Das Haus steht auf der Kippe

Mieter in Neukölln appellieren an den Senat, Zuschüsse für einen Vorkauf bereitzustellen

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 5 Min.
Für einen Erfolg des Vorkaufsrechts braucht es politischen Druck.
Für einen Erfolg des Vorkaufsrechts braucht es politischen Druck.

Eine Mieterin führt durch das Hinterhaus in der Weichselstraße 52. Im Treppenhaus bleibt sie vor ihrer Wohnung stehen und zeigt auf die Haustür ihrer Nachbarn: »Wir wohnen hier kunterbunt gemischt.« Von einem älteren Paar bis hin zu »jungen Leuten von überall« setze sich die 56-köpfige Hausgemeinschaft zusammen. Doch diese Mischung ist in Gefahr. Das Unternehmen Hansereal hat das Haus gekauft. Die Mieter befürchten, dass hier bald aufgewertet wird und später einmal die Wohnungen einzeln verkauft werden sollen.

Auch der Bezirk Neukölln befürchtet das. Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) will das Vorkaufsrecht für die Weichselstraße 52 ausüben. Beim Vorkaufsrecht setzt der Bezirk einen gemeinwohlorientierten Dritten an die Stelle des eigentlichen Käufers. Seit 2021 ist das nicht mehr geschehen. Damals entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem nicht nur für Berlin weitreichenden Urteil, dass ein Vorkauf nur noch bei deutlichen städtebaulichen Missständen möglich ist.

Die Mieterin zeigt ihre Wohnung. Wie überall im Hinterhaus der Weichselstraße 52 gibt es hier noch Kohleöfen. Auch das Dach sei undicht, Putz bröckele von der Außenwand ab und der Keller sinke im sumpfigen Untergrund ab. Ein kompletter Strang müsse zudem saniert werden. Viele Mieter hätten privat einiges in ihren Wohnungen gemacht.

Dass das Haus nicht im besten Zustand ist, zeigt auch der Preis. Drei Millionen Euro soll es kosten, 1500 Euro pro Quadratmeter. Laut der Marktbeobachtung von Guthmann Estate wurden die aufgelisteten zuletzt verkauften 28 Häuser in Neukölln zu einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von über 2800 Euro angeboten. Das Haus in der Weichselstraße mit 21 Wohnungen ist deshalb vergleichsweise preiswert.

Doch einen gemeinwohlorientierten Dritten zu finden, ist dennoch nicht einfach. Denn dieser muss, wenn er in den Kaufvertrag eintritt, sich dazu verpflichten, die Mängel im Haus zu beseitigen. »Wir haben jetzt 17 Genossenschaften angeschrieben, auch mehrere Stiftungen«, sagt die Mieterin. Von einer Genossenschaft, die 2021 bis zuletzt bei Vorkäufen eingesprungen ist, kam bereits die Rückmeldung: Bei den aktuellen Zinsen sei der Kauf nicht zu stemmen.

Auch landeseigene Wohnungsunternehmen sind in der Vergangenheit bei Vorkäufen eingesprungen. Offiziell heißt es von einem Unternehmen, das der Bezirk nun für die Weichselstraße 52 angefragt hat, dass man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht äußern könne. Doch hört man, dass die Landeseigenen angesichts des bereits vorhandenen Investitionsbedarfs im Bestand einem Ankauf weiterer sanierungsbedürftiger Immobilien ablehnend gegenüberstehen.

Ohne Zuschüsse vom Land wird es so oder so nicht gehen. Nicht nur die Mieter wollen deshalb Druck machen beim Senat. Auch Bezirksstadtrat Biedermann hat sich bereits an Finanzsenator Stefan Evers (CDU) gewandt. »Wir werden das sehr eingehend prüfen«, sagte Evers vergangene Woche.

