Die Odyssee der kranken Dhespina

Sachsen muss zu Unrecht nach Albanien abgeschobene Jugendliche samt Familie zurückholen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Wendung zum Guten verzögert sich. Als Dhespina und ihre Familie am Dienstag um vier Uhr früh in Tirana ein Flugzeug nach Deutschland besteigen wollten, seien sie von der Polizei zurückgehalten worden, sagte ihr Anwalt Leo Matthias Waltermann. Womöglich habe ein Papier der Landesdirektion Sachsen (LDS) »nicht überzeugt«, mutmaßte er. Ein Behandlungstermin der 16-Jährigen am Mittwoch im Universitätsklinikum Dresden war damit hinfällig. Allerdings dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie wieder zurück im Freistaat sind – von wo man sie vor zweieinhalb Wochen abgeschoben hatte.

Der Fall hatte vor allem deshalb für Aufsehen gesorgt, weil Dhespina schwer krank ist. Sie leidet an der Erbkrankheit Mukoviszidose, an der viele Betroffene ohne angemessene medizinische Behandlung noch im Kindesalter sterben. In Albanien gebe es nur eine entsprechende Klinik, und viele notwendige Medikamente seien nicht verfügbar, erklärte der Mukoviszidose Bundesverband nach der Abschiebung und äußerte sich »entsetzt« über den Schritt. Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat (SFR) sprach von einer »groben ethischen Missachtung der gesundheitlichen Lage einer schwer kranken Minderjährigen«.

Diese war 2019 mit ihren Eltern und ihrer Schwester in die Bundesrepublik gekommen. Die Familie hatte einen Asylantrag gestellt, der aber als »offenkundig unbegründet« abgelehnt wurde, weil Albanien als sicheres Herkunftsland gilt. Wohl wegen der Erkrankung wurde aber immerhin eine Duldung erteilt. Das Sozialamt übernahm die Kosten der Behandlung. Die Atmung der Patientin habe sich verbessert, sagte Burak Uslu vom Uniklinikum, betonte aber: »In dieser Phase die Therapie zu unterbrechen, kann fatale Auswirkungen haben.« Dhespina gilt als gut integriert. Sie besuchte im sächsischen Mittweida die 8. Klasse der Oberschule und erzielte in Kernfächern gute Noten, berichtete die örtliche »Freie Presse«. Jetzt aber kam die Abschiebung. Die Familie wurde um fünf Uhr morgens zum Flughafen gebracht. Eine Bescheinigung über eine Reiseunfähigkeit habe die Behörden zu spät erreicht, hieß es; ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht scheiterte.

Derart dramatische Abschiebefälle gibt es in Sachsen immer wieder. Im Juni wurde ein 31-Jähriger nach Pakistan abgeschoben, nachdem ihn die Polizei bei einem Termin im Gesundheitsamt abgepasst hatte. Im November 2021 wurde ein aus Tschetschenien stammender Siebenjähriger in Delitzsch auf dem Weg zum Hort von der Bundespolizei geschnappt und mit Mutter und Großmutter abgeschoben. Im gleichen Jahr war eine neunköpfige, gut integrierte Familie aus Pirna nach Georgien abgeschoben worden, obwohl etliche der Kinder hier geboren worden waren. Erst ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das die Abschiebung für rechtswidrig erklärte, ermöglichte die Wiedereinreise.

Im Fall von Dhespina brauchte es kein Gericht. Die Rückholung ordnete CDU-Innenminister Armin Schuster an. Es verwies auf einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis, der beim Landkreis gestellt wurde und »erfolgversprechend« gewesen sei, was einer Abschiebung entgegenstehe. Darüber sei die Landesdirektion aber »entgegen der bestehenden Vorgaben« nicht informiert worden, rügte er. Mittelsachsens parteiloser Landrat Dirk Neugebauer räumte ein Versäumnis ein, sagte der »Freien Presse« aber, man habe die Behörde schon im Juni über »Abschiebehindernisse« informiert. Der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter sagte dem »nd«, er könne »verstehen, dass Behörden Fehler machen« und nannte es »respektabel«, wenn diese eingeräumt würden. Zugleich bezeichnete er es als »schäbig«, dass der Minister die Schuld nun allein dem Landkreis zuweise und die Landesdirektion ausnehme.

Die Linksabgeordnete Jule Nagel übte grundsätzliche Kritik. Sie verwies auf einen Leitfaden für »rechtskonforme« Abschiebungen, auf den sich die Koalition aus CDU, Grünen und SPD Anfang 2022 nach langem Ringen geeinigt hatte, der aber bei betreffenden Einrichtungen nicht angewendet werde und teils nicht einmal bekannt sei: »Er ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben wurde.« Dhespina sei kein Einzelfall. Immer wieder würden sächsische Behörden »gut integrierte und schutzbedürftige Menschen rauswerfen«. SPD und Grüne sollten darauf drängen, dass der Leitfaden in den Ausländerbehörden bekannter gemacht, dort eingehalten und außerdem überarbeitet werde. Die Linke plädiere ohnehin dafür, Ermessensspielräume großzügiger zu nutzen.

Im Fall von Dhespina ist prinzipiell klar, dass die Abschiebung revidiert wird. Wann genau sie zurückkehrt, ist aber offen. Anwalt Waltermann sagte dem »nd«, er hoffe auf ein erfolgreiches Gespräch zwischen der deutschen Botschaft in Tirana und den albanischen Behörden, das es der Familie erlaube, in die Bundesrepublik zurückzukehren. Deren Wohnung, hatte der Landrat erklärt, werde weiter »vorgehalten«.

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