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Die 42,195 Kilometer boomen – auch Frankfurt will profitieren

Zum 40. Jubiläum des ältesten deutschen Stadtmarathons in Frankfurt werden Bestleistungen erwartet

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf Kurs Richtung Olympia-Ticket: Miriam Dattke will in Frankfurt die Norm erfüllen
Auf Kurs Richtung Olympia-Ticket: Miriam Dattke will in Frankfurt die Norm erfüllen

Wenn Jo Schindler nach seinem schönsten Erlebnis beim Frankfurt-Marathon gefragt wird, muss der Veranstalter nicht lange überlegen. Seine innere Zeitmaschine spult dann schnell zum 30. Oktober 2011 zurück, als der Renndirektor den in die tobende Festhalle hetzenden Wilson Kipsang und gleichzeitig die tickende Uhr beobachte: Um die Winzigkeit von vier Sekunden verfehlte der jungen Kenianer damals in 2:03:42 Stunden den erst vier Wochen zuvor von seinem Landsmann Patrick Makau aufgestellten Weltrekord.

So sehr sich Schindler im Zielkanal über diese Bravourleistung auf Frankfurter Pflaster auch freute, beschlich ihn gleich ein schlechtes Gewissen: In der Schlusspassage auf der Mainzer Landstraße hatte sein damaliger Sportlicher Leiter Christoph Kopp dem Tempomacher des Führenden die Erlaubnis erteilt, bis ins Ziel durchzulaufen – woraufhin dieser sich sofort hinter seinen irritierten Landsmann fallen ließ, was Kipsang wertvolle Sekunden kostete.

Trotz eines »teuren Missverständnisses« (Schindler) hatte der älteste Stadtmarathon Deutschlands weltweite Aufmerksamkeit sicher: Kipsangs Beinahe-Weltrekord zählt genauso wie die deutsche Bestmarke von Charlotte Teske 1983 bei den Frauen (2:28:32) oder von Arne Gabius 2015 bei den Männern (2:08:33) zu den Sternstunden eines Lauf-Events, das am kommenden Sonntag seine 40. Auflage erlebt. Seitdem sind bei diesem Laufklassiker 425 947 Männer und Frauen gestartet – davon haben 306 482 die 42,195 Kilometer ins Ziel gebracht. Stolze Zahlen.

Begonnen hatte alles am 17. Mai 1981 unter Regie der Farbwerke Hoechst mit deren Betriebssportgruppe, die zum Startschuss ans Osttor der Fabrik baten. Frankfurt am Main nahm als erste deutsche Großstadt den Boom des Laufsports auf, der in den späten 70er Jahren als Joggingwelle aus den USA nach Europa schwappte. Nun sahen Stadtväter wie Oberbürgermeister Walter Wallmann, dass solch ein Lauf nicht nur über Wiesen und Felder, sondern auch mitten durch die City führen kann – und Massen von Menschen bewegt. Bei der Premiere siegte der Schwede Kjell-Erik Stahl in 2:13:20 Stunden, der sich nach dem Duschen wunderte, als es an seiner Hoteltür klopfte. »Ein Vertreter des Veranstalters überreichte mir einen Scheck über 2000 Mark.«

Das professionelle Setting mitsamt fünfstelligen Gagen und Prämien kam erst viel später. Ein Marathon als Marketinginstrument ist viel wert. Die größte Veranstaltung läuft längst in Berlin, wo im vergangenen Monat wieder einmal die Maßstäbe gesetzt, sprich Weltrekorde gebrochen wurden. »Kein deutscher Marathon steht mit Berlin im Wettbewerb«, sagt Schindler. Für seine Veranstaltung wünscht sich der 64-Jährige, dass mehr als 10 000 Läufer über die klassische Strecke ins Ziel kommen. »Das ist die harte Währung, die zählt.« Alle Wettbewerbe gerechnet, machen rund 25 000 Menschen mit.

In einem Elitefeld, für das bei den Männern der Äthiopier Guye Adola mit 2:03:46 Stunden und bei den Frauen die Kenianerin Visiline Jepkesho mit 2:21:37 die schnellsten Zeiten mitbringen, wird natürlich auch auf die deutschen Langstreckler geschaut, die gerade ziemlich flott unterwegs sind. Die Leistungsdichte ist bei Männern und Frauen so groß wie nie. Viel vorgenommen hat sich Miriam Dattke, die eigentlich in Berlin im Sog der neuen Weltrekordhalterin Tigist Assefa (2:11:53) laufen wollte, dann aber krankheitsbedingt passen musste.

Die 25-Jährige, die im vergangenen Jahr als Vierte im Marathon bei den Europameisterschaften in München nur knapp eine Medaille verpasste, hat ihr Potenzial auf der Langstrecke längst noch nicht ausgereizt. »Marathon ist für mich immer noch ein schmaler Grat und nicht so gut planbar wie ein Rennen auf der Bahn«, sagt die in Regensburg lebende Athletin. Sie müsste unter 2:25:52 Stunden laufen, um die Chance auf ein Olympia-Ticket zu haben. Aber warum soll das nicht gelingen?

Viel machen mittlerweile die Schuhe aus, die insgesamt einen Einfluss auf die Leistungsentwicklung in der Marathonszene haben. In die Carbon-Sohlen ist seit einigen Jahren ein versteifendes Element aus Kohlenstofffasern eingearbeitet. Hersteller sprechen davon, dass ihre Schuhe die Athleten um drei bis vier Prozent schneller machen. Experten halten das für übertrieben, doch dass der Fuß energiesparender abrollt, ist belegt. Kaum brachte der amerikanische Sportartikelgigant Nike die ersten federleichten Modelle auf den Markt, purzelten die Rekorde.

Fast 90 Prozent der Podiumsplätze bei den sechs World Marathon Majors (Tokio, London, Berlin, Boston, New York, Chicago) gingen zeitweise an Athleten mit solchen Schuhen. Einen solchen trug in Berlin auch Amanal Petros, der in 2:04:58 Stunden einen neuen deutschen Fabelrekord aufstellte. In Frankfurt ist der gebürtige Eritreer nicht gleich wieder am Start und muss auch nicht um seine Bestmarke fürchten: Simon Boch, der seine Teilnahme in Berlin wegen eines Infekts ebenfalls absagen musste, wäre schon froh, wenn er nun in Frankfurt als dritter deutscher Läufer unter der internationalen Olympia-Norm von 2:08:10 Stunden bliebe.

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