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Ludwig Fels: Nie zu Kreuze kriechen

Das Gemeine durchforschen: über den Schriftsteller Ludwig Fels und einen posthum erschienenen Gedichtband

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 6 Min.
Ludwig Fels fühlte sich wohl zwischen allen Stühlen wie weiland Oskar Maria Graf.
Ludwig Fels fühlte sich wohl zwischen allen Stühlen wie weiland Oskar Maria Graf.

Als Ludwig »Lugg« Fels Anfang 2021 in seiner Wahlheimat Wien 74-jährig starb, hatte die deutschsprachige Literatur ohne jeden Zweifel einen ihrer nonkonformistischsten Schriftsteller verloren. Ein Mann, der sich nie hatte vereinnahmen lassen, der keine Kompromisse machte. Der Mittelfranke, berüchtigt für seinen offensiven Humor, fühlte sich wohl zwischen allen Stühlen wie weiland Oskar Maria Graf. Weder der Mut zum großen Pathos noch Todessymbolik waren dem Sprachvirtuosen, dessen Werke meist polarisierten, fremd. Seine insgesamt 16 Erzählungen und Romane, 13 Lyrikbände, 24 Hörspiele und neun Theaterstücke stehen in auffälligem Kontrast zu seinem Bekanntheitsgrad. Dass er 18 Mal mit Stipendien und Ähnlichem bedacht wurde – kann ihn das berührt haben, ihn, der sich Betrieb und Öffentlichkeit zeit seines Lebens so bravourös entzog?

Der in der bayerischen Eisenbahnerstadt Treuchtlingen geborene Fels erlernte gegen seinen Willen das Malerhandwerk, war Arbeiter in einer Brauerei, Maschinist und Stanzer, später Packer in einer Halbleiterfabrik. Vom »Spiegel« wurde er, nicht ohne eigenes Zutun und der Zeit geschuldet (kurzfristig war Fels Mitglied im proletarischen »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt«) als »Proletenschriftsteller« verunglimpft, von anderen Irregeleiteten wurde sein Stil als »Erlebnisrealismus« verhohnepipelt. Sicher erinnern Sie sich noch an all den Dreck, den ein Jörg Fauser im Westen (»Kolportageliteratur« et cetera) ertragen sollte oder an solche Heinis wie den Süddeutschen Jugendmeister im Straßenrennen 1934, Franz Josef Strauß, der in seinem Bundestagswahlkampf 1980 Schriftsteller ungestraft als »Ratten und Schmeißfliegen« bezeichnete.

Fels hatte schlicht und ergreifend keine Lust, in einem Zirkel schreibender Arbeiter zu enden, bei der Arbeitswelt, die er kennengelernt hatte, gab es nichts zu glorifizieren, vor einen Parteikarren hätte er sich ohnehin niemals spannen lassen. Er wollte aus der Enge heraus, seinen wahren Talenten frönen. 1973 erklomm der Autodidakt mit seinem Lyrikband »Anläufe«, gehackt auf einer Schreibmaschine so scharf wie eine Axt, bei Luchterhand in Darmstadt die literarische Bühne, zwei Jahre darauf erschien sein Roman »Die Sünden der Armut«.

Der Roman »Ein Unding der Liebe«(1981) stand ganz oben auf der Kandidatenliste für den Bayerischen Literaturpreis, doch nach seiner Abrechnung mit Franz Josef Strauß war Fels raus. Es war sein bestes Buch. Eine Parabel auf das Wohlstandselend der BRD, heute aktueller denn je: Es geht um gesellschaftlichen Verfall, routinierte Skrupellosigkeit, inwendiges Frieren und verfälschte, aus zweiter Hand gespeiste Sehnsüchte, dem Verwahrlosen an Leib und Seele. Und genau daher wurde Fels für einige wenige Feuilletonisten zum »Sprecher« der Ausgegrenzten, der Alltagsverlierer, der »Bonsaipeople«, wie einst Alfred Döblin mit »Berlin Alexanderplatz«. Armut, Ausbeutung, Prekariat, Flucht waren Fels’ zentrale Themen. »Ein Unding der Liebe« wurde 1986 von dem Rumänen Radu Gabrea mit dem großartigen Erich Bar in der Hauptrolle als Zweiteiler für das ZDF verfilmt und war einer der besten Filme dieser Zeit. 1990 verfilmte der in Deutschland permanent von Abschiebung bedrohte iranische Grimme-Preisträger Sohrab Shahid Saless den Roman »Rosen für Afrika« ebenfalls als Zweiteiler für das ZDF.

