Nur wenig Hilfe erreicht Gaza

Israelische Armee trennt Gazastreifen in zwei Teile und umzingelt Gaza-Stadt

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Gaza-Stadt ist umstellt. Israelische Truppen hätten den Norden des Gazastreifen abgetrennt, gab Militärsprecher Daniel Hagari am Sonntag bekannt. Und Augenzeugen bestätigen das: Das israelische Militär kontrolliere nun den »Netzarim-Korridor«. Dabei handelt es sich um einen nur sechs Kilometer langen und zwei Kilometer breiten Streifen von der israelischen Grenze südlich von Gaza-Stadt zum Mittelmeer.

Früher führte hier die Route aus dem israelischen Staatsgebiet in die Siedlung Netzarim, die nur aus einem einzigen Grund gebaut worden war: um den Gazastreifen in zwei Teile zu trennen. 2005 wurde Netzarim wie alle anderen Siedlungen im Gazastreifen geräumt, für Israel verlor der Korridor seine Bedeutung. Stattdessen setzte man auf Abriegelung, Diplomatie und die Hoffnung, dass die palästinensische Autonomiebehörde irgendwann wieder die Kontrolle über Gaza übernehmen würde.

Nun ist der Netzarim-Korridor also wieder unter israelischer Kontrolle, und das hat erst einmal eine unmittelbare Folge: Die Hamas kann nun keine Personen und Güter zwischen dem Norden und dem Süden bewegen. Für die Zivilbevölkerung wurde nach israelischen Angaben eine Route aus Gaza-Stadt in den Süden geöffnet, allerdings nur in die eine Richtung, aus der Stadt hinaus. Mehrere Kontakte im Gazastreifen berichten übereinstimmend, dass die Route tatsächlich offen ist. Die Kontrollen seien extrem streng. Wer im Verdacht steht, mit der Hamas in Verbindung zu stehen, dürfe nicht passieren.

Im Süden versuchen derweil Hilfsorganisationen, die vielen hunderttausend Geflohenen wenigstens mit dem Allernotwendigsten zu versorgen, und kämpfen dabei gegen die Zeit. Der Winter naht. Noch herrschen erträgliche Temperaturen, aber in wenigen Wochen bereits wird sich das ändern. Momentan ist es so, als hätte sich die Einwohnerzahl von Offenbach am Main innerhalb von wenigen Wochen verzehnfacht, während alle Verbindungen nach außen bis auf wenige Ausnahmen gekappt wurden. Zwar ist die Grenze nach Ägypten für Hilfstransporte und ausländische Staatsbürger geöffnet. Aber es geht nur langsam voran: Um zu verhindern, dass Güter in die Hände der Hamas gelangen, werden alle Transporte streng kontrolliert. Vieles darf zudem gar nicht eingeführt werden.

Und dann gibt es auch logistische Probleme: Die Wege durch die Sinai-Halbinsel zum Grenzübergang Rafah sind weit, die Straßen nicht für große Transporte ausgelegt. Und dann mangelt es an Lastwagen. Dabei gäbe es zumindest hier eine einfache Lösung: Nur wenige Kilometer weiter liegt der Grenzübergang Kerem Schalom direkt an der ägyptischen Grenze, sogar von der ägyptischen Seite zu erreichen – aber eben in Israel gelegen und nun geschlossen. »Kerem Schalom ist der einzige Übergang, der dafür ausgerüstet ist, eine ausreichend große Menge an Hilfsgütern einzuführen«, sagte Lisa Doughten, eine Mitarbeiterin des Uno-Nothilfekoordinators Martin Griffiths, in der vergangenen Woche dem Weltsicherheitsrat. Griffiths selbst versucht derzeit, in Israel eine Öffnung des Übergangs zu erreichen.

In der Nacht zum Montag habe die jordanische Luftwaffe medizinische Hilfsgüter und Medikamente per Fallschirm über einem Feldlazarett in Gaza abgeworfen. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Petra unter Berufung auf Militärquellen. »Es ist unsere Pflicht, unseren Brüdern und Schwestern zu helfen, die im Krieg gegen Gaza verletzt wurden. Wir werden immer für unsere palästinensischen Brüder da sein«, schrieb Jordaniens König Abdullah II. auf der Online-Plattform X. Nach Angaben eines israelischen Armeesprechers erfolgte der Abwurf in Abstimmung mit dem Militär.

Während Raketenbeschuss auf Israel und die Militäreinsätze im Gazastreifen weitergehen, sucht die internationale Gemeinschaft nach einer Lösung. Die Forderungen nach einer Waffenruhe werden von Tag zu Tag lauter. Noch lehnen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Ex-Generalstabschef Benny Gantz, der im dreiköpfigen Kriegskabinett derzeit die Oberhand hat, ein Ende der Angriffe ab. Doch auch von innen steigt der Druck: Unter den Angehörigen der rund 240 Geiseln, die Hamas und Islamischer Dschihad in den Gazastreifen entführt haben, gibt es mittlerweile viele, die fordern, im Gegenzug die palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen auszutauschen, so wie die Hamas-Führung es fordert.

Auf der anderen Seite verlangen Netanjahus Koalitionspartner vom rechtsradikalen Parteibündnis »Religiöser Zionismus« ein noch viel härteres Vorgehen. Das Militär solle auch im Westjordanland aktiv werden und vor allem nicht mehr gegen die Gewalt vorgehen, die Siedler gegen Palästinenser ausübten. Die Zahl der Übergriffe hat nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Betselem seit Kriegsbeginn stark zugenommen. Die Reaktion des Militärs darauf ist schon jetzt verhalten. Die massive Truppenmobilisierung für den Militäreinsatz in Gaza hat auch dazu geführt, dass die Militärpräsenz im Westjordanland stark ausgedünnt ist.

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