Sozialer Wohnungsbau in Berlin: Binden statt bauen

Jan Kuhnerts Modell der Neuen Wohngemein­nützigkeit soll soziale Vielfalt in den Quartieren garantieren

  • Interview: Günter Piening
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine neue Wohngemeinnützigkeit könnte auch für den Berliner Molkenmarkt erwirken, dass Wohnraum nicht nur dem dicken Geldbeutel vorbehalten bleibt.
Eine neue Wohngemeinnützigkeit könnte auch für den Berliner Molkenmarkt erwirken, dass Wohnraum nicht nur dem dicken Geldbeutel vorbehalten bleibt.

Sie setzen sich seit Jahren für die Einführung einer Neuen Wohngemeinnützigkeit (NWG) ein. Was würde das Konzept in einem hochspekulativen Wohnungsmarkt wie Berlin ändern?

Wir hätten einen gemeinnützig organisierten Wohnungssektor, in dem die Mieten nicht frei verhandelbar und die Wohnungen dauerhaft in der sozialen Bindung wären. In Berlin fallen in den nächsten zwei Jahren 50 000 Wohnungen aus der Bindung, das trifft die unteren Einkommensschichten mit voller Wucht. Mit der NWG müssen die Mieter*innen nicht mehr fürchten, dass sie irgendwann auf dem freien Markt mit seinen explodierenden Mieten landen. Dieses wachsende gemeinnützige Segment hätte auch eine dämpfende Wirkung auf den Gesamtmarkt. Wie stark dieser Effekt ist, hängt davon ab, wie viele Wohnungen hier organisiert sind.

Nun lehnen die meisten Genossenschaften und die Landeseigenen die NWG ab. Wer bleibt dann noch?

Bei den Genossenschaften wird sich die Stimmung ändern, wenn die Bundesregierung ihr Koalitionsversprechen wahrmacht und einen Gesetzentwurf vorlegt, der neben Steuersenkungen, von denen Genossenschaften kaum profitieren würden, auch ein attraktives Förderangebot für zusätzlichen Neubau anbietet. Bei den Landeseigenen steht die politische Entscheidung an, ob Berlin die eigenen Bestände im Rahmen einer solchen Wohnungsgemeinnützigkeit organisieren will. Dann hätten wir in Berlin mit einem Schlag 350 000 dauerhaft gesicherte Wohnungen. Damit wäre, nur nebenbei bemerkt, auch eine Kernforderung des Mietenvolksentscheids von 2015 erfüllt.

Häufig höre ich die Befürchtung, es gäbe dann neue abgehängte Quartiere wie beim alten sozialen Wohnungsbau.

Die NWG wird im Gegenteil Quartiere stabilisieren, denn ich werbe für eine gestaffelte Förderung für unterschiedliche Einkommensgruppen. Das ermöglicht gemischten Neubau. Durch das differenzierte Angebot werden auch Bestandswohnungen in ihrer gewachsenen Struktur gesichert. Wer Dauerbindungen in seinem Bestand schafft, soll einen Zuschuss erhalten. Nur so kommen wir aus dem Neubau-Investitionszyklus der jetzigen Wohnungsförderung heraus. Ein weiterer Unterschied zum alten sozialen Wohnungsbau ist eine starke Mieter*innenbeteiligung. Hier greift die NWG auch Erfahrungen aus Berlin auf, wo mit dem Wohnraumversorgungsgesetz Mieter*innenräte eingerichtet wurden...

... die aber keine große Durchschlagskraft entwickelt haben.

Leider haben sie bisher nur ein Anhörungsrecht. Gerade bei den energetischen Modernisierungen, dem Schlüsselprojekt der kommenden Jahre, muss es zu einer ernsthaften Beteiligungskultur kommen. Die Unternehmen müssen sich hier öffnen, sonst haben wir wachsende Ängste der Mieter*innen und politische Abwehrhaltungen bis hin zu einem völlig irrationalem Wahlverhalten.

Zurzeit erkenne ich diese Bereitschaft bei den Landeseigenen aber nicht.

