Berliner Flughafenquartier am Horizont

Startschuss für die Entwicklung der Flächen zwischen Autobahn und Airport BER

Als der neue Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld gebaut wurde, standen hier die Container der Bauleute übereinander gestapelt. Jetzt ist es eine Wiese mit vertrocknetem Gestrüpp direkt an der Zufahrt von der Autobahn, kurz vor den beiden Terminals, in denen die Passagiere abgefertigt werden. Weitere Terminals will die Flughafengesellschaft nicht mehr errichten, stattdessen die Abläufe optimieren, wenn die Zahl der Fluggäste steigt. Das Gelände ist also frei für eine andere Verwendung. Nun soll hier schrittweise ein Quartier mit Büros, Hotels, Apartments, Gastronomie und weiteren Nutzungen wie Forschung und Entwicklung entstehen – die Horizn BER City.

»Es ist ein ganz besonderer Tag für unsere Airportregion, weil wir heute etwas scharf schalten, über das wir uns ganz lange Gedanken gemacht haben«, sagt Flughafenchefin Aletta von Massenbach am Mittwochvormittag in einem Partyzelt, das auf dem Gelände des künftigen Teilquartiers Nummer eins aufgebaut ist. 55 500 Quadratmeter Bruttogeschossfläche sollen dereinst auf diesem Teilareal zur Verfügung stehen – auf allen sechs Quartieren zusammen 555 000 Quadratmeter. Das Grundstück ist insgesamt 24 Hektar groß, von denen netto 14,8 Hektar als Bauland zur Verfügung stehen.

Was genau hier gebaut wird, ist noch relativ unklar. Interessierte Investoren können sich am 12. Oktober informieren und dann ihre Vorschläge einreichen. Annehmen will die Flughafengesellschaft FBB die besten Ideen – das, was am besten ins Konzept passt, und nicht unbedingt den zum Zuge kommen lassen, der am meisten bezahlt. Das Grundstück bleibt im Eigentum der FBB. Es sollen langfristige Erbbaupachtverträge vergeben werden.

Eine Simulation zeigt, wie die Horizn BER City theoretisch aussehen könnte, aber ganz bestimmt nicht aussehen wird. Denn das Gezeigte erinnert an eine Fantasiewelt aus Kunststoffbausteinen oder eine turbulente Tobewelt für Kleinkinder. Aletta von Massenbach hat aber ein Bild vor Augen, wie es sein könnte, und ist nach eigenem Bekunden gespannt, wie es dann wirklich sein wird. Schon im kommenden Jahr könnte der Bau der ersten Gebäude starten. Ausdrücklich nicht erwünscht sind Mietwohnungen, Multiplexkinos und großflächige Vergnügungsstätten. Kultur ist aber durchaus willkommen. Von Massenbach denkt sich ein »Zukunftsquartier« auch mit Kreativen und Wissenschaftlern. Die könnten mit der Bahn anreisen, aber natürlich auch mit dem Flugzeug.

Bei dem Einführungstermin am Mittwoch fallen immer wieder die Stichwörter »nachhaltig«, »super nachhaltig«, »klimafreundlich« und sogar »autofrei«. Aletta von Massenbach stellt sich Beschäftigte vor, die umgeben von Wiesen mal Pause machen in einer »ganz entspannten Umgebung«. Das klingt extrem absurd, zumal währenddessen gleich um die Ecke im dichten Takt Flugzeuge starten und die Gegend mit dem Lärm ihrer laut heulenden Turbinen überziehen. Außerdem ist das Quartier nicht nur von Straßen eingekreist, es wird auch von Straßen durchschnitten. Das wird wohl nichts mit Entspannung. In dieser Hinsicht ist die Vision ein Trugbild, es sei denn, dereinst fahren nicht nur leise Elektroautos, sondern es gelingt auch das elektrische Fliegen.

Gleichwohl ist es keineswegs Unsinn, wenn Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) von »Filetstücken« spricht. Wenn man sich Airports in aller Welt und ihr Umfeld anschaue, »dann wird dort nicht nur geflogen«, bemerkt der Minister zutreffend. »Davon träumen wir«, sagt er. Und an möglicherweise in dem Partyzelt schon versammelte Investoren gerichtet: »Jetzt ist ihre Kreativität gefragt.«

Für Steffen Kammradt ist die Horizn BER City ein »Premiumstandort«. Kammradt leitet die Wirtschaftsförderung Brandenburg, die im Auftrag des Landes um Investoren wirbt und Ansiedlungen begleitet. Insgesamt 1,8 Milliarden Euro investierten Unternehmen im vergangenen Jahr in Brandenburg, berichtet Kammradt. »Das haben wir noch nie gehabt.« Die positive Wirtschaftsentwicklung gebe es gegen den Bundestrend. 70 bis 80 Anfragen seien in früheren Jahren eingegangen, höchstens einmal 90. Jetzt seien es 130 bis 150 Anfragen. Seit 2020 gehe es derart aufwärts, trotz Corona-Pandemie. Kammradt erklärt sich das unter anderem mit dem »Tesla-Effekt«. Der Bau der im März 2022 in Betrieb genommenen Autofabrik in Grünheide, 25 Kilometer östlich vom Flughafen BER, zieht andere Firmen nach. Hochwertige Flächen seien »Goldstaub« für die Wirtschaftsförderung, so Kammradt. Die Horizn BER City zählt er dazu. »Das ist ideal für Unternehmen, die international tätig sind.«

In weniger als zehn Minuten kann man vom Teilquartier eins aus zu Fuß zu den Terminals 1 und 2 laufen. Künftig wird es noch schneller gehen, weil durch einen im Wege stehenden Straßendamm hindurch ein Fußgängertunnel gegraben werden soll, der den Weg verkürzt. Das ist auch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, nicht etwa der einzige Punkt, durch den das Gerede von Nachhaltigkeit in einem Flughafenquartier doch eine gewisse Berechtigung hat. Die City soll immerhin klimaschonend gebaut werden. Damit dies keine leere Worthülse bleibt, hat sich die FBB von der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen ein Vorzertifikat ausstellen lassen. Mit dem Vorzertifikat lege sich ein Bauherr schon einmal fest, erklärt Alexander Rudolphi. Der Professor sitzt im Präsidium der vor 17 Jahren in Berlin gegründeten Gesellschaft, die ihren Sitz mittlerweile nach Stuttgart verlegte. Mehr als 200 Experten kümmern sich ehrenamtlich um die Zertifikate, für die über 35 Kriterien zu erfüllen sind. Für die Horizn BER City setzt sich die Flughafengesellschaft hohe Ziele. »Ein Platinzertifikat ist jetzt wirklich ambitioniert und nicht so häufig«, würdigt Rudolphi am Mittwoch bei der Übergabe der dann doch sehr schlichten Urkunde.

Warum es keine gute Idee wäre, einfach nur Bürohaus an Bürohaus zu setzen, erläutert die verantwortliche FBB-Bereichsleiterin Ilona Koch. Die schon vorhandenen Büros stünden »im Moment halb leer«. Dazu kommt, dass die Baubranche mitten in einer Krise steckt. Das ist auch Flughafenchefin von Massenbach bewusst. »Aber wir haben ja noch ein bisschen Zeit«, sagt sie. »Bis dahin kann die Welt auch wieder anders aussehen.«

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