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»Europa den Räten«: Treffen sich fünf Linke auf ’ner Bühne ...

Über ein Rollenspiel der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Räte-Idee

»Keine Macht für niemand – oder alle Macht den Räten?«, fragen sich die Gäste des inszenierten Rollenspiels der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
»Keine Macht für niemand – oder alle Macht den Räten?«, fragen sich die Gäste des inszenierten Rollenspiels der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Das urlinke Räte-Thema noch einmal in die Diskussion zu bringen, das sollte eigentlich ein Ziel der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung »Europa den Räten« sein. Der Frage, wie Demokratie radikal neu gedacht werden kann, wollte man sich nicht nur theoretisch mit dem üblichen Panel-Format annähern, kündigten die Organisatoren der Veranstaltung an. In einer Art Rollenspiel wolle man die Idee der Gesellschaftsräte in der Praxis testen – gemeinsam mit dem Publikum.

Die Erwartungen an das Event »Keine Macht für niemand oder alle Macht den Räten?« waren hoch gesetzt. Und das Ergebnis nach viereinhalb Stunden im großen Saal der Berliner Volksbühne?

18 Uhr: Schwan und der Krötenrat

Ein Blick in den Saal: etwa 200 bis 250 Personen zwischen geschätzt 17 und 99 Jahren. »Ich habe mich in meinem Studium lange mit der Frage der partizipatorischen Demokratie auseinandergesetzt, deshalb wollte ich heute dabei sein«, erzählt mein Sitznachbar kurz vor Beginn der Veranstaltung. Das ist in jedem Fall ein nachvollziehbarer Grund, an einem Donnerstagabend zu einer viereinhalbstündigen Veranstaltung zu gehen.

Gesine Schwan tritt auf die Bühne – die Gesine Schwan. Was viele zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen können: Der zehnminütige Monolog über ihre Erfahrung mit einem kommunalen Gesellschaftsrat, der sich mit dem Erhalt eines Krötenteichs befasste, sollte einer der relevantesten Beiträge des Abends werden. Sie selbst sei aber kein wirklicher Fan der linken Räte-Idee, wie Schwan betont. Schließlich ist sie Verfechterin der parlamentarischen Demokratie – und SPD-Mitglied.

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Nun kommen weitere Gäste auf die Bühne und zwei Personen aus dem Publikum. Der erste der drei »Räte« gleicht doch eher einer Panelveranstaltung soziologiebewanderter Linker. Nach knapp einer Stunde sind sie alle gefallen, die Namen, die unbedingt genannt werden müssen: Hannah Arendt, Hartmut Rosa, Walter Benjamin. Marx darf auch nicht fehlen.

19.30 Uhr: Noch drei Stunden

Etwa zwei Drittel des ursprünglichen Publikums sitzen im Saal. Vielleicht nur eine verlängerte Raucherpause? Doch jetzt der Lichtblick: Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, auf der Bühne. Aus dem Publikum ist diesmal niemand dabei. Wie immer sagt Urban viele sinnvolle Sachen, klar und in Unterpunkte geordnet: 1. Alle verstehen, dass es so mit der Welt nicht weitergehen kann. 2. Wir als Linke haben wenig historische Erfolgsergebnisse vorzuweisen. 3. Der Zeitdruck ist groß. Dazu wollen wir auch noch, dass die nötige Veränderung von unten kommt. Ein großes Dilemma. Und Linke müssen sich dringend wieder mehr mit dem Thema Ökonomie beschäftigen. Stimmt alles, ich kritzele die Worte »I love Hansi Urban« in mein Notizbuch.

Neben Urban sitzen zwei Gen-Z-lerinnen auf der Bühne – sie haben Lust auf Auseinandersetzung. Das, was beim vorherigen »Rat« passiert ist, will man nicht wiederholen, sagt jemand. Und so entsteht spontan, was sich wohl viele vom Abend erhofft hatten: ein waschechtes Streitgespräch. In diesem Fall zwischen Deborah Darabi, die sich immer wieder auf die Tradition der bewaffneten Arbeiter- und Soldatenräte der Novemberrevolution bezieht, und Lina Johnsen, Sprecherin der Letzten Generation, die darauf beharrt, die Gesellschaft brauche friedlichen Widerstand: »Niemand will hier Gewalt ausüben.« Der Zeitplan unterbricht den Streit, der gerade erst so richtig in Fahrt kommt.

Doch so kurz vor dem EU-Parteitag muss Carola Rackete noch auf die Bühne. »Nur wegen ihr bin ich hier«, erzählt mir ein Aktivist aus der Seenotrettungsbewegung.

21 Uhr: Jetzt gehen lohnt nicht mehr

Noch etwa ein Viertel des Publikums ist übrig geblieben. Selbst Vorstandsmitglieder des bewegungslinken Flügels haben inzwischen den Saal verlassen. Rackete erzählt von Irland, wo Gesellschaftsräte zur Legalisierung von Abtreibung implementiert wurden – ein demokratischer Erfolg. Sobald die Entscheidungen der Räte dann aber gegen das Kapital gehen, werden sie nicht umgesetzt. Das bewies schon Deutsche Wohnen & Co enteignen; auch die chilenischen Assembleas seien ein Beispiel dafür. So wirklich vorstellen könne Rackete sich das mit den Räten in der EU ohnehin nicht – also rein praktisch.

Dann schafft die EU-Spitzenkandidaten der Linken doch noch mal den Bogen zu dem, worum es ganz am Anfang ging: die Teichkröten. Hat sie eigentlich beim kommunalen Gesellschaftsrat jemand gefragt, was sie sich wünschen? Ergänzend stellt die Soziologin Sabine Hark die letzte Frage des Abends: Wie können wir Tiere, die Natur ganz allgemein, ja das Universum in demokratische Entscheidungsprozesse einbeziehen? Ich will nach Hause.

»Wir haben von Anfang an kein starres Veranstaltungskonzept verfolgt. Das wäre dem Thema auch nicht angemessen gewesen. Es war ein offenes Konzept, das in einem partizipativen Prozess entstanden ist und bis zum Schluss weiterentwickelt wurde«, erklärt Johanna Bussemer von der RLS am nächsten Morgen. Das Räte-Thema bleibe spannend und aktuell. Dieses Mal habe die Inszenierung eines Gesellschaftsrates im Mittelpunkt gestanden. Beim nächsten Mal wolle man es mit einem richtigen Gesellschaftsrat versuchen.

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