G20 und die Schwäche der Weltwirtschaft

Der Finanz- und Wirtschaftsgipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer steckt selbst in der Krise

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich ist die Sache einfach. In den Ländern der G20-Gruppe leben zwei Drittel der Weltbevölkerung. Sie erwirtschaften 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und sind für 78 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Die Staats- und Regierungschefs müssten sich auf ihrem Gipfeltreffen am Wochenende in Delhi angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Probleme lediglich auf einen gemeinsamen Kurs verständigen.

Doch vor Beginn der Konferenz mahnte die Welthandelsorganisation (WTO): »Die jüngsten einseitigen protektionistischen Maßnahmen einiger Industrieländer werden von den Entwicklungsländern als zynisch und heuchlerisch angesehen«, sagte Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala. »Diese haben das Gefühl, dass die reichen Länder, die bei der Entwicklung ihrer Volkswirtschaften enorm vom multilateralen Handelssystem profitiert haben, nun nicht mehr auf gleicher Augenhöhe miteinander konkurrieren wollen und stattdessen lieber zu einem macht- statt regelbasierten System übergehen würden.« Okonjo-Iweala forderte die reichen Länder auf, Produktionsstätten in den globalen Süden zu verlagern.

Genau das wollen die reichen Volkswirtschaften nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie, als viele Lieferketten rissen, nicht mehr. Mehr Resilienz versprechen sich westliche Konzerne von kürzeren Lieferketten. Schon vor der Pandemie hatte das »multilaterale Handelssystem« offenbar seinen Zenit überschritten. Entkopplung und Regionalisierung, um näher am Kunden und dessen speziellen Bedürfnissen zu sein, heißen die neuen Trends.

Die Kritik der nigerianischen WTO-Chefin zielt auf die USA und große EU-Staaten, die um neue Ansiedlungen von multinationalen Konzernen mit üppigen Subventionen buhlen. So hat Intel angekündigt, neben dem Mega-Halbleiterwerk in Magdeburg auch in Frankreich, Italien und Spanien Kapazitäten auszubauen. Bislang versorgen vor allem Taiwan, Südkorea und China die Welt mit Chips. Ähnlich rasant ändern sich die Zeiten in einem weiteren Zukunftsfeld. So kündigte der chinesische Batterieanbieter CATL an, seine schnell ladenden Superbatterien in Deutschland und Ungarn zu fertigen. Bislang kommen Batterien für die E-Mobilität hauptsächlich aus Asien.

Ein Viertel Jahrhundert lang hatten Kapital, Politik und Leitmedien die Globalisierung gefördert. Das ist vorbei, seit die USA und China – welches 2001 der WTO beitrat und zeitweilig zweistellige Wachstumsraten produzierte – im Clinch liegen. Diese strategische Konfrontation überlagert die Agenda des G20-Gipfels, der sich eigentlich um globale Finanz- und Wirtschaftsprobleme kümmern soll. So zählt der Internationale Währungsfonds sage und schreibe 2845 Handelsbeschränkungen weltweit. Tendenz steigend.

Nach dem Einbruch in den Pandemiejahren wuchs 2022 die Wirtschaft in allen G20-Staaten wieder (Ausnahme Russland). Der Nach-Corona-Boom und dann die Folgen des Ukraine-Krieges haben aber die Preise vor allem für Energie und Lebensmittel in die Höhe getrieben. Die Zentralbanken reagierten mit kräftigen Aufschlägen auf die Leitzinsen. Was Investitionen von Unternehmen und den Hausbau bremst.

Die Ölstaaten kürzen seit dieser Woche ihre Förderung, was die zuletzt etwas gesunkenen Energiepreise wieder befeuert. Globale Risiken bergen zudem länderspezifische Probleme wie die Immobilienblase in China. G20-Präsident Indien hat mit seiner erfolgreichen Mondlandung zwar seine Hightech-Fertigkeiten bewiesen, besitzt aber keine Antwort auf das schnelle Bevölkerungswachstum: Pro Monat müsste die Regierung Narendra Modi eine Million neuer Jobs schaffen. Andere G20-Volkswirtschaften wie Deutschland und China belasten dagegen die zunehmende Zahl älterer Menschen, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden, und ihre Exportorientierung. Die Schwäche der Weltwirtschaft drückt die Nachfrage.

Eine kraftlose Konjunktur in Europa, Asien und Südamerika ist eine Folge. Für den Euroraum erwartet die OECD 2023 ein bescheidenes Plus von 0,9 Prozent. Die Bundesrepublik (-0,5 Prozent) ist das Schlusslicht aller großen Industriestaaten. Hier sind nach den Prognosen die USA (1,9) und Japan (2,2) vorne, die von ihrer kräftigen Binnennachfrage profitieren.

»Es ist jedoch ein Fehler, das Wachstum in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik zu stellen«, sagt Mariana Mazzucato. Es gebe zu viele Verlierer. Die Ökonomin vom University College London, die die Europäische Kommission berät, mahnt, die Regierungen sollten sich auf die reale Ausrichtung der Wirtschaft konzentrieren. »Denn was nützt eine hohe Wachstumsrate, wenn sie nur durch schlechte Arbeitsbedingungen oder eine expandierende fossile Brennstoffindustrie erreicht werden kann?« Eine Frage, die der 18. Finanz- und Wirtschaftsgipfel der G20 ebenso wenig wie seine Vorgänger beantworten wird.

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