Bündnis Wagenknecht: Erleichterung in der Linken

Zugleich scharfe Kritik aus Partei- und Fraktionsspitze an Plänen der Bundestagsabgeordneten

Seit mehr als einem halben Jahr spricht Sahra Wagenknecht davon, möglicherweise eine mit ihrer bisherigen konkurrierende Partei zu gründen. In den Reaktionen aus Linkspartei und -fraktion auf ihre Mitteilung, sie werde ihre Pläne kommende Woche offiziell vorstellen, mischen sich Empörung und Erleichterung. Am 23. Oktober soll es so weit sein: Sahra Wagenknecht will offiziell die Pläne zur Gründung ihrer Partei »für Vernunft und Gerechtigkeit« sowie erste programmatische Eckpunkte vorstellen.

Viele in der Linken sehen im mutmaßlich bevorstehenden Austritt der prominenten Politikerin aus der Linken, gegen die auch ein Parteiausschlussverfahren läuft, eine Chance zur Konsolidierung der Partei. Zugleich zeigten sich Mitglieder von Partei- und Fraktionsspitze einmal mehr empört über Wagenknechts Pläne.

Katina Schubert, eine der Vizevorsitzenden der Partei, sieht in der bereits vollzogenen Gründung des Vereins »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) einen offensichtlich »weiteren vorbereitenden Schritt auf dem Weg zu der Gründung der konkurrierenden Partei«. »Sich aus der Linken zu verabschieden, wäre nun nur konsequent«, sagte Schubert am Donnerstag gegenüber »nd«. »Statt sich in der Partei einzubringen, hat Sahra Wagenknecht sie seit Jahren in der Öffentlichkeit schlechtgeredet und an ihrem eigenen Projekt gearbeitet. Ich bin erleichtert, dass dieser lange und schmerzhafte Prozess jetzt endlich in die Endphase geht.«

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Erheblicher Frust ist der stellvertretenden Vorsitzenden der Linke-Bundestagsfraktion Nicole Gohlke anzumerken. »Als Partei ist Die Linke in ihrer großen Mehrheit einig, in der Außenwahrnehmung wirkt sie aber zerstritten, weil einige wenige dabei sind, unter Absingen schmutziger Lieder zu gehen«, betonte sie im Gespräch mit »nd«. Dass dieses Gehen immer weiter in die Länge gezogen werde, sei »unverantwortlich angesichts der verheerenden Politik der Ampel, der Krisen und Kriege und des Erstarkens der Rechten«. Wagenknecht arbeite zudem seit Langem nicht mehr parlamentarisch auf der Grundlage des Linke-Programms. »Statt ihre Pflichten als Abgeordnete zu erfüllen, glänzt sie durch Abwesenheit«, so Gohlke. »Sie verziert ihren Egotrip, indem sie auf bezahlte Lesereise geht, und schert sich nicht um demokratische Beschlüsse von Partei und Fraktion.«

Ähnlich hatte sich am Mittwochabend bereits Parteichefin Janine Wissler geäußert. Der ARD sagte sie, sie halte die Gründung einer Konkurrenzpartei für »völlig verantwortungslos«. Eine linke Bundestagsabgeordnete müsse aktiv Opposition gegen die Bundesregierung machen und Alternativen vorlegen. Wissler betonte, sie werde weiter »für eine starke Linke kämpfen, für gute Löhne, gegen die Zweiklassenmedizin, für bezahlbare Mieten«. Wenn die Linksfraktion nicht fortbestehen könne, trügen dafür Wagenknecht und jene, die ihr folgen, die Verantwortung, so Wissler. Sie appellierte erneut an die Personen, ihr Mandat zurückzugeben, wenn sie Die Linke verlassen. Dies gebiete der Anstand.

Gerade angesichts des Erstarkens der Rechten sei linke Politik dringend nötig, so Wissler. In Abgrenzung zu Wagenknechts asylpolitischen Positionen – sie fordert unter anderem die komplette Streichung von Sozialleistungen für nicht anerkannte Asylbewerber und schnellere Abschiebungen – betonte die Linke-Chefin: »Ich bin froh, dass es eine Partei im Bundestag gibt, die Fluchtursachen bekämpfen will und nicht Geflüchtete.« Man dürfe nicht Menschen in Not »für die Probleme verantwortlich machen, die wir seit Jahrzehnten haben, nämlich Wohnungsnot und Mangel an Lehrern«. In einem reichen Land wie Deutschland sei es »selbstverständlich möglich, dass man die Kommunen vernünftig ausstattet«, um die Geflüchteten integrieren zu können.

