Bauordnung in Berlin: Schottergarten optional

Neue Bauordnung macht bei ökologischen Standards nur kleine Fortschritte

Der Strand über dem Pflaster: Solche Begrünung von Dachflächen könnte bald Pflicht werden.
Der Strand über dem Pflaster: Solche Begrünung von Dachflächen könnte bald Pflicht werden.

Regulieren oder deregulieren? Mit der Bauordnung werden Vorgaben für Neubauprojekte festgehalten. Während einige politische Akteure über die Bauordnung ökologische und soziale Standards etablieren wollen, warnen Wohnungsunternehmen, dass detaillierte Vorschriften die Baukosten steigern und Konstruktionszeiten verlängern könnten. Mit dem Entwurf für die novellierte Bauordnung, die am Dienstag beschlossen wurde, hat der Senat diese Gretchenfrage mit einem entschiedenen »Jein« beantwortet.

So setzt die neue Bauordnung die Messlatte für ökologische Vorgaben an vielen Stellen höher an als bislang: Die Begrünung von Dächern soll ab 100 Quadratmetern und einer Steigung bis zu zehn Prozent Pflicht werden, wenn keine andere Verwendung für das Dach vorgesehen ist. Ab 2030 sollen Kaltwasserzähler verpflichtend installiert werden, die Kosten kann der Vermieter allerdings auf die Mieter umlegen. Der Fokus auf ökologische Maßnahmen liegt darin begründet, dass der Gebäudesektor für mehr als 40 Prozent der Berliner CO2-Emissionen verantwortlich ist.

Dazu kommen neue Vorgaben bei der Barrierefreiheit: Die Hälfte der Wohnungen in einem neugebauten Haus soll ohne Treppen zugänglich sein, bis 2025 soll der Anteil barrierefreier Wohnungen im Neubau auf 75 Prozent steigen. Zurzeit sind nur 50 Prozent vorgeschrieben.

An anderen Stellen fallen die Regeln dagegen: Die Regulierung der erlaubten Baumaterialien staucht der Senat deutlich ein, bei Dachausbauten mit maximal zwei neuen Stockwerken entfällt die Fahrstuhlpflicht. Auch für Solaranlagen, Wärmepumpen und Fahrradabstellplätze gelten nun weniger Regeln. Vor allem aber darf sich die Bauwirtschaft freuen, eine lange erhobene Forderung erfüllt zu sehen: Sogenannte Typenbauten, bei denen ein Entwurf mehrmals an verschiedenen Standorten gebaut wird, müssen künftig nur noch einmal genehmigt werden und nicht mehr für jeden Baustandort separat. Zudem können Typengenehmigungen aus anderen Bundesländern nun auch in Berlin übernommen werden.

»Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert«, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am Dienstag bei einer Pressekonferenz. »Wir waren uns einig, dass es zu weniger Bürokratie kommen muss.« Im Vordergrund stehe nun das Ermöglichen und nicht das Verhindern von Neubau. Als nächsten Schritt wolle der Senat das schon länger geplante Schneller-Wohnen-Gesetz anfassen, mit denen die Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt werden sollen.

In der siebenjährigen Regierungszeit von Rot-Rot-Grün war zweimal eine Novelle der Bauordnung angestrebt worden, jedes Mal hatte die SPD einen Rückzieher gemacht. Bei einer Pressekonferenz im April warf Bausenator Christian Gaebler (SPD) den vormaligen Koalitionspartnern Grüne und Linke vor, die Bauordnung mit sachfremden Inhalten überladen zu wollen. Viele ökologische Vorgaben seien bereits in der Naturschutzverordnung festgehalten, die auch für Bauprojekte gelte, hatte Gaebler argumentiert.

Ein ursprünglich angedachtes Verbot von Schottergärten wurde – nachdem der rot-grün-rote Entwurf zurückgezogen und unter neuen politischen Vorzeichen wieder eingebracht worden war – aus dem Entwurf gestrichen. Die steinernen Außenanlagen gelten nicht nur als ästhetisch wenig ansprechend, sondern auch als ökologisch wertlos und sogar schädlich, weil sie kein Wasser aufnehmen können. Die Bauaufsichtsbehörden können aber weiterhin selbst Vorgaben machen, um gegen Schottergärten vorzugehen.

Ebenfalls aus dem Entwurf verschwunden sind Maßnahmen zum Artenschutz. So war ursprünglich vorgesehen, dass ein bestimmter Anteil von neugebauten Gebäuden mit Brutstätten für Vögel und andere Tiere ausgestattet wird. Diese Nistkästen wurden aus dem vorgelegten Entwurf wieder gestrichen. Auch Maßnahmen gegen Vogelschlag an Fenstern werden nicht verpflichtend.

Angesichts der wechselhaften Geschichte, die die Bauordnung durchlaufen hat, überrascht es wenig, dass die Reaktionen auf den fertigen Entwurf gespalten ausfallen. Die Grünen werfen dem schwarz-roten Senat vor, statt einer Bauordnung eine »Betonordnung« vorgelegt zu haben, wie es in einer Pressemitteilung heißt. »Die Begründung, dass diese Maßnahmen Bauprojekte verhindern, ist abwegig«, sagt ihr baupolitischer Sprecher, Andreas Otto. Er kritisiert, dass der Senat auch Abriss erleichtern will. Aus ökologischer Perspektive sei es sinnvoller, Gebäude nachzunutzen, statt sie abzureißen und auf dem Gelände neu zu bauen, so Otto.

Auch Umweltorganisationen sprechen von einem Rückschritt im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf. »Insgesamt bleibt die Novelle deutlich hinter den Anforderungen von Ökologie, Klimakrise und Artensterben zurück«, heißt es in einer Mitteilung des Verbands BUND. »Dabei wäre es einfach, mit einigen wenigen Änderungen den Natur- und Artenschutz beim Bauen von Anfang an mitzudenken.« Der BUND fordere weiterhin eine Pflicht, auch die Fassaden zu begrünen. Dies würde auch dazu beitragen, die Stadt zu kühlen.

Kai Wegner zeigt sich angesichts des Gegenwinds unbeirrt. »Natürlich gibt es Einwände, wenn du bestimmte Maßnahmen nicht mitformulierst«, sagte er am Dienstag. »Das hat mich nicht sonderlich verwundert.« Er stellte in Aussicht, dass die umstrittenen Regeln bei der Diskussion über die Nachhaltigkeitsstrategie wieder auftauchen könnten. »Uns ist das Thema genauso wichtig, aber in die Bauordnung gehört nur, was den Bau beschleunigt.« Ganz vorbei ist die Diskussion aber noch nicht: Die Verordnung muss noch im Abgeordnetenhaus besprochen werden.

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