Die Unternehmensleitungen hat von Anfang an gestört, dass man eben nicht mehr einfach mit dem Bagger in ein Viertel rauschen und dann hinterher darüber reden kann, sondern dass die Planungen vorher besprochen werden müssen. Eine Mentalitätsänderung hat leider nicht stattgefunden.

Schauen wir über den Tellerrand. Gibt es anderswo Leuchttürme, die schon ein Stück NWG vormachen?

Nicht sehr viele. Gießen hat eine wirkliche Mitbestimmung, die auch Pate stand für unser Konzept. Niedersachsen hat einen überraschenden Schritt getan und wird 2024 ein gemeinnütziges Landeswohnungsunternehmen gründen. Das könnte ein Modellprojekt für NWG werden.

Auch in Berlin wird gefordert, die Landeseigenen zu einem Unternehmen zusammenzufassen. Wäre das ein wichtiger Schritt?

Ja, es ist überfällig, dass das Land Berlin als Eigentümer seine Steuerung bewusster wahrnimmt. Es macht keinen Sinn, dass wir zwölf hochbezahlte Unternehmensleitungen mit sechs Aufsichtsräten haben. Das führt nicht unbedingt dazu, dass sie kreativer oder effizienter arbeiten. Zwar gibt es das ein oder andere landeseigene Unternehmen, das sich mal was Pfiffiges ausdenkt, was dann die anderen mühsam versuchen zu übernehmen. Aber der Regelfall ist, dass sie aneinander vorbei, teilweise auch in Konkurrenz gegeneinander arbeiten. Zentrale Steuerung macht die Planung effizienter und senkt die Kosten.

Wir reden hier jetzt über ungelegte Eier, denn die Bundesregierung hat bisher keinen belastbaren Gesetzentwurf vorgelegt, obwohl NWG im Koalitionsvertrag steht. Was haben wir da zu erwarten?

Mich hat positiv überrascht, dass jetzt die Umsetzung für nächstes Jahr angekündigt wurde. SPD und Grüne wollten damit, so scheint es, einen Kontrapunkt setzen zu den sehr zögerlichen anderen 13 Eckpunkten des Mietengipfels zur Bau- und Wohnungspolitik. Wenn im Haushalt 2025 Geld für die NWG bereit stehen soll, brauchen wir das Jahr 2024 für die Konzeptentwicklung – für ein Gesetz, für die dazugehörenden Verordnungen, für Aufsichtsstrukturen und so weiter. Denn das Kernproblem bleibt, dass jetzt Milliarden in die Förderung von Wohnraum gesteckt werden, und wir nach Auslauf der Bindungsfrist wieder in der gleichen Situation sind.

Was muss in einem Gesetz mindestens drinstehen, damit es nachhaltig wirkt?

Erstens: Mietpreisregelung mit moderaten Anpassungen im Verhältnis zur Markt- und Lohnentwicklung.

Zweitens: Mitentscheidungsrechte und Transparenz. Drittens: Eine attraktive Förderung nicht nur für Neubau, sondern auch für existierende Bestände. Und natürlich die dauerhafte soziale Bindung. Wir brauchen ein Bindungsprogramm, kein Bauprogramm.

Interview
Berlin, ZDF, Polit-Talk Maybrit Illner Thema: Mieter, Makler, Sp...


Jan Kuhnert war Mitinitiator des Berliner Mietenvolksentscheids und von 2016 bis 2021 Vorstand der als Folge des Volksentscheids geschaffenen »Wohnraumversorgung Berlin – Anstalt öffentlichen Rechts«. Er ist Autor des Konzepts »Neue Wohngemeinnützigkeit« (NWG), das der Mieterbund Deutschland Ende 2022 vorlegte. Darin wird die Schaffung eines regulierten Wohnungssektors mit bezahlbaren Mieten auch für die unteren Einkommensschichten gefordert. Für die dauerhafte Deckelung der Miete sollen Unternehmen Steuersenkungen und Zuschüsse als Ausgleich erhalten.

Das Konzept »Neue Wohngemeinnützigkeit« kann hier aufgerufen werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal