Energiekosten steigen für Arme stark

Für Haushalte mit geringeren Einkommen sind die höheren Preise eine enorme Herausforderung

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit mit dem Ukraine-Krieg die Erdgaslieferungen aus Russland nach und nach weggefallen sind, erleben viele Menschen in Deutschland eine Explosion der Energiepreise – mit der zugleich gefühlten Ungerechtigkeit, sozial schwächere Haushalte würden besonders stark unter den Kosten leiden. Allgemein herrscht der Eindruck vor, daran hätten auch die Preisbremsen bei Strom und Gas wenig geändert.

Wie real die gefühlte Mehrbelastung gerade für ärmere Haushalte ist, bestätigt eine am Montag veröffentlichte Umfrage des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen. Das Gremium hatte zusammen mit dem Umfrageinstitut Forsa genaue Daten von mehr als 4400 Haushalten erhoben.

Danach haben die Haushalte seit März 2022, kurz nach Kriegsbeginn, im Schnitt monatlich 52 Euro mehr für Strom und Heizung zu zahlen – eine Steigerung um ein Drittel. Für Haushalte mit mittleren Einkommen liegt die Belastung bei 57 bis 60 Euro monatlich, für wohlhabende Haushalte um die 50 Euro.

Ähnlich hoch fiel mit 45 Euro über die Zeit der Aufschlag für die einkommensschwächsten Haushalte aus. Gerade bei diesen habe die Belastung durch Energiekosten »besonders stark« zugenommen, stellt Sachverständigenratsmitglied Veronika Grimm am Montag fest.

Mussten im März 2022 ärmere Haushalte zwölf Prozent ihres Einkommens für Strom und Heizung ausgeben, so belief sich dieser Anteil im Juni 2023 auf 16 Prozent. Für mittlere Einkommen erhöhte sich der Anteil von acht auf elf Prozent. Für wohlhabende Haushalte stieg die Belastung dagegen im Schnitt nur von vier auf fünf Prozent ihres Einkommens.

Haushalte mit einem Nettoeinkommen bis etwa 1330 Euro gelten dabei in der Untersuchung als am einkommensschwächsten, mittlere Einkommen reichen von rund 1800 bis 2200 Euro. Wohlhabend sind Haushalte jenseits von 2860 Euro Nettoeinkommen. Bei diesen Angaben sind zum Beispiel die Zahl und das Alter der Kinder in den Haushalten entsprechend berücksichtigt.

Beträgt der Anteil der Energiekosten mehr als zehn Prozent des Nettoeinkommens, sind die Haushalte nach Ansicht des Verbraucherrats finanziell überlastet. Im März 2022 traf dies laut Umfrage auf rund ein Viertel aller Haushalte zu, im Juni 2023 waren es schon mehr als 40 Prozent, darunter neun von zehn der einkommensschwächsten Haushalte.

»Die Energiearmut hat substanziell zugenommen«, betont Veronika Grimm angesichts der Ergebnisse. Für sie besteht politischer Handlungsbedarf. »Kurz- und mittelfristig sollte das Ausmaß der Energiearmut in Deutschland nochmal eingehender untersucht werden«, meint die Volkswirtschaftlerin.

Ursachen für die gravierenden Unterschiede liegen dabei nicht nur in der Einkommenshöhe. Ärmere Haushalte wohnten auch öfters zur Miete und in schlechter isolierten Wohnungen, erläutert Grimm weiter. Auch heizten sie häufiger mit Öl und Gas – Energieträger, die sich besonders stark verteuerten. Der Anteil von Öl und Gas bei ärmeren Haushalten beträgt nach den Angaben etwa 84 Prozent, bei den Wohlhabenden lediglich 76 Prozent. Letztere heizen auch überdurchschnittlich viel mit Wärmepumpen oder Biomasse, also Technologien, die mit niedrigeren Heizkosten verbunden sind, wie der Sachverständigenrat betont. Konsequenz all dessen ist der Studie zufolge, dass der Energiebedarf des Hauses pro Quadratmeter umso höher ausfällt, je niedriger das Haushaltseinkommen ist.

Auch Möglichkeiten zum Energiesparen hängen laut den Ergebnissen stark vom Einkommen ab. Haushalte im unteren Einkommensbereich hätten sich zwar sehr große Mühe gegeben, Energie zu sparen. Dennoch sei im oberen Einkommensbereich das realisierte Einsparpotenzial höher, erklärt Grimm. Diese Haushalte hätten einfach mehr finanzielle Möglichkeiten, die Wohnungen besser zu isolieren, eine neue Heizung zu installieren oder einfach auch Räume ungeheizt zu lassen.

Die Umfrageergebnisse zeigen aber auch, dass die Preisbremsen bei Strom und Gas durchaus ihre Wirkung taten. »Der Höhepunkt der Kostensteigerung scheint für die meisten Haushalte überschritten zu sein«, erläutert Grimm. Dennoch bewegten sich die Energiekosten weiter auf höherem Niveau als vor der Krise.

Das wird laut dem Sachverständigenrat mittelfristig auch so bleiben. Das Gremium spricht sich deshalb für eine Verlängerung der Preisbremsen für Gas und Strom bis Ende April 2024 aus – auch wenn die Bremsen die Kostensteigerung nicht komplett abfangen, sondern nur auf ein möglichst erträgliches Maß deckeln könnten, so Grimm.

Der Rat plädiert auch dafür, die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung von Kraft- und Brennstoffen in Form des Klimageldes an die Bevölkerung zurückzugeben. Davon könnten Haushalte im unteren Einkommensbereich unterm Strich profitieren.

Ob die Preisbremsen bis April nächsten Jahren verlängert werden – dazu kann das Bundesumweltministerium anlässlich der Präsentation der Kostenstudie nichts weiter sagen. Man hoffe, dass die EU-Kommission die Verlängerung zeitnah genehmige, sagt die zuständige Staatssekretärin Christiane Rohleder am Montag. Ihr Ministerium setze sich ebenfalls dafür ein, dass Haushalten auch im kommenden Winter Strom und Gas nicht abgestellt werden, so Rohleder. Hier wolle man zudem eine generelle Entfristung erreichen, so die Staatssekretärin. Diese Schutzregeln sollten dauerhaft gelten.

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