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SPD regiert aus Gewohnheit

Brandenburgs Sozialdemokraten arbeiten am Programm für die Landtagswahl

Eifrig bei der Sache in Fürstenwalde: Gedankenaustausch über Bildung und Wissenschaft
Eifrig bei der Sache in Fürstenwalde: Gedankenaustausch über Bildung und Wissenschaft

»In der SPD duzen wir uns. Ich bin Marie«, sagt Marie Glißmann am Samstag zur Begrüßung. Sie ist Kandidatin der Brandenburger SPD für die Europawahl am 9. Juni. Zeitgleich wird es eine Kommunalwahl geben und dann am 22. September die Landtagswahl. Für letztere braucht der SPD-Landesverband noch ein Programm – und der Text wird gegenwärtig vorbereitet. Bei vier Regionalkonferenzen darf sich die Parteibasis einbringen. Zwei fanden im Oktober in Senftenberg und in Neuruppin statt. Am Samstag gibt es eine im Alten Rathaus von Fürstenwalde und dann zum Abschluss am 16. November noch eine in Potsdam.

Für alle vier Termine war der Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzende Dietmar Woidke angekündigt. Doch der musste sich am Donnerstag krankmelden und seine Termine absagen. Im Alten Rathaus von Fürstenwalde wird eine Videobotschaft von ihm eingespielt. Das Bild ruckelt und passt nicht zu den Worten, die Woidke an seine Genossen richtet. Aber eins steht fest: Bei allen Schwierigkeiten, in denen die SPD momentan vor allem auf Bundesebene steckt, aber auch in Brandenburg – sie will ihre Erfolgsserie fortsetzen. Denn seit 1990 gewannen die Sozialdemokraten hier sämtliche Landtagswahlen und stellten mit Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und jetzt Dietmar Woidke durchgehend den Ministerpräsidenten. Von einer absoluten Mehrheit, die es 1994 mit 54 Prozent der Stimmen gab, sind sie heute aber weiter entfernt denn je. 2019 erzielte die SPD lediglich 26,2 Prozent. In einer im September veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap landete die SPD bei bescheidenen 20 Prozent – während die AfD mit 32 Prozent weit vorn lag.

Doch Woidke demonstriert in seiner Videobotschaft Entschlossenheit. Er zeigt sich »überzeugt«, dass die SPD nächstes Jahr ein gutes Ergebnis erzielt und weiter regieren kann. »Lasst uns gemeinsam für die Zukunft unseres Landes arbeiten«, ermuntert er. Heute werde mit der Arbeit am Wahlprogramm »ein Grundstein gelegt, dass die Menschen der SPD weiter Vertrauen schenken können«. Woidke verwendet freilich nicht den Begriff Wahlprogramm. Die brandenburgische SPD nennt das schon immer ihr Regierungsprogramm. Etwas anderes als Regieren kann sie sich schon nicht mehr vorstellen.

Den Posten des Ministerpräsidenten könnte die SPD natürlich auch besetzen, wenn sie im September 2024 hinter der AfD auf dem zweiten Rang landet. Denn kein demokratischer Landtagsabgeordneter wird einen AfD-Politiker zum Ministerpräsidenten wählen wollen. Aber so ist es nicht gemeint. Auf Nachfrage betont SPD-Generalsekretär David Kolesnyk: »Unser Ziel ist, stärkste Kraft zu werden.« Mut macht ihm die jüngste Analyse von wahlkreisprognose.de. Da rückte die SPD plötzlich mit 27 Prozent bis auf sieben Prozentpunkte an die AfD heran, die damit wieder »in Schlagweite« liegt, wie Kolesnyk sagt.

Die angekündigte eigene Partei der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht einkalkuliert, käme die SPD laut wahlkreisprognose.de übrigens so wie die Wagenknecht-Partei auf 21,5 Prozent und läge nur 0,5 Prozentpunkte hinter der AfD (CDU zwölf Prozent, Linke fünf Prozent, Grüne 4,5 Prozent). Aber über eine Partei, die es noch gar nicht gibt, will Kolesnyk nicht spekulieren. Er vertraut darauf, dass die Umfragen jetzt stark vom Bundestrend beeinflusst sind. Die Landespolitik kommt erfahrungsgemäß erst wenige Monate oder sogar Wochen vor der Landtagswahl zur Geltung – und da schnitt Brandenburgs SPD stets besser ab.

65 Männer und Frauen beraten an Stehtischen im Alten Rathaus miteinander, wie die SPD bei den Wählern punkten könnte. Aus verschiedenen Themen wählen die drei aus, um diese zu besprechen. Das vierte Thema »Arbeit und Wirtschaft« ist gesetzt, weil dazu extra die Unternehmer Alexandra Gräfin von Stosch und Martin Bock sowie mit Peter Weiser der Betriebsratsvorsitzende des Fürstenwalder Reifenwerks eingeladen sind. Die Teilnehmer wählen »Bildung und Wissenschaft«, »Mobilität und Infrastruktur« sowie »Bezahlbares Wohnen«. Das vorgeschlagene Thema »Integration« scheidet knapp aus, spielt aber dennoch eine Rolle. Gräfin von Stosch erhält spontan Applaus, als sie sagt: »Wir befürworten Integration.« Doch die Finanzministerin und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Katrin Lange entgegnet: »Man kann nicht Politik gegen die Menschen machen. Wir müssen Zuwanderung begrenzen.«

In einer anderen Frage verblüfft Betriebsrat Weiser die Zuhörer. Er hegt Bedenken gegen die zum 1. Januar geplante Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um 41 Cent auf 12,82 Euro. Vielleicht müsse man da ein bisschen bremsen, sagt er. Warum das? Der US-Konzern Goodyear streicht 1000 Stellen in Europa und schließt nicht mehr aus, Standorte ganz aufzugeben. »Fürstenwalde ist noch außen vor glücklicherweise«, sagt Weiser. Doch der Konzern habe auch Reifenwerke in Polen und Serbien, wo die Energiekosten nicht so hoch seien wie in Deutschland. Wenn jetzt der Mindestlohn schon auf 12,82 Euro steige und das künftig so weitergehe, aber die Entgelttabelle bei Goodyear 13,40 Euro als Einstiegslohn vorsieht, werde es langsam eng. »Die Amerikaner sind da knallhart. Die gehen ins Ausland.« 1000 Jobs im Werk stünden zur Disposition.

Betriebe könnten wegen der hohen Energiekosten abwandern, warnt auch Unternehmer Martin Bock. Das ist Finanzministerin Lange bewusst. In Ludwigsfelde gibt es ein Mercedes-Werk, in dem Transporter vom Typ »Sprinter« gefertigt werden. Doch das Getriebe werde aus Rumänien zugeliefert, sagt Lange. Da seien die Energiekosten niedriger. In Brandenburg dagegen kostet Strom besonders viel, weil hier schon viele Windräder und Solarparks stehen. Bislang vergeblich dringt das Land darauf, nicht für seine Vorreiterposition bei den erneuerbaren Energien bestraft zu werden.

Bevor die Diskussion an den Stehtischen startet, mahnt Moderatorin Glißmann: »Denkt bitte daran: Wir reden darüber, was wir für Brandenburg wollen und nicht, was wir nicht wollen.« Nach vorne schauen, lautet die Devise. Zweckoptimismus ist angesagt.

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