Bruno-Gröning-Freundeskreis: Erlösung nur durch Unterwerfung

Luise Peters wächst unter dem Einfluss einer rechten Wunderheiler-Sekte auf. Ihre Erfahrungen von damals prägen sie bis heute

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 7 Min.
Luise Peters hat über ihren Vater mit der Sekte zu tun und blickt in eine Welt aus Frauenfeindlichkeit, Homofeindlichkeit und Antisemitismus.
Luise Peters hat über ihren Vater mit der Sekte zu tun und blickt in eine Welt aus Frauenfeindlichkeit, Homofeindlichkeit und Antisemitismus.

Es ist so eine unbestimmte Angst, dass einen die eigene Vergangenheit einholt. Übelkeit, Ekel: Als Luise Peters* entdeckt, dass bei einem lokalen Querdenken-Ableger Flyer des Bruno-Gröning-Freundeskreises verteilt werden, erstarrt sie vor Schreck. Bruno Gröning: Da sind Erinnerungen an das Konterfei des »Wunderheilers«, der in den Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik Zehntausende begeisterte Anhänger*innen mit Scharlatanerie und wahnwitzigen Heilsversprechen um sich scharte.

Böse findet sie die Schwarz-Weiß-Aufnahme, eher gruselig. Heute wie damals. Denn das markante, lange Gesicht des Mannes mit den weit zurückweichenden Geheimratsecken ist Peters altbekannt. Vater, Onkel, Großmutter – weite Teile von Peters’ Familie sind damals, in den Achtziger- und Neunzigerjahren, tief in die esoterische Sekte verstrickt, die das frühere NSDAP-Mitglied Gröning bis zu dessen Tod im Jahr 1959 aufbaute.

Zum noch heute dominanten Führungszirkel der Gruppierung bestehen familiäre Verbandelungen. Und gleichzeitig gibt es andere Teile von Peters’ Familie, die sich mittlerweile vom Gröning-Kult lossagen, sich nicht einlullen lassen. Die Mutter lässt sich von Luises Vater scheiden, einem glühenden Anhänger. Die Tochter verbringt viel Zeit bei ihren Großeltern. Und die kommentieren die Veränderungen des Vaters mit Befremden. Es ist ein Puffer, der sich letztlich zwischen Peters und den »Freundeskreis« schiebt – und der es ihr ermöglicht, das wundersame Treiben der Gröning-Anhänger*innen aus einer inneren Distanz zu beobachten. »Ich befand mich als Jugendliche in so einer Lage zwischen Lachen-Müssen und Nicht-Lachen-Dürfen«, erzählt sie.

Sektenmitglieder treffen sich zu sogenannten Einstellungen. Auch Peters wird bei Besuchen bei ihrem getrennt lebenden Vater in die skurrilen Sitzungen eingeführt. Dabei wird der Name einer Person genannt, für die sich eingestellt wird – häufig kranke Angehörige, aber eben immer wieder auch Familienmitglieder, die sich der frauenfeindlichen und antisemitischen Lebenswelt mit ihren erstickenden Normen nicht fügen wollen oder können.

Mit Kugeln aus Stanniol in der Hand – aus dem Stoff wird Christbaumlametta gefertigt – durchfährt dann der »Heilstrom« des verstorbenen Sektengurus Gröning nicht nur die genannte Person, sondern gleich noch alle Anwesenden. So predigen es Anhänger*innen – bis heute, wie sich auch auf einem Telegram-Kanal der Sekte nachlesen lässt, auf dessen Profilbild Gröning neben Gott und neben Jesus stehend gepriesen wird.

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Unter Kontrollzwang

Auch für Peters wird damals auf diese Weise um Heilung ersucht – ungefragt. Von einer chronischen Krankheit soll sie befreit werden. Und davon, eine missratene Frau zu sein, in den Worten des Vaters: eine »Nutte«. Ihr Vergehen: Die Jugendliche lässt sich mit einer Lugenentzündung fiebernd im Bett von ihrem Freund versorgen. Allein und unverheiratet mit einem Jungen im Haus! Als der Vater nach Hause kommt, reißt er sie erbost mit, schleift sie ins Auto, fährt brüllend los, setzt sie auf einer Landstraße aus. Peters kann sich zu einem Haus schleppen und Hilfe holen. »Er war überhaupt nie an mir interessiert. Er war immer nur daran interessiert, sein Weltbild auf mich zu übertragen, dass ich es annehme und danach lebe«, erzählt Peters über den Vater, einen kontrollierten Mann.

Immerzu werden Bruno Gröning, die spätere Sektenanführerin Grete Häusler oder weitere Köpfe zitiert – oft in pastoralem Gestus, großspurig. Wer wider Erwarten nicht durch den »Heilstrom« gesundet, ist selber schuld, hat sich eben Gröning nicht ausreichend geöffnet. Selbst bei Krebs. Das ganze Lebensglück und die Lebensführung stehen mit dem toten Sektengründer in Verbindung. Defizite sind Krankheiten, Krankheiten Defizite. Erlöst wird, wer Gröning beherzigt. Die anderen müssen leiden, haben es sich selbst zuzuschreiben. Und so herrscht in den Kreisen eine stets aufgesetzte, gute Laune, wie Peters beschreibt. Schlechte Gefühle sind unerwünscht.

