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Tödliche Schüsse auf Lorenz A. Thema im Landtag

Am Sonntag wird wieder für Aufklärung demonstriert

  • Friedrich Kraft
  • Lesedauer: 4 Min.
Am kommenden Sonntag wird in Oldenburg wieder für Gerechtigkeit für Lorenz demonstriert.
Am kommenden Sonntag wird in Oldenburg wieder für Gerechtigkeit für Lorenz demonstriert.

Der tödliche Polizeieinsatz gegen den 21-jährigen Lorenz A. in Oldenburg beschäftigt nun auch offiziell die Landespolitik. Am Donnerstag erörterte der Niedersächsische Landtag in einer Sondersitzung des Innenausschusses den Fall und bisherige Erkenntnisse. Für eine politische Aufarbeitung des Geschehenen kann dies nur ein erster Schritt gewesen sein – vieles blieb offen, vieles unbeantwortet.

Nach bisherigen Ermittlungen fielen in der Osternacht fünf Schüsse aus der Dienstwaffe eines 27-jährigen Polizeibeamten. Mindestens drei Projektile trafen den flüchtenden Lorenz A. von hinten – in den Kopf, den Oberkörper und die Hüfte. Ein vierter Schuss streifte seinen Oberschenkel; ein fünfter verfehlte. Diese Obduktionsbefunde schockierten viele.

Die Landesregierung sah sich genötigt, frühzeitig Transparenz zu demonstrieren. Binnen gut zwei Wochen stand der Fall auf Initiative der CDU-Fraktion auf der Tagesordnung. Die Sitzung fand im großen Forum des Landtags statt, zahlreiche Zuschauer*innen verfolgten die Unterrichtung – viele aus Hannover, manche eigens aus Oldenburg angereist. Die Atmosphäre war angespannt, konzentriert – und stellenweise auch wütend.

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Martin Speyer, entsandt vom niedersächsischem Justizministerium, schilderte den Tathergang, wie ihn die bisherigen Ermittlungen rekonstruiert hätten: Lorenz A. sei in einer Diskothek abgewiesen worden, woraufhin es zur Auseinandersetzung kam. A. habe ein Glas geworfen und Pfefferspray versprüht, sei dann geflüchtet. Als ihn Verfolger stellen wollten, habe er sie mit einem Messer auf Abstand gehalten. Es folgten mehrere Notrufe. Eine erste Streife erreichte kurz darauf die Gegend, konnte A. aber nicht stellen. Auf der Achternstraße kam es schließlich zur tödlichen Begegnung.

»Das war eine Hochstress-Situation«, betonte hingegen Landespolizeipräsident Axel Brockmann im Ausschuss mehrfach – ein Begriff, der hier Schlüssel für die Deutung des Geschehens wird. Heute scheint auch wichtig, der Rolle des Messers eine neue Nuance hinzuzufügen: Nachdem zunächst fälschlich behauptet worden ist, A. habe die Beamten direkt bedroht, rückt nun die vorherige Funkwarnung über das Messer in den Fokus. Der Streifenpartner des Schützen, so wird im Ausschuss berichtet, gibt nun an, der 21-Jährige habe in seine Jackentasche gegriffen und sei trotz lautstarker Aufforderung nicht stehengeblieben. Er sei an der Fahrerseite des Wagens vorbeigerannt – in diesem Moment fielen die Schüsse. Beide Männer seien zu Boden gegangen. Neben dem kurz später für tot erklärten Lorenz A. wurde Pfefferspray sichergestellt; der Polizist kam mit einer Augenreizung ins Krankenhaus.

Freund*innen von Lorenz A.
Freund*innen von Lorenz A.

Warum A. von hinten getroffen wurde, konnten oder wollten Speyer sowie Bockmann heute noch nicht erklären. Videoaufnahmen – eine davon mit Ton – würden derzeit vom LKA ausgewertet. Bodycam-Aufnahmen lägen nicht vor. Schmauchspuren, Schusswinkel und ballistische Gutachten sollen nun weitere Aufschlüsse liefern. Auch das Handy des Polizisten wurde sichergestellt. Gegen ihn wird wegen Totschlags ermittelt.
Einen Punkt stellte Brockmann im Ausschuss jedoch klar: »Entgegen zahlreicher Berichte wurde der Beamte nicht suspendiert.« Er sei derzeit nicht dienstfähig, werde psychologisch betreut – über das Wohlbefinden des Beamten wurde im Ausschuss teils intensiver gesprochen als über das der Angehörigen, mahnten Zuschauende später gegenüber »nd«.

Laut Justizministerium gebe es »keine Anhaltspunkte für eine rassistische Motivation« – ein Satz, der bei den Zuschauenden Fragen aufwarf: Was zählt überhaupt als solcher »Anhaltspunkt«? Wo verläuft die Grenze zwischen individueller Motivation und strukturellem Rassismus? Eine Definition wurde im Ausschuss und auch anschließend auf Nachfrage vor den Türen des Landtagsforums nicht geliefert.

Schon kurz nach dem Tod hatten sich in Oldenburg und anderen Städten Proteste formiert. Im Ausschuss wurde von zehn »versammlungsrechtlichen Aktionen« berichtet. Viele sehen Parallelen zu früheren Fällen tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze oder anders marginalisierte Personen. In persönlichen Gesprächen nach der Sitzung werden Namen genannt – Lamin Touray, Qosay Khalaf  – und Fragen nach Muster und Verantwortung gestellt. Beide Namen stehen für ähnliche Fälle in Niedersachen, fielen jedoch nicht in der offiziellen Ausschusssitzung. Grünen-Politikerin Diallo-Hartmann brachte es im Ausschuss auf den Punkt: »Man muss genau schauen, welche Menschen von Polizeigewalt betroffen sind.« Eine systematische Erfassung rassistischer Diskriminierung fehle bislang.


Die Initiative Gerechtigkeit für Lorenz fordert deshalb eine unabhängige Untersuchung. Doch zuständig ist die Polizeiinspektion Delmenhorst – Teil derselben Direktion wie das Oldenburger Revier. Während zeitlich fast parallel zur Ausschusssitzung Lorenz A. in kleinem Kreis in Oldenburg beigesetzt wurde, wird am Sonntag erneut für ihn demonstriert: Ab 14 Uhr soll sein 22. Geburtstag begangen werden – in der Realität zum Gedenken umgewidmet.

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