Linke: Gemischter Satz für Brüssel

Linkspartei tritt im EU-Wahlkampf gegen die Rechtswende in Europa an

Europaparteitag: Linke: Gemischter Satz für Brüssel

Europaparteitage, zumal der Linkspartei, haben ihre eigenen Regeln. Und eine der wichtigsten lautet: Es geht auch um Europa, aber eben nicht nur. So war es auch am Wochenende in Augsburg. Innenpolitische Fragen, die Inflation, die Energiepreise, gestiegene Kosten für Lebensmittel, die Lohnschere zwischen Ost und West, die Eskalation in Nahost, der Aufschwung der AfD und natürlich der Zustand der Linken nach der Abspaltung des Wagenknechts-Flügels standen im Mittelpunkt der Debatte.

»Ich habe manchmal den Eindruck, dass bei uns die EU-Ebene ein ungeliebtes Politikfeld ist«, sagte Martin Günther, Delegierter aus Brandenburg und später auf Platz 6 der Europaliste gewählt, am Rande der Generaldebatte. Günther war einer der wenigen, die das Thema Europa in den Mittelpunkt ihrer Rede stellten. »Die kommende Europawahl ist für unsere Partei auf dem Weg zu den Landtagswahlen und der Bundestagswahl entscheidend. Aber vor allem ist sie entscheidend für die EU«, betonte Günther, der die Partei auch in der Europäischen Linkspartei, sozusagen dem Dachverband linker und links-grüner Parteien in Europa, vertritt. »Wir müssen uns klar machen, dass eine Rechts-Verschiebung im Europäischen Parlament droht.« Gerade deshalb müsse die Linke den Kampf aufnehmen »für eine sozial- und klimagerechte, friedliche, demokratische EU«.

Das widerspiegelt sich auch im Programm zur EU-Wahl im Juni 2024. Am Sonnabend Punkt 15.08 Uhr hatten die Delegierten das Papier mit ein paar kleinen Schönheitskorrekturen beschlossen. Nur einmal ploppten die alten Konflikte auf, als eine Reihe von Delegierten Änderungen an der Präambel einforderten. Begründung: Es fehle eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Charakter der EU, mit deren neoliberaler und militaristischen Ausrichtung, das Programm erkläre nicht, wofür Die Linke in Sachen Europa stehe, und eine »Handlungsanleitung« für die Regionalverbände enthalte das Papier ebenso wenig. Eine Zustimmung für diese Anträge gab es allerdings nicht.

Europa to go

Ein Podcast, der dich anlässlich der Europawahl 2024 ins »Herz« der EU mitnimmt. Begleite uns nach Brüssel und erfahre mehr über Institutionen wie das Europäische Parlament, was dort entschieden wird und warum dich das etwas angeht. Der Podcast ist eine Kooperation von »nd«, Europa.Blog und die-zukunft.eu. Alle Folgen auf dasnd.de/europa

Dabei nimmt das Programm durchaus eine gründliche Analyse der aktuellen Verfasstheit der EU vor, ohne jedoch deren Beseitigung zu fordern – was auf vergangenen Parteitagen durchaus geschah. Dagegen heißt es im aktuellen Wahlprogramm, »ein anderes, gerechtes, hoffnungsvolles Europa« sei möglich – und Die Linke werde dafür eintreten. Stichpunkte dafür sind der Kampf für soziale Gerechtigkeit und einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, für Demokratie und Menschenrechte ebenso wie für Klimagerechtigkeit, Frieden und Abrüstung und ein faires Zusammenleben mit dem Globalen Süden.

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Martin Schirdewan, in Personalunion Ko-Vorsitzender der Linkspartei und der Fraktion The Left im Europaparlament, hatte das Wahlprogramm kurz vor dem Augsburger Parteitag mit einer eigenen »Handreichung« unterfüttert. Darin setzt er sich vor allem für eine Investitionsoffensive der EU für deren »Zukunftsfähigkeit«, für bezahlbare Lebensmittel und Wohnungen ein, stellt sich gegen die Profitorientierung von Krankenhäusern und wirbt für eine europaweite Besteuerung von »obszönen Vermögen und Übergewinnen« – Themen, die auch im Europaparlament zu seinem Portfolio gehören.