In der Fluchtpolitik vertritt Wagenknecht seit 2017 andere Positionen als Die Linke. Zudem wendet sie sich gegen die Sanktionen russischer Erdgaslieferungen. Die Linke kritisiert diese öffentlich kaum, obwohl sie laut Parteitagsbeschlüssen nur jene Sanktionen befürwortet, die nicht »die Bevölkerung« treffen. Klimaschutz befürwortet Wagenknecht nur in einem Ausmaß, das die Wirtschaft nicht zu stark einschränkt.

Das Bundestagsbüro Wagenknechts bestätigte am Donnerstag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass am Montag zunächst der bereits seit Ende September existierende Verein BSW (»nd« berichtete) offiziell vorgestellt wird. Personen aus Wagenknechts Umfeld hatten schon am Mittwoch entsprechende Informationen von »Spiegel« und ZDF bestätigt. Die Partei selbst soll nach Angaben Wagenknecht-Vertrauter erst im Januar gegründet werden, weil dies günstiger für die staatliche Parteienfinanzierung sei.

An der Pressekonferenz am Montag werden laut am Donnerstagmittag auf der Webseite der Bundespressekonferenz einsehbarer Ankündigung neben Wagenknecht die noch bis zum 25. Oktober amtierende Ko-Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion, Amira Mohamed Ali, und Wagenknechts langjähriger Mitarbeiter Christian Leye, seit 2021 ebenfalls Bundestagsabgeordneter, teilnehmen. Außerdem wird der Unternehmer Ralph Suikat dabei sein, der sich für höhere Steuern für Reiche einsetzt.

Wenn Wagenknecht und acht bis zwölf weitere Abgeordnete die Linksfraktion verlassen und ihre Mandate behalten, verliert diese ihren Fraktionsstatus. Sie kann dann nur noch als Gruppe mit viel weniger parlamentarischen Rechten, noch weniger Redezeit und schlechterer finanzieller Ausstattung weitermachen, aber auch das hängt vom guten Willen einer Mehrheit der anderen Parteien ab. Derzeit hat Die Linke noch 38 Abgeordnete.

Kritik an der nun offiziell geplanten Neugründung äußerten auch die Vorsitzenden der sächsischen Linken, Susanne Schaper und Steffen Hartmann. Diese sei »besonders unverantwortlich in einer gesellschaftlichen Situation, die eine starke Linke umso mehr erfordert«, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme der beiden. Wer Die Linke »aus egoistischen Motiven« schwäche, werde »bald feststellen, dass diese Motive keine Basis für den dauerhaften Erfolg einer Partei sind«. Schaper und Hartmann betonten, dass die sächsischen Bundestags- und Landtagsabgeordneten, Europaparlamentarier und Kommunalpolitiker »stabile Stützen unserer sozialen Politik« bleiben. Die Abspaltung, so die Landesvorsitzenden, sei auch »rücksichtslos gegenüber den mehr als 200 Beschäftigten in der Bundestagsfraktion und deren Familien«.

Nach Informationen der »Frankfurter Allgemeinen« wird bereits an Sozialplänen für die 108 Mitarbeitenden der Gesamtfraktion – die Übrigen sind direkt bei den Abgeordneten angestellt – gearbeitet. Diese seien nahezu fertig, heißt es aus der Fraktion. Der Verlust des Fraktionsstatus wird also als unausweichlich angesehen.

Unterdessen hat Wagenknecht vehement zurückgewiesen, etwas mit einer bereits am Donnerstag online gegangenen Webseite zu tun zu haben. Sie werde Anzeige gegen unbekannt erstatten, weil ihre Büroadresse im Impressum der Seite »bswpartei.de« angegeben wurde, berichtete »Spiegel online« am Donnerstag. Aus dem Umfeld Wagenknechts heißt es demnach, die echte Internetadresse der neuen Partei gehe unter dem Domain-Namen »Buendnis-Sahra-Wagenknecht.de« am Montag an den Start.

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