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Handwerk hat keinen goldenen Boden
Einzelne Betriebe geben schon auf, weil es an Meistern, Gesellen und Lehrlingen fehlt
37 500 Handwerksbetriebe mit zusammen 154 000 Beschäftigten gibt es im Land Brandenburg. 2011 waren es noch 40 200 Betriebe gewesen. Auch die Zahl der Beschäftigten ist gesunken, allein in den vergangenen fünf Jahren um fünf Prozent. Dabei ist im selben Zeitraum die Zahl aller sozialversicherungspflichtig Erwerbstätigen von 854 000 auf 882 000 gestiegen.
Dem Handwerk fehlt es an Meistern, Gesellen und Lehrlingen. Die Kunden merken das, weil sie länger warten müssen, bis ihr Auftrag erledigt wird. In Zukunft wird es noch schlimmer. Denn die Hälfte der Inhaber der Handwerksbetriebe ist älter als 55 Jahre, viele von ihnen sind sogar älter als 60 Jahre. Sie gehen in den Jahren 2028 bis 2035 in Rente. Es wird schwierig sein, Nachfolger zu finden.
Schon jetzt werden Handwerksbetriebe geschlossen, weil niemand da ist, der sie übernehmen möchte. Das komme sogar vor, wenn die Inhaber Kinder haben, die den passenden Beruf erlernten, aber die Verantwortung und das Risiko scheuen. So schildern Ralph Bührig, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam, und Frank Ecker von der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) die Lage. Der Wirtschaftsausschuss des Landtags beschäftigt sich am Mittwoch mit der Zukunft des Handwerks und lässt sich dazu von diesen beiden Männern und von Sylke Radke von der Handwerkskammer Cottbus berichten, was zu erwarten sei.
Eine gute Nachricht hat Bührig: Es sei gelungen, die Zahl der Lehrlinge von 7300 im Jahr 2019 auf 7900 im Jahr 2024 zu erhöhen. Doch das reicht nicht aus, den Fachkräftebedarf zu sichern. An der mangelnden Bereitschaft der Handwerksbetriebe, Nachwuchs auszubilden, kann es nicht liegen. 1500 Lehrstellen sind zuletzt unbesetzt geblieben. Dabei versuchten es die Betriebe bereits mit Schulabgängern, die sie früher wegen schlechter Noten abgelehnt hätten, wie Bührig berichtet. Nur 13 Prozent aller Erwerbstätigen in Brandenburg entfallen ihm zufolge auf das Handwerk, aber 28,7 Prozent der Auszubildenden erlernen einen Handwerksberuf. Viele wandern dann beispielsweise in die Industrie ab. »Es gibt Eltern, die denken, ihre Kinder können nur glücklich werden, wenn sie Abitur haben und ein Studium absolvieren«, beklagt Bührig, der selbst Jura studierte. In Potsdam werde ein Gymnasium nach dem anderen eröffnet, doch die Oberschulen geraten unter Druck, bedauert er.
Sylke Radke erinnert, dass es früher geheißen habe: »Sei schlau, geh zum Bau!« Später dann: »Sei nicht dumm, kehre um!« Radke erläutert, dass Bauhandwerk nicht nur Schippen und Stress bedeute. Sie verweist auf die Lindstädt Bau GmbH in Heideland bei Finsterwalde, die zu den Pionieren des 3D-Drucks für Betonteile gehöre. Durch diese Technologie müsse der Beton nicht mehr mit Brettern verschalt werden.
Mit derart moderner Technik lässt sich die Jugend vielleicht ködern. In der Regel wird heute Handwerker, wer bei einem Praktikum oder in der Werkstatt von Vater oder Großvater »anfassen« durfte, erzählt Reinhard Porazik vom Gewerkschaftsbund DGB. Er verlangt ein günstiges Azubi-Ticket für Bus und Bahn und bezahlbares Wohnen für Lehrlinge. Außerdem meint Porazik, Brandenburg sollte über eine Ausbildungsplatzumlage nachdenken, wie sie in Berlin diskutiert wird.
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