Erkners rechtsradikale Verschwörungsszene treibt seltsame Blüten

Jeden Montag zieht in Erkner ein Trommelmarsch durch die Straßen

  • Benjamin Beutler, Erkner
  • Lesedauer: 8 Min.
Die Montagsmärsche von Erkner im östlichen Berliner Umland wirken auf den ersten Blick skurril, und es wird viel Unsinn kundgetan. Die Szene ist aber stramm rechts und gefährlich.
Die Montagsmärsche von Erkner im östlichen Berliner Umland wirken auf den ersten Blick skurril, und es wird viel Unsinn kundgetan. Die Szene ist aber stramm rechts und gefährlich.

»Für euch gehn wir auf die Straße, macht mit!«, ruft eine Frau mit Trommel vorm Bauch in Richtung Passanten am Straßenrand. Es ist Montag, Spätsommer, heiß. Im Sandalentempo zieht die kleine Demo über den warmen Steinplatten-Fußweg der Friedrichstraße, benannt nach den preußischen Königen. Einige laufen barfuß. An der Endstation der Berliner S-Bahn im Osten der Hauptstadt begrüßt ein schwarzes Graffiti Anwohner, Ausflügler und Pendler: »DDR 2.0 – Nein Danke!« Viele arbeiten in der neuen Tesla-Fabrik, die nur ein paar Bushaltestellen weiter im märkischen Sand steht.

Gellend peitschen die Töne der Marschiertrommeln gegen Häuserwände, Körper und Köpfe. Eine seltsame Alarmstimmung macht sich breit. Drei Jungs kommen aus einer Ladenzeile herausgestolpert. »Braucht ihr gar nicht so doof zu lachen, habt in der Schule wohl nicht aufgepasst! Wir machen das für euch!«, schreit die Trommelfrau durch die Abendluft. Der Nachwuchs in Jogginghosen und Sneakern sieht das anders: »Verpiss dich, du Olle!«, ruft einer ihr nach. Ein schwarzer Golf fährt vorbei und grüßt die Demo-Schar mit froher Autohupe.

Ein paar Meter spielt ein Trompeter »Yesterday«, Beatles. Ist das eine ironische Kritik an den Montagsdemonstranten? Die sind auch nach der Corona-Pandemie wütend. Mit durchgedrücktem Rücken am Notenständer stehend, pustet der Bewohner des Plattenbaus in sein Blechinstrument. Über ihm recken Schaulustige im Rentenalter ihre grauen Köpfe über die Balustrade der mit Geranien bewachsenen Balkone. Auf der Demo wehen russische Fahnen, mit Russland stehe man nicht im Krieg, heißt es. Vielmehr sei ein »korrupter Clown« der Präsident der Ukraine.

»Ich selbst fühle mich reich«, erzählt der Mitte 40-jährige Musiker drauflos. Groß geworden ist er an der Mauer. In Glienicke, auf der Ostseite, »eine tolle Kindheit«. Zur Wende war er 14. Ein kleiner Trompeter, das war er schon damals als Knabe, spielte in einer Blaskapelle. Sein Großvater kämpfte an der Ostfront, war dann Kriegsgefangener »bei den Russen«. Nach der Rückkehr baute Großvater als »rechte Hand des DDR-Innenministers das ABV auf«, das Polizeinetz der Abschnittsbevollmächtigen, berichtet der Mann. Seinen Stolz auf die Familiengeschichte kann er kaum verbergen. Dann wird die Stimme bedeutsam, seine Augenbrauen ziehen sich hoch und zeichnen tiefe, wichtige Falten. Beide Eltern waren Lehrer, die Aufbaugeneration des neuen, des anderen Deutschlands. Mutter war nicht in der SED, »aber für die Partei«. Vater Genosse. Als gelernter Schlosser sattelte der nach einem Parteiaufruf früh auf Lehrer um, lief Streife an der Mauer. Nach der Wende aber galten die alten Wahrheiten seiner Eltern, seine eigenen Wahrheiten »von einem Tag auf den anderen nichts mehr«, blickt der Trompeter zurück.

Etwas treibt ihn um. »Der Staat hilft den eigenen Bürgern nicht mehr«, ärgert er sich, die kommunale Wohnungsbaugenossenschaft »hat den Ukrainern sofort 30 Wohnungen freigemacht«. Nein, er habe keine Probleme mit Wohnung und Miete. Er arbeite für die Stadt. Wer nach Deutschland komme, der »muss halt nützlich sein, nicht abkassieren«, und sich ans »Gastrecht« halten. Nein, hier in Erkner gebe es keine Probleme. Aber in Berlin, oder? Die Stimmung, »die ist halt schon sehr vergiftet«.