Ludwig Fels schrieb keine Erbauungsliteratur, schielte nicht nach gesellschaftlicher Anerkennung, durchforschte lieber das Gemeine und Bedrohliche. Er war einer derjenigen, die aus Notwehr schrieben, und nur die kann man lesen. Die anderen wollen schreiben (und können es nicht lassen). In dem nun posthum erschienenen »Mit mir hast du keine Chance«, einer Auswahl von Gedichten aus 45 Jahren (acht Erstabdrucke aus dem Nachlass), erhält man nun einen herrlichen Ein- und Überblick in sein lyrisches Schaffen. In »Flüsterton« heißt es: »Wenn mir die Gedanken im Gehirn verrecken/werde ich unverschämt und/spritze Gift, das nicht wirkt.« Und: »Ich glaube/die Sehnsucht ist ein Zeichen von Reue.« Das Gedicht »Ohne mich« endet so: »Ohne mich kämen wir weiter/vielleicht blieben wir, was wir schon immer waren/zwei Menschen. Gleich zwei.« Über »Deutsche Gedichte«, das von der »Leidenschaft der Besiegten« handelt, weiß Fels: »Steht nichts mehr zwischen den Zeilen/kein Platz zwischen den Zeilen/das Papier vollgeschrieben/mit dem Nichts von heute./Immer zu wenig/Blut in den Adern, immer/zu kalt./Immer noch dasselbe hohle Getön/Kunststückchen darüber; wie man/die Hände bewegt; ohne zu arbeiten«.

Zusammen mit Rolf Dieter Brinkmann, Arnfrid Astel, Nicolas Born, Jürgen Theobaldy, Wolf Wondratschek und später Michael Wildenhain und Ralf Burnicki muss Fels als einer der Erneuerer der (west-)deutschen Dichtung bezeichnet werden. Seine Lyrics sind ebenso drastisch-expressiv wie auch voller Zartheit, die oft negativen Helden schlagen sich mit allerlei seelischen Ausnahmezuständen herum; ihr Überlebensmechanismus, das nicht zu Kreuze kriechen, »funktioniert« immer nur bis zu einem gewissen Punkt, dann klopft auch schon das unvermeidliche Scheitern an die Tür. Fels spürt dem Fragilen der Menschen in ihrem Alltag zwischen Jukebox und meist prekären Lebensumständen nach und er kann das verdammt gut.

Seine Orientierung an der amerikanischen Beatlyrik ist nicht zu übersehen, auch Frank O’Hara scheint ihn beeinflusst zu haben. Dessen »Lunch Poems« übersetzte Brinkmann 1969 für Kiepenheuer und machte ihn so posthum in der BRD bekannt. O’Hara war 1966 auf Fire Island von einem Strand-Buggy überfahren worden. Brinkmann folgte ihm 1975, als er nach einer Lesung beim Londoner Cambridge Poetry Festival von einem Auto erfasst wurde.

Gegen Ende war es um Ludwig Fels etwas stiller geworden. 2011 schrieb der Wahl-Wiener (seit 1983) im »Spectrum« von »Die Presse«: »Ist jemand arm, weil er Schriftsteller ist? Oder ist jemand Schriftsteller, weil er arm ist? Ich schreibe für Almosen, seitdem ich von meinen Honoraren nicht mehr leben kann.« Agit-Prop war längst nicht mehr in, Lyrik war es noch nie. Die erstaunlichen Alterswerke von Fels wurden zwar gehätschelt, aber das wirkte zuweilen wieder nur wie das gute alte Wegjubeln. »Probier/wie hart du noch bist./ (...) Da haben einige Leute Städte/von dir errichten lassen, die/für dich und deinesgleichen/nicht bewohnbar sind« (»Probiers!«). Im Sommer 2022 wurde in seinem Heimatort Treuchtlingen-City im Plattencafé »Vinylla Fudge« von Friedrich Kugler die Ludwig-Fels-Gesellschaft e.V. gegründet.

Eins seiner Gedichte heißt »Ein paarmal waren wir sehr glücklich«: »Kein Leben könnte besser sein/als uns jeden Tag zu haben./Aber Hoffnung/schöne wilde fremde Hoffnung/gibt es nicht.«

Ludwig Fels: Mit mir hast du keine Chance. Gedichte 1973–2018. Mit einem Vorwort von Oskar Roehler und einem Nachwort von Bernadette Conrad. Jung und Jung, 144 S., geb., 22 €.

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