Festung Europa: Ein Brief aus der Hölle

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen umreißt ihre Maßnahmen zur Grenzüberwachung in Nordafrika

Seit dem 1. Dezember 2019 ist die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Präsidentin der Europäischen Kommission. Sie ist auch für den Umbau des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verantwortlich – und damit für Gesetzesvorschläge, in denen Fluchtbewegungen, wenn sie von benachbarten Drittstaaten begünstigt werden, als »Angriff auf die EU als Ganzes« bezeichnet werden.

In einem Brief an die 27 EU-Staaten hat von der Leyen vor zwei Wochen ihren harten Kurs in der Migrationspolitik umrissen und Maßnahmen angekündigt, die bis dahin nur in Ansätzen durchgesickert waren. Das Schreiben hat die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch online gestellt.

Im Mittelpunkt steht die weitere Sicherung der Außengrenzen. Die ohnehin mit einem Jahresbudget von einer Viertelmilliarde Euro ausgestattete Grenzagentur Frontex soll demnach 200 Millionen Euro zusätzlich erhalten. EU-Staaten an den Außengrenzen dürfen sich über 140 Millionen Euro für neue »elektronische Überwachungssysteme« freuen, eine Ausschreibung ist bereits auf dem Weg. Weitere 56 Millionen Euro erhalten Bulgarien und Rumänien – die immer noch keine Schengen-Vollmitglieder sind – für die Sicherung ihrer Grenzen zu Serbien bzw. der Türkei.

Autoritären Staaten in Nordafrika kommt bei der Sicherung der Festung Europa in den letzten Jahren eine besondere Rolle zu, ihre Kapazitäten zur Überwachung der Seegrenzen wurden bereits mit dreistelligen Millionensummen unterstützt und im Falle Tunesiens nach einem Besuch der Kommissionspräsidentin in zwei Finanzpaketen um satte 255 Millionen Euro erhöht. Noch in diesem Jahr soll die Regierung in Tunis über eines dieser Pakete Patrouillenboote, Radaranlagen, Kameras, Fahrzeuge und anderes Gerät erhalten. Allein in diesem Jahr hat die EU außerdem die Rückführung von über 400 Geflüchteten nach Subsahara-Afrika finanziert.

Auch die libysche Küstenwache wird weiter unterstützt, damit sie Geflüchtete auf dem Weg nach Europa abfängt, zurückholt und in Lagern unterbringt. Unter dem Vorwand der »Seenotrettung« hat die Kommission bereits über 50 Millionen für Ausrüstung und Ausbildung der libyschen Behörden ausgegeben. Allein in diesem Jahr sollen auf diese Weise 7562 Personen auf Hoher See aufgegriffen worden sein. Im Juni wurden zwei weitere Schiffe an die Küstenwache ausgeliefert.

Ägypten kann sich ebenfalls über neue Mittel aus Brüssel freuen. Derzeit läuft eine Ausschreibung für die »beschleunigte Lieferung« von Patrouillenschiffen, die im Brief von der Leyens als »Such- und Rettungsboote« bezeichnet werden und 23 Millionen Euro kosten sollen. In einer zweiten Phase wird ein »Grenzverwaltungsprojekt« mit Schwerpunkt auf die Landgrenzen mit 87 Millionen Euro finanziert. Hinzu kommt eine »Anti-Schmuggel-Partnerschaft« und »Talentpartnerschaft«, die der Vizepräsident der Kommission, Margaritis Schinas, mit Ägypten unterzeichnet und dafür 120 Millionen Euro versprochen hat.

Libyen, Ägypten und Tunesien gehören zu den Staaten der »Europäischen Nachbarschaft«, die über ein gleichlautendes Finanzprogramm weitere Zuwendungen erhalten. Die Kommission will die EU-Migrationsabwehr aber auch auf Westafrika ausweiten. Im Zuge dieser »Vorverlagerung« der EU-Außengrenzen will auch Frontex erstmals eigene Grenzbeamte in Länder wie Mauretanien und Senegal entsenden, die Kommission verhandelt hierzu entsprechende Statusabkommen.

In ihrem Brief an den Rat bezeichnet von der Leyen die afrikanischen Regierungen als »Partnerländer«. Die EU-Aktivitäten werden darin als »Bemühungen im Kampf gegen den Menschenschmuggel« beschrieben, um damit »unnötiges Leid und den unglücklichen Verlust von Menschenleben zu beenden«. Statewatch beschreibt das von der Kommissionspräsidentin nur wenige Tage nach dem Schiffsunglück vor Pylos mit vermutlich über 500 Toten verschickte Schreiben als Krokodilstränen – zu Recht.

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