Er habe bisher »zwischen SPD und CDU« gewählt. Aber heute, »also heute weiß ich nicht, was ich wählen soll«. Das müsse man wie in der Schweiz machen, da müssten die Ukrainer »erst mal ihre Karren verkaufen«. Auch wenn es in Erkner keine Probleme mit Zugewanderten gibt, so hat er Angst, »weil die Politik durch zu viel Einwanderung Hass schafft«. Seine Theorie ist die: »Damals waren andere die Sündenböcke. Schaut mal, denen geht’s gut, und euch nicht.« Sorgsam umschifft er die Worte Juden und Holocaust.

Die Stadtverwaltung erlaubt die Trommelmärsche: »Na klar, die Meinungsfreiheit gilt, das Grundgesetz.« Nein, Deutschland, das ist »natürlich keine Diktatur«. Aber die Demonstranten, »das sind schätzungsweise 200 Leute, das sind auf keinen Fall alles Nazis«. Er raucht noch eine. Rechte und Anti-Demokraten seien eine Gefahr, »die haben aus der Geschichte nichts gelernt«. Dass das »Compact«-Magazin, dessen Slogans und Fahnen die Kleindemo bestimmen, rechtsradikal und menschenfeindlich ist, »das wusste ich gar nicht – wirklich? Da muss ich mich noch mal schlaumachen.«

Früher war immer ein AfD-Bus mit Banner auf der Demo dabei. Der Song »Yesterday« sei übrigens keine Kritik an der Demo: »Eigentlich wäre ja die Marseillaise der geeignete Song.« Einen Montag später tritt Björn Banane auf, »eine der viel gehörten deutschen Stimmen des Widerstands und der Wahrheit«. Banane ruft zu »Widerstand auf der Straße« auf. Mit dem Mikro in der Hand und schräger Stimme singt der adlige Die-Basis-Politiker Wilfried von Aswegen »Die Gedanken sind frei«. Die Woche darauf steht der Trompeter wieder da. Diesmal unterm Baum, die Trommeln verstummen, es gibt »Monday Monday« von The Mamas And The Papas.

Die Telegram-Chatgruppe der Montagsspaziergänger nennt sich »Austausch Erkner«. Ein Videoschnipsel mit Deutschlands Außenministerin wird dort geteilt: »Der Todesstoß für die Deutschen! Baerbock will acht bis zehn Millionen Geflüchtete aufnehmen!« Es gibt Likes dafür. Die Bundesregierung habe vor, »300 Milliarden Euro für die Klimalüge« auszugeben. »Wir verlieren unsere Häuser und Wohnungen, die bekommen die Asylanten, und wir haben ein Zelt am Stadtrand.« Es gibt Aufrufe, sich zu wehren. »Ihr wollt die Wahrheit zu Bill Gates und seiner Mückenfabrik: Jede Woche werden 30 Millionen gentechnisch veränderte Mücken in elf Ländern freigesetzt.« Like! Daumen hoch! Der »weltweit größte Massenmord« werde vorbereitet, »die Impfung war nur der Anfang«, es wird »ein Auschwitz 2.0 installiert«. Eine Warnung vor giftigen Chemtrails erfolgt: »Heute wurde wieder gesprüht!« – Trinkwasser vergiftet! Kinder geschändet! Geschlechter abgeschafft! Die Wahrheit werde siegen.

In einer Scheune im Landsitz Gut Gosen steht ein Redepult mit gekreuzten Mistgabeln. Der Weg führt über die Geschwister-Scholl- und Walther-Rathenau-Straße. Mittags geht es los. Beim Treffen »Bauern tot – alle in Not« zwischen Strohballen und Plastikstühlen geht es heimlich zu. »Die genaue Adresse des Veranstaltungsorts wird aus Sicherheitsgründen erst einen Tag vor der Veranstaltung per E-Mail verkündet. Dieser befindet sich in der Nähe von Erkner. »Wir bitten darum, den Veranstaltungsort an keinen weiterzugeben«, heißt es. »Der Einlass erfolgt nach Ausweiskontrolle.«

Dem Beginn wird entgegengefiebert: Ein alter Herr im Breezy-Rollstuhl liest »Epoch Times«, ein antikommunistisches Fake-News-Blatt der Falun-Gong-»Meditationsbewegung«, die mit einem Kamerateam vor Ort ist. Dessen Enkeltochter schmökert in »Homöopathie für Tierzucht«. Ein Sitznachbar trägt ein schwarzes »Compact«-Shirt, auf dem steht: »Wir sind frei«. Ein anderer mampft Käsestulle, die Preußenfahne auf den Rücken genäht. Jetzt spielt Posaunist Frank einen Jagdruf. Applaus!

