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Halloween im Haus des Wandels: Absurdität und Fantastik

Über 30 Kunstschaffende verwandeln das Haus des Wandels im brandenburgischen Heinersdorf an Halloween in ein Labyrinth

Nicht Mord und Totschlag, sondern Absurdität und Fantasie stehen im Vordergrund des Halloween-Spektakels.
Nicht Mord und Totschlag, sondern Absurdität und Fantasie stehen im Vordergrund des Halloween-Spektakels.

Es ist ein riesiges Haus, das in Heinersdorf im Landkreis Oder-Spree am 31. Oktober zu einem Ort des fantastischen Spektakels werden soll. Einst war es eine Agrarbetriebsberufsschule, später ein Landschulheim, auch als Geflüchtetenunterkunft wurde es schon genutzt. Inzwischen ist das Haus des Wandels ein Ort für Kunst, Kultur und Politik und das Zuhause von 15 Erwachsenen und fünf Kindern.

»Wir sind ein gemeinschaftliches Wohnprojekt. Wir verstehen uns als queerfeministisch, es können hier Menschen aller Geschlechter wohnen«, sagt Pascale Müller. Sie sitzt draußen auf der Terrasse, trinkt Kaffee und hat ein sehr kleines Kind auf dem Arm. Müller wohnt seit April 2020 im Haus, das der Verein Haus des Wandels 2018 dem Land Brandenburg abgekauft hat.

Die etwa 3000 Quadratmeter Wohnfläche des Hauses auf dem 8000 Quadratmeter großen Grundstück werden aber für noch viel mehr genutzt als nur zum Wohnen. Die Gemeinde Steinhöfel mietet beispielsweise Räume für die Dorfinitiative Bibliothek und Töpferwerkstatt. Hier beteiligen sich auch viele Ehrenamtliche, sagt Müller. »Viele Menschen, die hier im Dorf leben, haben eine Verbindung zu dem Haus, sind hier etwa zur Schule gegangen oder kennen es als Arbeitgeber. Uns war es wichtig, das Haus zu öffnen für die Nachbar*innen und das Dorf«, sagt Pauline Lürig, die ebenfalls hier wohnt. Das funktioniere gut, so Müller. »Viele Menschen nehmen das hier als einen offenen Ort wahr und kommen vorbei.«

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Im letzten Jahr wurde außerdem noch das angrenzende, etwa 8000 Quadratmeter große Grundstück einer ehemaligen Brennerei dazugekauft. Hier entwickelt das Flinta-Skate-Kollektiv Hera (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen) eine Indoor-DIY-Skatehalle (Do It Yourself – Mach es selbst). »Da passiert gerade sehr viel. Wir wünschen uns, dass noch weitere Kollektive dazukommen und das Gelände mitgestalten«, sagt Lürig.

Das Haus des Wandels ist aber vor allem ein Ort für Kunst und Kulturarbeit. Zusammen mit den Kulturorten Zusane (Neuendorf im Sande) und Land Kunst Leben (Steinhöfel/Buchholz) in der Gemeinde Steinhöfel hat es sich im Kultursyndikat Dok 15518 zusammengeschlossen. Der Name steht für Dorfkunst in Verbindung mit der Postleitzahl der Region. »Wir bilden ein Kultur-Dreieck, das ein Vieleck werden will. Als Kultursyndikat wollen wir Wissen und Ressourcen zusammentragen und miteinander teilen«, erklärt Lürig. An allen drei Orten fänden Kulturveranstaltungen von Dok 15518 statt.

Eine dieser Veranstaltungen ist das große Halloween-Spektakel im Haus des Wandels. »Letztes Jahr haben dort 30 bis 40 Künstler*innen mitgearbeitet. Ich denke, das wird auch dieses Jahr wieder so sein«, sagt Ines vom Künstler*innenkollektiv »Muerbe u. Droege«, ebenfalls wohnhaft im Haus des Wandels. Im vergangenen Oktober hätten um die 300 Besucher*innen an der Veranstaltung teilgenommen.

»Das Besondere an Halloween ist, dass es ein Verschenkfest ist, das nicht wie zum Beispiel Weihnachten im Familiären stattfindet, sondern in der Nachbarschaft«, sagt Ines. Es sei schön gewesen, dass nicht nur Kunstinteressierte aus der Umgebung vorbeigekommen sind, die das Haus des Wandels kennen, sondern auch viele Anwohner*innen aus dem Dorf, die zuvor noch nicht viel Verbindung zum Haus hatten.

Thematisch werden bei dem Event nicht »Lust und Faszination an Mord und Totschlag«, sondern stattdessen »das Absurde, das Spektakel, das Fantastische« im Vordergrund stehen. Dafür hat das Kultursyndikat schon im vergangenen Jahr die Multimedia-Künstlerin Heidi Vargensdottir an Bord holen können. Diese habe ein großes Labyrinth im Erdgeschoss und im ersten Stock aufgebaut. »Letztes Jahr hatten wir aber eine große Schlange vor der Installation. Deshalb wird das Labyrinth zwar dieses Jahr etwas kleiner, aber dafür wird auch ganz viel vor dem Haus passieren«, sagt Ines.

»Es ist Performance-Kunst, aber viel niedrigschwelliger als etwa eine Kunstausstellung«, erläutert Lürig. Der Spaß an Verkleidungen und am Eintauchen in eine Fantasiewelt erreiche viele Menschen, die mit anderen Kunstveranstaltungen weniger anfangen können. »Wir haben uns für dieses Jahr das Motto ›Tiefsee‹ überlegt, aber natürlich können alle so kommen, wie sie Lust haben.«

Dass das Halloween-Spektakel im Haus des Wandels in einer solchen Größenordnung von Dok 15518 auf die Beine gestellt werden kann, ohne Eintrittspreise verlangen zu müssen, liegt an einer Förderung für Kulturprojekte im ländlichen Raum des Landes Brandenburg. Durch diese Förderung ist das Kultursyndikat seit 2021 einer von acht »regionalen kulturellen Ankerpunkten« und wird drei Jahre lang mit finanziellen Mitteln dabei unterstützt, Netzwerke und Infrastruktur für gemeinsame Kulturarbeit aufzubauen. »Wir sind im zweiten der drei Jahre, nächstes Jahr endet die Förderung«, so Lürig.

Als kultureller Ankerpunkt kann Dok 15518 zwei Residenzprogramme organisieren. Eines davon mit dem Titel »Landschwärmer*innen« hat zum Ziel, Künstler*innen aufs Land zu holen und dort mit ihnen zusammenzuarbeiten oder regionalen Künstler*innen eine lokale Bühne zu geben, wie der Künstlerin Heidi Vargensdottir.

Das andere Programm heißt »Künstler*innen mit Kind Residenz« (Kümki); in diesem Jahr hat es von Mitte Juli bis Mitte August stattgefunden. Hier geht es darum, Künstler*innen Raum zu geben, auch mit Kind oder Kindern weiter Kunst machen zu können, trotz der Fürsorgeaufgaben. »Da gibt es einen großen Bedarf. Selten ist es möglich, mit Kind an solchen Programmen teilzuhaben«, sagt Pascale Müller.

Deshalb habe man sich dort auch nach eigenen politischen Werten von Selbstorganisierung und Fürsorgearbeit gemeinschaftlich um die Kinderbetreuung gekümmert, sodass den Künstler*innen Zeit für ihre Arbeit blieb, und gleichzeitig mit den Kindern zusammen Kunst erarbeitet. »Wir arbeiten an dem Konzept einer ›utopischen Gastfreundschaft‹«, sagt Müller.

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