Schirdewan ist es auch, der abermals Die Linke in den Europawahlkampf führen wird. Die Wahl der Kandidat*innen für das Europaparlament ist traditionell der spannendste – und brisanteste – Teil der Europaparteitage, der der sogenannten Vertreter*innenversammlung vorbehalten ist. Dabei läuft das Verfahren, im Unterschied zu anderen Parteien, mehrstufig ab. Bereits im September hatte der sogenannte Bundesausschuss der Partei einen Listenvorschlag unterbreitet. Dem voraus gingen diverse Gespräche, um eine möglichst ausgewogene Mischung zu erhalten: Ost und West sollten möglichst paritätisch vertreten sein, jung und weniger jung, Frauen und Männer ohnehin, und möglichst kein Landesverband sollte sich übervorteilt fühlen.

Das Spitzenquartett für die Europawahl, das der Parteivorstand bereits im Juli vorgestellt hatte, erfüllt diese Voraussetzungen weitgehend. Der Bundesausschuss segnete die Empfehlung erwartungsgemäß ab, und auch die Vertreter*innenversammlung in Augsburg gab ihre Zustimmung. Auf den Plätzen 2 bis 4 folgen Schirdewan (86,9 Prozent) die Umwelt- und Seenotaktivistin Carola Rackete (77,78 Prozent), die EU-Abgeordnete Özlem Demirel mit 62,04 Prozent, die sich gegen Didem Aydurmus aus Berlin (28,86 Prozent) durchsetzte, und der Sozialmediziner Gehard Trabert – der wie bereits im Bundesausschuss mit 96,81 Prozent die meisten Stimmen auf sich vereinte. Für Murren – und den Auszug eines Großteils der Delegierten aus dem Saal – sorgte bei der Abstimmung um Platz 1 der Auftritt von Bijan Tavassoli. Tavassoli erklärte bei seiner Bewerbungsrede um den Spitzenplatz coram publico seinen Austritt aus der Linkspartei – wegen deren »antipluralistischen Charakters«. Mit diesem Schritt kam er einem Ausschlussverfahren seines Landesverbandes zuvor.

Trabert reist zwar ebenso wie Rackete auf dem Linke-Ticket, beide sind jedoch keine Mitglieder der Linkspartei. Das allerdings sorgte in Augsburg kaum für Diskussionen. Zudem konnte Carola Rackete in ihrer Rede Zweifel daran ausräumen, in Brüssel zu wenig präsent zu sein – was sie am Vortag noch in einem Presseinterview hatte anklingen lassen. »Für mich geht es in Brüssel zuerst einmal darum, Öffentlichkeit für das herzustellen, was dort passiert«, sagte Rackete gegenüber »nd«. »Denn auf der EU-Ebene fallen zentrale Entscheidungen, beispielsweise zur Klima- oder Agrarpolitik. Diese Informationen sind wichtig, um aktiv werden zu können, gerade auch in Bewegungen, Initiativen oder Nichtregierungsorganisationen.« Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft hat sich die Aktivistin auf die Fahne geschrieben: »Zu einem großen Teil gibt es ja von den Linken im Europaparlament bereits eine Zusammenarbeit mit den Bewegungen, mit der Zivilgesellschaft, mit NGOs. Aber natürlich kann – und muss – das noch ausgebaut werden, insbesondere auch mit Bewegungen aus dem Globalen Süden, denen ich in Brüssel eine Stimme geben will«, so Rackete.

Die neuen Abgeordneten der Linken werden in Brüssel in große Fußstapfen treten. Cornelia Ernst, Martina Michels, Helmut Scholz sowie die wiedergewählten Özlem Demirel und Martin Schirdewan haben einiges bewirkt. Ob europäische Mindestlohn-Richtlinie oder Lieferkettengesetz, EU-Zukunftskonferenz oder Regionalförderung, ob Initiativen zum Umsteuern in der Migrationspolitik, für die befristete Aufhebung der Corona-Impfpatente oder die sozial-ökologische Energiewende – die Linke-Abgeordneten haben durchaus Pflöcke gesetzt, nicht selten ihre Handschrift in europäische Gesetze und Entscheidungen eingebracht. Was übrigens »zu Hause« nicht immer entsprechend gewürdigt wurde.

Das erwartete Gerangel gab es um den Listenplatz 5, um den sich mit Frederike Gronde-Brunner (Berlin), Ines Schwerdtner (Sachsen-Anhalt), Daphne Weber (Niedersachsen) und Petra Hennig (Saarland) gleich vier Frauen bewarben. Während Hennig und Gronde-Brunner in der ersten Runde ausschieden, lieferten sich Weber und Schwerdtner eine Stichwahl – die letztere mit 57,41 gegen 40,23 Prozent für sich entschied.

Auch um Platz 6 gab es eine Stichwahl – wie bereits im September im Bundesausschuss trafen Martin Günther aus Brandenburg und Carsten Schatz aus Berlin aufeinander. Mit gut 55 Prozent lag schließlich Günther vorn.

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