Bund-Länder-Gipfel: Der Geist der Abschottung geht um

Bund-Länder-Treffen einigt sich in Sachen Migration

Das lang erwartete Bund-Länder-Treffen soll äußerst zäh vonstattengegangen sein. Wer die Migrationsdebatten der vergangenen Wochen verfolgt hat, den wird dies nicht überraschen: Seit Langem fühlen sich die Kommunen bei der Versorgung von Geflüchteten vom Bund alleine gelassen. Der hatte eigentlich mehr finanzielle Unterstützung zugesichert – bisher kam kaum etwas bei den Kommunen an.

In den frühen Morgenstunden konnten sich Bund und Länder am Dienstag nach 17 Verhandlungsstunden – erst unter den Ländern und dann gemeinsam mit Olaf Scholz – auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket einigen.

Heftige Kritik zu den Beschlüssen kam von links, aber auch von Fluchtorganisationen und den Ländern. Hier die Maßnahmen im Überblick:

  • Asylverfahren: Insgesamt soll die Zahl der Menschen, die im Wege der Fluchtmigration nach Deutschland kommen, deutlich und nachhaltig gesenkt werden. Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, sollen zügiger als bisher abgeschlossen werden. Ziel ist, das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren bei ihnen jeweils in drei Monaten zu beenden.
  • Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen: Die bestehende Flüchtlingspauschale des Bundes soll ab dem nächsten Jahr zu einer von der Zahl der Schutzsuchenden abhängigen Pro-Kopf-Pauschale weiterentwickelt werden. Ab 2024 zahlt der Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von 7500 Euro. In der ersten Hälfte des Jahres 2024 soll es eine Abschlagszahlung von 1,75 Milliarden Euro geben. Die Anpassungen würden laut Beschlusspapier 2024 zu einer Entlastung bei Ländern und Kommunen von rund 3,5 Milliarden Euro führen.
  • Leistungskürzungen für Asylbewerber: Asylbewerber sollen künftig sogenannte Analogleistungen in Höhe der Sätze der regulären Sozialhilfe erst nach 36 statt bisher nach 18 Monaten bekommen. Zudem sollen Leistungen wie Essen in staatlichen Unterkünften fortan auf Zahlungen angerechnet werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb auf der Plattform X, dies könne zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen. Dadurch werde »auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert«.
  • Bezahlkarten statt Bargeld: Bund und Länder wollen für Geflüchtete Bezahlkarten einführen, mit denen sie Güter des täglichen Bedarfs bargeldlos einkaufen können. Dies würde Möglichkeiten für Asylbewerber einschränken, Geld in ihre Heimatländer zu überweisen, was teils als Anreiz zur Flucht nach Deutschland gesehen wird. Bis Ende Januar 2024 soll ein Modell zur Einführung stehen.
  • Asylverfahren in Drittstaaten: Die Bundesregierung will prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Geprüft werden soll, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann.
  • Mehr Abschiebungen durch Migrationsabkommen: Die Weigerung vieler Herkunftsländer, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, sei »eine der größten Hürden« für mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, heißt es in dem Beschluss. Ziel müsse deshalb sein, mit solchen Ländern Migrationsabkommen zu schließen. Anreiz sollen Angebote zur legalen Einwanderung von Arbeits- und Fachkräften sein.
  • Grenzkontrollen: Die im Oktober eingeführten stationären Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz werden aufrechterhalten – laut Bundeskanzler Olaf Scholz »über lange Zeit«. Flüchtlinge, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland wollen, sollen möglichst direkt in diese zurückgeschickt werden.

Der Vizepräsident des deutschen Städtetages, Burkhard Jung (SPD), bemängelte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk vor allem die Höhe der Hilfspauschale für Kommunen. Diese liege mit 7500 Euro weit unter dem geforderten Betrag von 10 500 Euro pro geflüchteter Person. Zudem bemerkte Jung, in Städten und Kommunen schlage ursprünglich vorhandene Hilfsbereitschaft inzwischen in eine Demokratieskepsis um.

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Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, nannte die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz »desaströs«. »Die von Bundeskanzler Scholz und den Regierungschef*innen der Länder gefassten Beschlüsse atmen den Geist der Abschottung und sind fatal.« Dass Scholz diesen »Horrorkatalog« als Ergebnis einer historisch guten Zusammenarbeit ansieht, sei bezeichnend für den parteiübergreifenden Konsens, Geflüchtete zu bekämpfen, statt die Kommunen zu befähigen, Schutzsuchende zu versorgen, kommentierte Bünger.

»Die beschlossene Verlängerung gekürzter Sozialleistungen für Geflüchtete ist nichts anderes als ein politischer Tritt nach unten – mit beifallheischendem Blick auf die verunsicherten und ressentimentgeladenen Teile der Bevölkerung«, erklärte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl. Wer Integration erwarte, tue sich keinen Gefallen damit, ankommende Geflüchtete lange Zeit erst einmal vor den Kopf zu stoßen und ihnen zu signalisieren, dass sie nicht erwünscht sind, heißt es weiter in der Mitteilung der NGO.

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