Peter Guhl ist Milch- und Ackerbauer. Der Gastgeber lobt das »Kaiserwetter« und eröffnet mit einem forschen »Auf zur Jagd!«. Schnell fängt er sich, »wir müssen ein bisschen aufpassen«. Ihm werde von »den Medien« und »in Berlin« alles Mögliche vorgeworfen, auch Antisemitismus: »Wir wollen hier heute niemanden jagen.« Aber Angst habe er keine mehr, jetzt heiße es, »den Kopf aus der Deckung« zu nehmen, gegen die »Nitratlüge« und gegen die da oben. Knapp 80 Landwirte samt Anhang sind aus der ganzen Region angereist. Mercedes, Volkswagen und Audis stehen Reih und Glied auf der Weide, weiter hinten fließt ruhig die Spree vorbei.

Markus Krall, der wegen seiner Demokratieabneigung jüngst von seinem CEO-Posten der Degussa Goldhandel GmbH vor die Tür gesetzt wurde, hält einen Vortrag. Mit Parteigründungsambitionen im Gepäck warnt der Crash-Prophet vorm Niedergang Deutschlands. Die »linke Presse, die Systemmedien, die üblichen Verdächtigen würden ihn dafür in die rechte Ecke stellen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) setze auf »Stasimethoden«. Sie reise mit »Armbinden in ferne Länder, vielleicht weil sie meint, dass das Tragen von Armbinden im Ausland eine der schönsten deutschen Politikertraditionen ist. Hatte Großpapa schon drauf.« Er meint damit den Besuch der Innenministerin bei der Fußball-WM in Katar im vorigen Jahr. Beim Spiel der deutschen Mannschaft gegen Japan trug sie eine »One Love«-Armbinde. Übrigens alles Satire, sichert der Scheunenschreier seine justiziable Hassrede auf die durch »Negativauslese« an die Macht gekommenen Kabinettsmitglieder ab. Höhnisches Lachen! Doch 2025, »da kommt die Wende und dann werden wir den ganzen Müll über Bord werfen«. Applaus!

Viele Redner, Wahrheiten und Widerstandsaufrufe später tritt noch ein Entlassener ans Mistgabelpult. Hans-Georg Maaßen, dem die Regierung sechs Jahre lang den Schutz der deutschen Verfassung anvertraute, spricht sein Scheunenbekenntnis. Er sei »ein Populist«. Ein »Ketzer«, weil er »nicht an den menschengemachten Klimawandel glaube« wie die »durchgeknallten, bildungsfernen Berufspolitiker«. Er sei »gegen die ökosozialistische Bundesregierung«. Meinungsfreiheit genössen nur deren Unterstützer, gedeckt werde sie von den »Staatsmedien, die Prätorianer, der Schutzschirm der herrschenden Politik«, weiß der gefeuerte Geheimdienstchef. Die »ideologisch verblendeten Fanatiker« seien dabei, Deutschland »seit über 50 Jahren« zu schaden. Auch seine gute alte CDU und Angela Merkel seien Teil dieser »Unterwanderung«.

Ziel sei es, »einen sozialistischen Staat zu errichten«, geplant werde »eine andere Gesellschaft, eine transformierte Gesellschaft«, mit Enteignung, Gendersprache, Homoehe, und die sogar »mit Kindern von einer Leihmutter«. Die Regierung, diese »ideologische Clique«, wolle sich »das Volk selber aussuchen«, sie »will Masseneinwanderung« und Hungersnot schaffen«. Dagegen brauche es Widerstand, weil das alles »gegen das Bonner Grundgesetz und darum verfassungsfeindlich ist!« Applaus! »Wir sind die Mehrheit«, kommt Maaßen zum Höhepunkt, »täglich werden Dutzende Deutsche aufgeweckt!« Bravo! Applaus! Er schaut auf die Uhr. Punktlandung. Es ist 19.33 Uhr.

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