Großhandel Brandenburg: Streik und Razzia im Rewe-Lager

Am dritten Streiktag im Großhandel in Oranienburg gab es unfreiwillige Unterstützung vom Zoll

Gegen Mitternacht verließen etliche Beschäftigte ihren Arbeitsplatz gen Streikposten.
Gegen Mitternacht verließen etliche Beschäftigte ihren Arbeitsplatz gen Streikposten.

Es ist nur noch eine kleine Gruppe von fünfzehn Männern, die am Donnerstagmorgen in einem Gewerbegebiet nahe Oranienburg neben einem Imbisswagen und zwei Pavillons steht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich ein Logistiklager von Rewe. Dass die Gruppe mal um einiges größer war, davon zeugt ein Haufen gelber Westen, der auf einer Bierbank liegt. »Einige haben direkt um 0 Uhr ihre Schicht, die bis 2 Uhr gehen sollte, abgebrochen und sind in den Streik getreten«, sagt Gewerkschaftssekretär Markus Hoffmann-Achenbach. »Irgendwann waren sie breit und sind dann nach Hause gefahren.«

Nach Montag und Dienstag ist es nun der dritte Tag, an dem der Streikposten symbolisiert, dass sich die Beschäftigten im Arbeitskampf befinden. Auch Freitag soll der Warnstreik noch fortgesetzt werden.

Es geht um einen neuen branchenübergreifenden Tarifabschluss für den Großhandel. Seit Juni verhandelt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit dem Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB). Verdi fordert Lohnerhöhungen von 13 Prozent, mindestens jedoch 400 Euro mehr im Monat. Auszubildende sollen »überproportional« mehr bekommen. Dabei soll der Tarifvertrag nicht länger als zwölf Monate laufen. Und er soll wieder für allgemeinverbindlich erklärt werden. Demnach würde der Tarifvertrag auch für diejenigen Arbeitgeber gelten, die nicht dem HBB angeschlossen sind oder die den Branchentarifvertrag nicht anerkennen.

Das letzte Angebot der Arbeitgeber belief sich auf ein Lohnplus von 5,1 Prozent für 2023, weitere 2,9 Prozent in 2024 und jeweils 700 Euro Inflationsausgleich. Der Handelsverband Deutschland (HDE) erklärte zuletzt, dass die Gewerkschaften die Verhandlungen blockieren würden und empfahl seinen Mitgliedern selbstständig die Löhne entsprechend ohne Tarifabschluss zu erhöhen. Die Rewe-Gruppe hat angekündigt, für den Großhandel die 5,1 Prozent mehr ab Oktober zu zahlen.

Am Streikposten in Oranienburg ist die Meinung dazu einhellig: »Die zahlen das nicht freiwillig, sondern wegen der Streiks, und es ist ein Versuch, die Streikfront zu brechen«, sagt einer der Versammelten, der auch Mitglied der Tarifkommission ist. Franziska Foullong, Verhandlungsführerin bei Verdi sieht es ähnlich: »Wir beobachten eine Blockadehaltung der Arbeitgeber, die sich langsam aber sicher aus der Sozialpartnerschaft verabschieden.« Mit Blick auf die lokale Leitung berichtet ein Lagerist, dass Müttern, die am Streik teilgenommen hätten, die »Muttischichten« genommen würden, welche die Kinderbetreuung sicherstellen. »Das Signal ist – wir sollen die Füße still halten.«

Anders als im Einzelhandel ist die Mehrheit der Beschäftigten männlich. Gearbeitet wird im Schichtbetrieb. Die Tätigkeit ist körperlich zum Teil sehr belastend: Im Tiefkühlbereich herrschen Temperaturen von -25 Grad, die Arbeiter*innen müssen über die Schicht verteilt mehrere Tonnen heben.

»Die Großhandelsunternehmen behaupten stur, sie seien die Coronaverlierer, dabei gehört Rewe zu den Gewinnern«, sagt Hoffmann-Achenbach. Die Rewe-Gruppe hatte 2022 ihren Umsatz im Branchenvergleich um starke 10,4 Prozent steigern können. Dennoch machte der Konzern Verluste, da er nach eigener Aussage die Inflation nicht vollständig auf die Verbraucherpreise umgelegt hatte.

Neben mehr Geld geht es aber auch um Wertschätzung. »Warum werden wir nicht als relevant angesehen?«, fragt einer der Streikenden. Zahlreiche Bekannte hätten ihm berichtet, dass während der Streiks in den Regalen der Supermärkte Zettel mit dem Hinweis aushingen, dass Ware aufgrund der Arbeitausstände fehle. »Ohne uns würden die Regale leer sein«, sagt er.

»Es ist moderne Sklaverei«, sagt ein weiterer mit einer gelben Verdi-Weste. Teilweise würden vorgesehene Acht-Stunden-Schichten spontan auf neun Stunden verlängert. »Ich habe eine Abmahnung bekommen, als ich aufgrund eines Arzttermins pünktlich Feierabend gemacht habe«, sagt ein anderer. »Es ist hier Chaos, wir wollen ja unsere Arbeit machen, aber wir können nicht«.

Bis zum Jahresende würden 120 Beschäftigte den Standort verlassen, sagt Gewerkschafter Hoffmann-Achenbach. Ebenso viele hätten sich bisher an den Streiks beteiligt. Insgesamt arbeiten 650 Menschen auf dem 73 000 Quadratmeter großen Komplex, von dem nach Unternehmensangaben Supermärkte von Rügen bis Südbrandenburg beliefert werden.

»Das Schöne ist, dass wir immer mehr werden«, sagt ein Streikender. »Wir haben hier 2019 mit sieben Mitgliedern angefangen. Mittlerweile sind wir 200«, sagt Hoffmann-Achenbach. Dennoch sei die Organisierung noch ausbaufähig. Insbesondere unter den Fahrer*innen und beim Wareneingang sei noch Luft nach oben.

Auf einmal bricht Jubel in der Gruppe aus: »Der Zoll ist da, der Zoll ist da!«, rufen sie. Eine Reihe von unauffälligen Pkw hat an der Schranke gehalten. Einer der Versammelten zeigt den Chatverlauf seines Handys. Dort fragte am frühen Morgen ein Kollege: »Warum sind heute so viele Leiharbeiter da?« Während eines Streiks ist der Streikbruch durch Leiharbeit, die über das sonst übliche Maß hinausgeht oder in anderen Abteilungen als gewöhnlich stattfindet, unrechtmäßig. Ob die Kontrolle damit zusammenhing, ließ die zuständige Staatsanwaltschaft Berlin bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Unabhängig davon hat die Kontrolle unbeabsichtigt den durch den Arbeitsausstand stockenden Betrieb weiter geschwächt.

Eine Einigung im Tarifstreit liegt indes in weiter Ferne. Es ist durchaus möglich, dass sich ein Abschluss noch bis 2024 zieht. In einer Pressemitteilung von Verdi hieß es bezeichnenderweise schon: »Weihnachten steht vor der Tür. Verdi und die Beschäftigten auch.« Verhandlerin Foullong antwortet auf die Frage, ob die Gewerkschaft den Kampf durchhalten könne: »Die Streikmacht ist nach wie vor da, die Beschäftigten sind sehr wütend und stehen hinter ihren Forderungen.«

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