Viel Zeit bleibt nicht. Bis Mitte September muss ein gemeinwohlorientierter Käufer gefunden sein. Die Mieter arbeiten auf Hochtouren. Das sei derzeit, wo sie selbst und Ansprechpersonen in Politik und bei potenziellen Käufern im Urlaub sind, alles andere als einfach. Dennoch habe der Verkaufsfall sie zusammengeschweißt, erzählen die Mieter bei einer Kundgebung, die sie am Montagabend vor ihrem Haus abhalten.

»Gerade in Häusern in einem schlechten Zustand drohen immense Mieterhöhungen, wenn die Eigentümer wechseln«, schreibt Bezirksstadtrat Biedermann in einem Grußwort an die Mieter. Wegen der Regelungen des Milieuschutzes, sagt die Mieterin aus der Weichselstraße: »Verdrängt werden würden wir hier erst in späteren Jahren, die Entscheidung darüber fällt aber jetzt.«

Für die zwei Gewerbeeinheiten im Haus, einen Kiezladen und ein kleines »Erdemuseum«, droht die Verdrängung schon viel schneller. Für sie gibt es keinen Milieuschutz. Li Koelan, die die Ausstellungsfläche seit 2008 betreibt, sagt: »Mit einem Verkauf kann ich das alles hier sofort vergessen.« 8,50 Euro zahle sie pro Quadratmeter an Miete derzeit, hinzu kommen die Heizkosten.

Mit einem Investor als Eigentümer würde es nicht dabei bleiben, ist sie sich sicher. In den vergangenen Jahren habe sie schon beobachtet, wie nach und nach alle alten Geschäfte in der Straße verschwunden seien. »Ich bin der Letzte der Mohikaner«, sagt Koelan. Auch ein Mitarbeiter des kollektiv geführten Kiezladens sagt nur, dass es ein »Horror« wäre, wenn sie künftig einen renditeorientierten Vermieter bekämen.

Selbst wenn die Mieter beispielsweise eine kauf- und sanierungswillige Genossenschaft finden, kann das Haus auf den letzten Metern doch noch an die Hansereal gehen. Diese kann bis zum letzten Tag der Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts eine Abwendungsvereinbarung unterzeichnen. Mit dieser würde sie sich nicht nur verpflichten, nicht in Eigentumswohnungen aufzuteilen oder den Mietern keine Modernisierungen in Rechnung zu stellen. Sie würde auch umfangreiche Sanierungsauflagen unterschreiben.

Wohin die Reise für die Mieter in Neukölln im schlimmsten Fall gehen könnte, zeigt sich derweil an der Kreuzung von Rigaer- und Liebigstraße in Friedrichshain. Die Häuser dort sind bereits vor Jahren in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden, bevor das Areal zum Milieuschutzgebiet wurde. Gekauft habe es eine Gesellschaft, zu der auch die beiden Geschäftsführer der Hansereal gehörten, sagen die Mieter aus Friedrichshain.

Derzeit werden mehrere Wohnungen in dem Komplex als Eigentum für Kaufpreise von über 5000 Euro pro Quadratmeter auf dem Immobilienportal angeboten. Flure wurden gestrichen, ein Eingang, der jahrelang nicht begehbar war, wieder geöffnet und auf einmal fänden Arbeiten am Dachstuhl statt, erzählt eine Mieterin, deren Name der Zeitung bekannt ist.

Auch der Hausgemeinschaft sei angeboten worden, das gesamte Haus zu kaufen. Doch die elf Millionen Euro, die sich die Eigentümer vorstellen, sind für gemeinwohlorientierte Genossenschaften nicht zu bezahlen. Auch Kontaktversuche der Politik sollen wenig Hoffnung hinterlassen haben, dass die Eigentümer noch mit sich reden lassen.

Einer der früheren Geschäftsführer der Hansereal ist zudem Mitglied des Landesschiedsgerichts der Hamburger AfD. Das stößt den Mietern in Friedrichshain wie auch Neukölln besonders auf. »Dass es Verquickungen mit der AfD gibt, motiviert uns zusätzlich für unser Haus zu kämpfen«, sagt die Mieterin aus der Weichselstraße.

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