteren Gesichtsbereich. Auf diesen speziellen Schmerz kann der Arzt seine Diagnose stützen. Die Attacken können auch durch einen anhaltenden Hintergrundschmerz begleitet werden.

Der andauernde Druck auf den Nerv führt zur Zerstörung der Myelinscheide, einer Schutzschicht, die die Faser umgibt. Dadurch werden in den frei liegenden Teilen elektrophysiologische Impulse erzeugt, die am Ende zu einer Übererregung der Nerven führen. Auslöser der schmerzhaft verstärkten Impulse im Nerv können Kaubewegungen sein, Sprechen, Telefonieren oder nur leichte Berührungen. Das Risiko für den schädlichen Kontakt zwischen Arterie und Nerv steigt dann, wenn die Gefäßwände verdickt sind, etwa bei einer Verkalkung der Arterien. Da diese Arteriosklerose im Alter zunehmend auftritt, ist dann auch eine höhere Zahl von Trigeminusneuralgie-Diagnosen naheliegend.

Der Mediziner muss jedoch auch erwägen, dass es andere Ursachen für Schmerzen im Gesicht geben kann, etwa durch Erkrankungen des Kiefers, der Zähne oder der Nebenhöhlen. Außerdem kann die Neuralgie auch durch Entzündungen im Zuge einer Multiplen Sklerose ausgelöst werden, durch Tumoren oder einen Schlaganfall in einer Hirnstammarterie.

Die Trigeminusneuralgie zählt im Gegensatz zur Migräne mit etwa zehn Millionen Betroffenen in Deutschland zu den weniger bekannten Kopfschmerzarten. Oft wird sie nur von spezialisierten Ärzten erkannt. Über die gesamte Lebenszeit tritt sie bei höchstens 0,7 Prozent der Bevölkerung einmal auf, das sind etwa 160 000 Patienten hierzulande. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Die Erkrankung beginnt im Mittel zwischen dem 53. und 57. Lebensjahr.

Anlässlich des Kopfschmerztages am Dienstag dieser Woche wies die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) auf eine neue Behandlungsleitlinie für das Leiden hin. Die Leitlinie wurde jetzt nach über einem Jahrzehnt auf den neuesten Stand gebracht. Gemeinsam mit Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sichteten die DMKG-Fachleute jüngere wissenschaftliche Arbeiten zum Thema. Fehlte in Einzelfragen wissenschaftliche Evidenz, wurde ein informeller Expertenkonsens zusammengefasst. Damit handelt es sich um eine S1-Leitlinie, an die in Bezug auf Methodik und Systematik die geringsten Ansprüche gestellt werden im Vergleich mit S2- und S3-Leitlinien.

Für die endgültige Diagnose der Neuralgie wird eine Aufnahme mit dem Magnetresonanztomographen (MRT) gemacht. Laut der neuen Leitlinie sollte bei stark leidenden Patienten sofort mit der Behandlung begonnen werden. Kommen sekundäre Erkrankungen, wie oben genannt, als Ursachen infrage, muss die Diagnostik fortgesetzt werden. Die Behandlung startet zunächst mit dem Antiepileptikum Carbamazepin, das auch für die Therapie zugelassen ist. Ein vergleichbar wirkendes Medikament ist Oxcarbazepin – es ist aber in Deutschland für diese Neuralgie nicht zugelassen. Möglich ist dann ein sogenannter Off-Label-Einsatz, wörtlich eine »andere Verwendung als auf dem Etikett«. Wird das erwogen, muss zuvor grundsätzlich der Hersteller zugestimmt haben, aber auch der einzelne Patient vom behandelnden Arzt genau über mögliche Nebenwirkungen informiert werden. Eine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen ist in der Regel nicht möglich. Diese Einschränkung tritt bei einigen weiteren Therapievarianten der Trigeminusneuralgie auf und behindert mitunter die gute Versorgung der Patienten, insbesondere, wenn Carbamazepin wirkungslos ist oder unerträgliche Nebenwirkungen hat.

Sollten die Schmerzen noch zunehmen, kann Phenytoin eingesetzt werden, das ansonsten in der Dauerbehandlung der Epilepsie verwendet wird, aber auch bei Herzrhythmusstörungen. Im Fall der Trigeminusneuralgie kann es etwa mit Carbamazepin kombiniert werden. Einzeldosen lassen sich so reduzieren. Der Haken: Hier können viele Wechselwirkungen auftreten, ebenso umfangreiche Nebenwirkungen. Nach der neuen Leitlinie ist die Kombination vor allem bei Patienten im höheren Lebensalter relevant, die schon etliche andere Wirkstoffe für weitere Krankheiten einnehmen, erläutert Gudrun Goßrau vom Universitätsklinikum Dresden. Die Neurologin ist auch DMKG-Vizepräsidentin. Sie rechnet angesichts der allgemeinen Alterung der Bevölkerung mit einer Zunahme von Diagnosen in den nächsten Jahren.

Halten die intensiven Schmerzen bei der Trigeminusneuralgie jedoch trotz medikamentöser Therapie an, könnte eine Operation Abhilfe schaffen. Häufig ist die Ursache der Neuralgie eine abnorm verlaufende Arterie. Diese trennt der Chirurg dann vom Nerv und setzt einen kleinen Schwamm dazwischen. Der Eingriff lindert den Schmerz in der Regel für mehrere Jahre. Auch ein Tumor kann als Ursache infrage kommen, auch dieser würde operativ entfernt.

Außer der Operation könnten auch sogenannte ablative Verfahren helfen. Dazu zählt unter anderen die Thermokoagulation. Hierbei werden kleine Nervenäste mit einer Radiofequenzsonde verödet. Dieses und weitere Verfahren haben den Vorteil, dass sie minimalinvasiv und nur mit einer Kurznarkose durchgeführt werden können. Da aber eine Verletzung des Nervs in Kauf genommen wird, kann es in der Folge zu Sensibilitätsstörungen im Gesicht kommen.

Welches Verfahren am Ende eingesetzt wird, hängt von der Ursache der Neuralgie ab, aber auch von Operations- und Narkoserisiken der jeweiligen Patienten. Auch deren Wünsche sollten berücksichtigt werden, erklärt die DMKG.

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