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Bundespolizei rüstet Küstenwache in Tunesien aus

Truppe erhielt Dutzende Motoren, Schlauchboote sowie Ausbildung aus Deutschland

Über 130 000 Menschen sollen dieses Jahr in kleinen Booten das Mittelmeer nach Italien überquert haben, um in Europa Schutz zu suchen. Die meisten Abfahrten erfolgen nun nicht mehr aus Libyen, sondern aus Tunesien. Dort werden die Geflüchteten, die größtenteils aus Subsahara-Staaten stammen, vom Staat in die Wüste getrieben und von der Bevölkerung in Pogromen verfolgt.

Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig, dass die tunesische Küstenwache auf hoher See die Motoren von Migrantenbooten stiehlt und die Insassen somit dem Ertrinken aussetzt. Das Bundesinnenministerium gibt in seiner noch unveröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion Hinweise darauf, dass für diese Verbrechen maritime Ausrüstung aus Deutschland genutzt wird.

In den letzten beiden Jahren hat die Bundespolizei laut der Antwort des Bundesinnenministeriums 12 Schlauchboote und 27 Bootsmotoren an die tunesischen Grenztruppen gespendet. Darüber hinaus hat die Bundespolizei Trainer geschickt, um die Behörden im Umgang mit »schnellen Kontrollbooten« zu schulen. Diese Maßnahme wurde in diesem Jahr als »Weiterqualifizierung« wiederholt. Zusätzlich gab es einen »Grund- und Aufbaulehrgang« zur Reparatur von Yamaha-Motoren.

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Bereits im Jahr 2019 unterstützte die Bundesregierung die Küstenwache in Tunesien, indem sie ihnen Ausrüstung für eine Bootswerkstatt zur Verfügung stellte. Darüber hinaus wurden 14 Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die Nationalgarde, die Grenzpolizei und die Küstenwache durchgeführt. Auch diese Schulungen hatten zum Ziel, den Umgang mit »Kontrollbooten« zu erlernen.

Tunesien erhielt seit 2012 außerdem Dutzende Festrumpfschlauchboote sowie Patrouillenschiffe aus den USA. Mehrere größere Schiffe für die Küstenwache stammen auch aus Italien, die Finanzierung dieser Schenkungen erfolgt aus EU-Mitteln. Auch an diesen Maßnahmen könnte die Bundesregierung indirekt beteiligt sein: Laut der Antwort des Innenministeriums hat die Bundespolizei sechs Spezialwerkzeugsätze für Motoren von Schiffen der 35-Meter-Klasse an Tunesien geliefert.

Mit der Unterstützung für die tunesische Küstenwache leiste die Bundespolizei »aktive Beihilfe zum mutwilligen Ertrinkenlassen von Menschen«, kommentiert Clara Bünger, die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, die für die Anfrage verantwortlich ist. »Die Ausrüstung und das Training für die Küstenwache dienen dazu, Menschen völkerrechtswidrig an der Flucht zu hindern«, sagt auch Felix Weiss von der Organisation Sea-Watch, die im Mittelmeer Geflüchtete rettet, auf Anfrage des »nd«. Die Bundesregierung trage damit eine Mitverantwortung für Gräueltaten der tunesischen Regierung, die zuletzt in der Wüste Dutzende Menschenleben gefordert hatten.

Tunesien erhält auch in der Wüstenregion, in der sich die staatlichen Verbrechen ereigneten, Unterstützung aus Deutschland. Das Verteidigungsministerium hat entlang der Grenze zu Libyen eine »Ertüchtigungsinitiative« finanziert, bei der millionenschwere Überwachungstechnik der Rüstungskonzerne Airbus und später Hensoldt zum Einsatz kam. Diese Technik umfasst unter anderem Radaranlagen und Hochwertsensoren. Das Projekt wurde vom US-Militär geleitet.

Im selben Zeitraum begann die Bundespolizei ihre Unterstützung in Tunesien und eröffnete 2015 ein »Projektbüro« in der Hauptstadt. Ein Jahr später wurde ein »Sicherheitsabkommen« abgeschlossen, woraufhin Deutschland im Rahmen eines »Grenzpolizeiprojekts« Dutzende geländefähige Fahrzeuge, Ferngläser, Wärmebildgeräte und weiteres Material an tunesische Behörden gespendet hat. Die Bundespolizei hat außerdem Körperscanner am Flughafen in Tunis installiert und die dortigen Beamten in ihrer Bedienung geschult. Zudem wurden Ausbildungen zur »Informationsgewinnung aus der Bevölkerung« durchgeführt.

Zu den weiteren Maßnahmen der Bundespolizei gehört der Auf- und Ausbau von drei Polizeistationen und Kasernen mit Kontrollräumen. Die Mittel für dieses mit Frankreich, den Niederlanden, Italien und der Schweiz durchgeführte Projekt stammen aus der EU-Entwicklungshilfe.

Laut der nun vorliegenden Antwort des Innenministeriums waren über die vergangenen acht Jahre 449 Bundespolizisten in Tunesien eingesetzt. Insgesamt seien 3395 Angehörige der tunesischen Nationalgarde und der Grenzpolizei fortgebildet worden, darunter auch in Deutschland.

Die im Sommer berichtete Verschleppung von Geflüchteten in die Wüste habe sie »verurteilt und die Einstellungen dieser Praktiken und Aufklärung gefordert«, heißt es von der Bundesregierung. Zuletzt habe die Staatsministerin des Auswärtigen Amtes, Katja Keul, im August bei einem Besuch in Tunis darauf gedrängt, »allgemeine Rechtsstaatsprinzipien« einzuhalten.

Eine Nachfrage des »nd«, ob diese mehrfachen Aufforderungen aus ihrer Sicht erfolgreich waren, ließ das Büro der Grünen-Abgeordneten unbeantwortet. Das Auswärtige Amt schrieb dazu nachträglich: »Aus der geografischen Lage Tunesiens am südlichen Rand des Mittelmeers ergibt sich, dass wir versuchen müssen, mit Tunesien zusammenzuarbeiten.«

Nach Abschluss eines »Migrationspakts« will die EU der Regierung in Tunis aus zwei Finanztöpfen weitere 255 Millionen Euro für die Migrationsabwehr bereitstellen. Trotz der bekannten Menschenrechtsverletzungen durch die begünstigten Behörden werden nun die ersten 67 Millionen Euro davon ausgezahlt, teilte die EU-Kommission am Freitag mit. Zu dem im Juni angekündigten Paket gehören neue Schiffe und Wärmebildkameras und andere »Einsatzhilfsmittel« sowie erforderliche Schulungen.

In einem bereits 2017 begonnenen Projekt finanziert die EU außerdem den Aufbau eines modernen Überwachungssystems entlang der tunesischen Küste. Über den Anschluss an EU-Systeme sollen die tunesische Grenzpolizei und Marine Informationen mit anderen EU-Mitgliedstaaten und Frontex austauschen.

Die Abgeordnete Clara Bünger kritisiert die EU-Zusammenarbeit mit Tunesien: »Wenn die Behörden Schutzsuchende in der Wüste aussetzen und sie so dem sicheren Tod überlassen, ist das menschenverachtend und grausam, entspricht aber genau der Logik des europäischen Grenzregimes.«

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