Der »Freundeskreis« vertritt ein Crossover aus christlichem Fundamentalismus und einem Weltbild, in dem »Rassen« eine große Rolle spielen. Dass alles einer »natürlichen Ordnung« folgt, ist ein Ausspruch, den auch Peters oft zu hören kriegt – inklusive Erwartungen an die Geschlechtsrolle. In der Weihnachtszeit muss das Mädchen einem nordischen Brauch gemäß als »Lucia« verkleidet vor die sektengläubige Familie treten, ein Kleid anziehen, sich vorführen lassen. Wie Gewalt hat sie das erlebt, sagt Peters. Und erinnert sich an die nicht nur zu diesem Anlass auf ihr lastenden Blicke eines hochrangigen männlichen Sektenmitglieds. Eklig sei der Mann gewesen, schmierig, habe die Jugendliche auf sexualisierende Weise angegafft, angestarrt. Offenbar ganz im Sinne des Vaters: »Mein Vater hat immer wieder gesagt, wie wichtig es ist, dass Frauen figurbetonte, feminine Kleidung tragen. Er hat Frauen ständig danach beurteilt. Auch junge Frauen, Mädchen.«

Gleichzeitig wird selbst ein harmloses Kartenspiel mit einem Jungen in einem Bungalow zum Anlass, Peters hart zu bestrafen und zu demütigen. »Schwarz – weiß, Mann – Frau, gut – böse. Und eben Frauen: Heilige oder Hure. Nichts dazwischen.« Zwei Männer an einem Tisch im Restaurant reichen, um dem Vater wütende Hetzreden über Schwule als Ursache von Unheil, Kinderlosigkeit und Rentenloch zu entlocken.

Doch während es der Vater mit Blick auf Jüd*innen noch dabei belässt, diese mögen den Deutschen doch jetzt gefälligst mal verzeihen und sich nicht zu sehr als Opfer gerieren, nutzt ein Onkel fast jedes Abendessen zu offen antisemitischen Wutreden, leugnet die Shoah. Die Pharmaindustrie kontrolliere die Medien, die der Bevölkerung ihre bösen Botschaften wiederum per Fernseher ins Wohnzimmer auslieferten, ist man in Peters’ Familie überzeugt. Politisch diskutiert wird viel, eigentlich ständig. Doch die Quellen des Wissens sind weitestgehend reduziert auf die Treffen und Vorträge des Bruno-Gröning-Freundeskreises.

Den Kontakt zum Vater und zu anderen Sektenmitgliedern hat Peters längst abgebrochen, ihre Erfahrungen in zwei Psychotherapien aufgearbeitet – »so gut wie ich es kann«. Panikattacken hätten sie gequält, erzählt Peters, von denen sie lange gar nicht gewusst habe, woher sie stammten und was sie bedeuteten. Es gebe aber eben Aspekte, die sich nicht heilen ließen. In Triggermomenten ergreife sie nach wie vor Panik, Ekel. »Was mich so richtig verzweifeln lässt und wo ich Herzrasen bekomme, ist, wenn sich Menschen antifeministisch äußern – bei Menschen, die ich eigentlich ganz anders eingeschätzt hätte.« Komme ein solcher Spruch, sei die Person »in dem Moment ein Täter« für sie, erzählt Peters. Die Abwägung, dass es sich nur um einen Spruch handele, den man eben kritisieren müsse, kriege sie oft nicht hin. »Ich werde dann so: Entweder in die Fresse hauen oder abhauen.« Kampf oder Flucht.

Als Peters von dem auf einem Querdenken-Protest verteilten Flyer erfährt, denkt sie: »Passt total«. Und beginnt nach dem ersten Schock, noch mal zu recherchieren. Die Anhänger*innen Bruno Grönings veranstalten Filmvorführungen in Räumlichkeiten von Vereinen, sogar in kommunalen Kinos, um neue Anhänger*innen zu gewinnen. Per Telegram-Kanal werden teils codiert-antisemitische Botschaften verbreitet, aber auch Reden Grönings sowie Vorträge von Sektengläubigen. In einem Beitrag heißt es etwa: »All diese Medien sind unter der Kontrolle einer sehr kleinen Gruppe von superreichen Leuten, die sehr bewusst eine Agenda durch Gedankenkontrolle ausrollen.« Sie verbreiteten schädliche Botschaften und seien »durch Geheimgesellschaften miteinander verbunden, die wiederum mit dunklen Mächten verbunden sind und von diesen kontrolliert werden.« Öffentlich stellt man sich als international tätigen Verein dar, multiethnisch, weltoffen, man sei in vielen Ländern aktiv. Nach eigenen Angaben habe man rund 60 000 Mitglieder in 80 Ländern. Tendenz steigend.

Hier wird AfD gewählt

Auf dem Telegram-Kanal wird über das vermeintlich Arische doziert, über Jüd*innen und ihre Vermischung. Aus heutiger Sicht, erzählt Peters, würde sie ihren Vater als klassischen Faschisten einordnen. Durch die wenigen Konten von Familienmitgliedern, die sie im Netz auffinden kann, geht hervor: Hier wird AfD gewählt. Doch was noch auffälliger ist: Die meisten der Angehörigen, darunter auch Ärzt*innen, sind in sozialen Medien gar nicht vertreten.

Ein Lichtblick ist da ein Account eines anderen Verwandten mit Botschaften, die sich gegen Nazis richten und für Vielfalt eintreten. Und so beginnt sie sich zu fragen: Was ist eigentlich mit all den Cousins und Cousinen, die auch im Bruno-Gröning-Kult verwickelt sind? Wie geht es ihnen, was ist mit ihnen passiert? Und eine weitere Frage, die Peters umtreibt: Was ist mit den Kindern, die heute immer noch in die Sekte hineingeboren werden? Wachsen auch sie in der aufgesetzten, autoritären Welt ohne Wertschätzung auf, die Peters beschreibt? Welche seelischen Verwüstungen in ihrem Innern müssen sie vor ihrem Umfeld verbergen und mit sich tragen?

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