• Politik
  • Migrationsdeal mit Albanien

Meloni prescht vor

Der Migrationsdeal zwischen Italien und dem Adria-Nachbarn Albanien steht rechtlich auf wackligen Beinen

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.
Elly Schlein, die Sekretärin der Demokratischen Partei Italiens, vor einem Bild von Rama und Meloni.
Elly Schlein, die Sekretärin der Demokratischen Partei Italiens, vor einem Bild von Rama und Meloni.

In Italien redet und streitet man derzeit über ein »ungelegtes Ei«: das berüchtigte Abkommen zwischen Italien und Albanien, das seit dem Sommer von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama ausgehandelt wurde. Und das an allen demokratischen Strukturen vorbei.

In der vergangenen Woche hatte Meloni dieses Abkommen wie eine »Weltneuheit« angekündigt. Es werde Italiens Migrantenproblem ein für alle Mal lösen und demnächst ein Vorbild für ganz Europa darstellen. Auf praktisch alle Nachfragen, die anschließend kamen, waren die Antworten der Postfaschistin mehr als vage: »Das müssen wir noch sehen.« »Das ist noch nicht ganz klar.« »Darüber denken wir nach.«

Das Wenige, das klar zu sein scheint, kann man so zusammenfassen: Italien will in Albanien auf eigene Kosten zwei Auffanglager einrichten, in denen jeden Monat bis zu 3000 »irreguläre« Migranten eingesperrt werden können. Ausgeschlossen sind Kinder, Frauen und gebrechliche Menschen. Man will sie in Albanien festhalten, bis ihre Asylanträge gestellt, geprüft und eventuelle Ausweisungen stattfinden; dafür sollen 28 bis 30 Tage ausreichen. Mehr ist bisher noch nicht bekannt – und auch die EU, die über das Abkommen informiert wurde, hat noch viele Fragen.

Die hat ebenfalls der Jurist Fulvio Vassallo Paleologo, einer der bekanntesten italienischen Experten in Sachen Migration. Für ihn ist der ganze Plan verfassungswidrig, unter anderem, weil die aus Seenot Geretteten nach gültigem Recht überhaupt nicht eingesperrt werden dürften, solange man ihnen keine Straftat nachweisen kann. Und da sie ja nicht »illegal« nach Italien eingewandert sind und Albanien ja in diesem Sinne nicht zuständig wäre, stehe das ganze Konstrukt seiner Meinung nach auf sehr wackeligen Beinen.

Wer wäre denn für eine eventuelle Ausweisung der Migranten zuständig? »Wenn man sie nicht ausweisen kann«, so der albanische Regierungschef Edi Rama, dann »muss Italien sie zurücknehmen«. Und was passiert mit den Menschen, deren Asylanträge dann doch akzeptiert werden? Und wer ist für die Sicherheit in diesen Zentren zuständig? Drinnen die Italiener und draußen die Albaner, heißt es aus Regierungskreisen, aber auch das ist mehr als fragwürdig. Der Katalog mit den offenen juristischen Fragen erscheint beinahe endlos.

Und dann wäre da auch noch die Frage der Kosten. Italien gibt Albanien erst einmal 80 Millionen Euro für den Bau der Lager. Danach müssten dann zig italienische Beamte nach Albanien geflogen werden, die die Anträge aufnehmen und bearbeiten sollen. Italienische Richter müssten die Ausweisungen überprüfen und letztlich unterzeichnen. Und wenn jemand Berufung dagegen einlegt, würde das Hin- und Her von Neuem beginnen. Wir gesagt: Ungelegte Eier!

Nun tobt der Streit auch innerhalb der Regierung. Das Abkommen wurde offenbar im Geheimen ausgehandelt, ohne darüber vorab die Bündnispartner von Meloni zu informieren, vom Parlament ganz zu schweigen. Sauer ist jetzt in erster Linie Matteo Salvini, Vize-Ministerpräsident und Transportminister. Ihm und seiner Partei Lega haben Giorgia Meloni und ihre Partei Fratelli d’Italia das Lieblingsthema aus der Hand genommen, was angesichts der Europawahlen im kommenden Frühjahr brisant ist.

Salvini erklärte, das Abkommen sei höchstens eine Übergangslösung, die das Problem der Migrantenströme aber nicht strukturell angehen würde. Auch Antonio Tajani von der Berlusconi-Partei Forza Italia, ebenfalls Vize von Meloni und immerhin Außenminister, fühlt sich übergangen und war gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, als er zugeben musste, dass er keine Ahnung habe, was in dem Vertrag steht. Er weiß auch nicht, was Albanien von Italien als Gegenleitung erhält.

Albaniens Ministerpräsident Edi Rama erklärte, man tue dies nur aus Dankbarkeit dafür, dass Italien in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts, als in den Straßen des kleinen Landes Bürgerkrieg herrschte, »so vielen Landsleuten Zuflucht gewährt habe«. Auf jeden Fall will sich Italien aber dafür einsetzen, dass Albanien demnächst in die EU aufgenommen wird.

Die Opposition sieht andere Hintergründe. Elly Schlein, Vorsitzende der sozialdemokratischen PD, erklärte in einem Interview, Meloni versuche, »mit diesem Scheinerfolg die realen Misserfolge« zu verschleiern, die die Regierung tagtäglich zu verzeichnen habe.

Dabei geht es in erster Linie um das Haushaltsgesetz, das jetzt verabschiedet wird. Während die Regierung zum Beispiel versprochen hatte, das Gesundheitssystem zu stärken, sind Kürzungen vorgesehen. Sie wollte etwas für kinderreiche Familien tun, aber tatsächlich wird die Mehrwertsteuer auf Windeln angehoben. Die Liste derartiger nicht eingelöster Versprechen ist lang. »Das Abkommen mit Albanien ist eine Nebelbombe!«, sagte Schlein.

Auch Stefano Galieni, Sprecher für Migration in der Europäischen Linken, lehnt den Deal ab. Er sei nicht umsetzbar und würde Tausende von Migranten in einem Schwebezustand halten. Galieni nennt die Pläne eine »koloniale Deportation«, die das Recht auf Asyl noch weiter untergrabe.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal