Weichselstraße 52 in Neukölln: Grünes Licht für Vorkauf

Bausenator Christian Gaebler (SPD) unterstützt Ankauf der Weichselstraße 52 in Neukölln

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.
Durch Zuschüsse vom Land könnte das Haus einem Investor weggeschnappt werden.
Durch Zuschüsse vom Land könnte das Haus einem Investor weggeschnappt werden.

Die Initiative von Neuköllns Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) und das Engagement der Mieter aus der Weichselstraße 52 für ihr Haus haben Früchte getragen. »Ich unterstütze das Vorhaben des Bezirks Neukölln, die letzten verbleibenden Möglichkeiten zur Ausübung des Vorkaufsrechts auszuschöpfen«, teilte Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) am Freitagmorgen mit.

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Nach einer Prüfung des Falles heißt es, dass die Senatsverwaltung bereitstehe, einen Erwerb des Hauses über ein landeseigenes Wohnungsbauunternehmen »mit der erforderlichen Finanzierung zu bezuschussen«. Vorausgesetzt, der eigentliche Käufer, die Hamburger Firma Hansereal, unterschreibt keine Abwendungsvereinbarung, mit der sie sich sowohl zur Sanierung als auch zum Schutz der Mieter verpflichten würde.

»Meine Verwaltung hat nun alle Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Bezirk für das Wohnhaus in der Weichselstraße 52 das Vorkaufsrecht aussprechen kann«, so Gaebler. Weiter hieß es: »Neben dem Schutz der Mieterinnen und Mieter ging es uns dabei auch um ein Zeichen, dass dem Land Berlin der Milieuschutz und die Vorkaufsrechte sehr wichtig sind.«

Beim Vorkaufsrecht setzt der Bezirk einen gemeinwohlorientierten Dritten wie ein landeseigenes Wohnungsunternehmen oder eine Genossenschaft anstelle eines eigentlichen Käufers in einen Vertrag ein. Bis zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im November 2021 wandten die Bezirke diese Praxis bei Häusern an, bei denen zu befürchten war, dass Mieter in Zukunft durch den Verkauf verdrängt werden würden. Das Gericht sah das als unzulässig an. Das Vorkaufsrecht konnte fortan nur noch zur Anwendung kommen, wenn ein besonderer baulicher Missstand vorliegt, der über den Vorkauf beseitigt werden kann.

Das könnte nun erstmals in der Weichselstraße 52 in Neukölln passieren. 56 Bewohner leben hier in dem Haus mit undichtem Dach, Kohleöfen und absinkendem Keller. Die Hansereal hat ihr Wohnhaus für drei Millionen Euro gekauft, was – Anzeichen für den schlechten baulichen Zustand – unter derzeit gängigen Marktwerten liegt.

Bis zum 25. September läuft die Frist für das Vorkaufsrecht. Bis dahin kann die Hansereal noch eine Vereinbarung unterschreiben. Mit dieser wäre der Vorkauf zwar vom Tisch, das Unternehmen würde sich aber zu Sanierungsauflagen bei gleichzeitigem Schutz der Mieter verpflichten.

Falls das nicht geschieht, müsste der gemeinwohlorientierte Dritte, der als Käufer eingesetzt wird, diese Bedingungen aber erfüllen. Zum Kaufpreis kämen deshalb zusätzlich Investitionskosten hinzu. Manche Genossenschaften haben bereits abgewunken, weil diese Summe angesichts der aktuellen Zinsen nicht zu stemmen sei. Die Mieter der Weichselstraße 52 hielten deshalb in den vergangenen Wochen Kundgebungen ab und forderten vom Senat Zuschüsse ein.

»Das aktuell sehr stark beschränkte Vorkaufsrecht macht die Ausübung schwierig und wegen der Herausforderung bei der Wirtschaftlichkeit auf wenige Fälle begrenzt«, erklärt Senator Gaebler.

Er appellierte zugleich an die Bundesregierung, ein Gesetz zu beschließen, »damit die Bezirke in Milieuschutzgebieten das Vorkaufsrecht wieder vollumfänglich anwenden können und nicht nur – wie in den aktuellen Fällen – bei stark ›vernachlässigten‹ Immobilien.«

Die Wohnungspolitiker von Grünen und Linke begrüßten am Freitag die Entscheidung des Senators, im Falle der Anwendung des Vorkaufsrechtes Zuschüsse bereitzustellen. »Es ist dem beharrlichen Druck der Hausgemeinschaft und mutigen Agieren des Bezirksamts Neukölln zu verdanken, dass das Vorkaufsrecht endlich wieder angewendet wird«, sagte Niklas Schenker, Wohnungspolitiker der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus.

Auch Grünen-Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger befürwortet den Vorkauf. »Der potenzielle Käufer aus Hamburg, Hansereal, der das Gebäude gekauft hätte, ist dafür bekannt, seine Bestände verfallen zu lassen, Wohnungen aufzuteilen, meistbietend zu verkaufen und die Mieter*innen zu verdrängen.« Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts werde ein Zeichen gesetzt.

Schenker und Schmidberger betonten zugleich, dass es nicht bei dem Haus in der Weichselstraße bleiben könne. »Der Fall in der Weichselstraße 52 muss nun Schule machen. Das Vorkaufsrecht muss nun zügig auch in ähnlich gelagerten Fällen gezogen werden«, so Schenker. Schmidberger sagte: »Der Senat steht in der Pflicht, nun alle landeseigenen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften, Stiftungen und andere gemeinwohlorientierte Akteure an einen Tisch zu holen, um eine gemeinsame Ankaufstrategie zu entwickeln.«

Derzeit prüft der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf die Anwendung des Vorkaufsrechts für ein Haus in der Mecklenburgischen Straße 89. Bei der Inaugenscheinnahme des Objekts sei deutlich geworden, »dass Missstände vorliegen, die nicht den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse entsprechen«, so das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf auf nd-Anfrage. Hier endet die Frist am 22. November.

Auch in Wedding fordern Mieter der Seestraße 110 die Anwendung des Vorkaufsrechtes für ihr marodes Haus, das verkauft werden soll.

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