Fast ein Geheimtipp: Italienische Marken-Vielfalt zum Entdecken

Goldene Hügel, verborgene Naturstrände: Die Marken sind Italiens wohl unbekannteste, aber eben noch nicht überlaufene Region

  • Stephan Brünjes
  • Lesedauer: 5 Min.
Die am Reißbrett geplante Innenstadt von Urbino
Die am Reißbrett geplante Innenstadt von Urbino

Der Hintermann hupt. Schon zum zweiten Mal und nun energisch. Er möchte weiterfahren, muss sich aber noch einen Moment gedulden, denn das Panorama ist hier einfach zu grandios, um diese Kreuzung freizumachen: Wellige Hügelketten, von der Abendsonne wie mit Blattgold überzogen. Weinreben, schnurgerade den Hang hochstrebend. Auf einem Hochplateau der bleistiftspitz aufragende Kirchturm, auf dem anderen das dicht gedrängte, wie zusammengeschoben wirkende Dorfensemble. Toskana? Nein, das hier sind die Marken! Zugegeben, diese Region südlich von Rimini und östlich von Perugia hat toskanische Züge, aber eine deutlich geringere Reisebus-Dichte, kaum Souvenir-Anbaggerer und keine Menschentrauben an Instagram-tauglichen Fotospots. Von jährlich etwa 1,2 Millionen deutschen Touristen in Italien fahren gerade mal gut 60 000 in die Marken. Und genießen nahezu ungestört Highlights.

Trampelpfade zum türkisblauen Meer

Fast alle italienischen Strände sehen im Sommer ja aus, als hätten Generäle die Sonnenschirme und Liegen wie Armeen vorm Mittelmeer-Wassersaum antreten lassen. Nicht so am Monte Conero, einem schroffen, fast 600 Meter hohen Kalkfelsen, seit 1987 erster Naturpark der Marken. Ihm zu Füßen schlängeln sich kieselige Naturstrände ohne Buden-Bebauung und Animateur-Remmidemmi. Diese Sand-Sicheln sind auch nicht eingerahmt von Hotel-Klötzen, sondern dichtem Wald, durch den oft abenteuerliche Trampelpfade zum türkisblauen Meer führen. Etwa aus Sirolo, einem kleinen, wie ein Adlerhorst auf dem Kalkmassiv thronenden Ort, dessen Piazza Veneto eine Art XXL-Panorama-Ausguck mit liebenswertem Latte-Macchiato-Service und Bänken unter schattenspendenden Pinien ist.

Tipps
  • Allgemeine Infos:
    www.turismo.marche.it/en-us/ und Reiseführer »Marken«, DuMont-Verlag.
  • Anreise: Mit dem Flugzeug z.B. nach Ancona, die (wenig sehenswerte) Hauptstadt der Marken, von dort aus
    per Mietwagen ins Landesinnere.
  • Übernachten: Poggio Antico mitten im Norden der Marken ist ein Landhaus mit 14 Apartments in höherer Preislage, Frühstücksservice auf Wunsch, Swimmingpool und traumhaftem
    Blick in die Landschaft der Marken.
    www.poggio-antico.com
  • Preiswerter und einfacher: Paolos abgeschieden gelegenes Agriturismo Ramuse in den südlichen Marken.
    www.ramuse.it

Das hergeflogene Haus Marias

Weithin sichtbar thront die Basilika von Loreto mit mächtiger Kuppel und Zwiebelturm auf einem Hügel. Jedes Jahr pilgern mehr als eine Million Gläubige hierher, in einen der meistbesuchten Wallfahrtsorte Europas. Kein Wunder, dass der Weg dort hoch gesäumt ist von Andenkenläden mit reichlich Kirchen-Kitsch. Die auf Plastikstühlen ausgestellten Kunststoffkissen mit Papst- und Marienbildern bleiben trotz energischem Verdrängungswunsch leider so lange erinnerlich, bis Loretos Santa Casa erreicht ist, das Heilige Haus. Angeblich wurde Maria darin geboren und Jesus verbrachte hier seine Kindheit. Nicht in den Marken, sondern in Nazareth. Als die Stadt 1291 unter muslimische Herrschaft kam, hoben vier Engel die Santa Casa an und flogen sie an die Adria – so die Legende. Doch wohin damit?

Die ersten zwei Standorte des Heiligen Hauses sorgten offenbar nicht für ausreichend Pilger-Publikum. Aber dann, durch erneute Verlagerung, klappt es seit 1294 in Loreto. Erst recht, seitdem die heilige Einraumwohnung 1587 mit monumentaler Basilika umbaut wurde. Tatsächlich gilt als gesichert, dass die Steine der Santa Casa aus Nazareth stammen – wahrscheinlich per Boot hertransportiert. Pilger umrunden seit jeher die mit Säulen, Engeln und Reliefs verzierte Santa Casa schon mal auf Knien – abgewetzte Steine im Basilika-Boden zeugen davon. Im Innern des Heiligen Hauses verharren Gläubige beim Gebet in absoluter Stille. Auch der imposante Platz vor der Basilika, gerahmt von den Bogengängen des Apostolischen Palastes, ist ein Ort zum Innehalten.

Die kaiserliche Open-Air-Geburt

Politisch passiert ja gerne mal was im Verborgenen. Aber wenn dem Volke eine Botschaft vermittelt werden soll, dann am besten so, dass alle es zweifelsfrei mitbekommen. Wenn es sein muss, auch die Geburt eines Kaisers – so wie am 26. Dezember 1194: Da erblickt der spätere Stauferkaiser Friedrich II. das Licht der Welt, und zwar angeblich in einem Open-Air-Kreißsaal. In einem eigens aufgebauten Zelt auf der heutigen Piazza Federico II soll Konstanze von Sizilien ihren Sohn geboren haben. Weshalb die angeblichen Umrisse dieses Zeltes mit eigens eingelassenem, steinernem Schriftzug sichtbar gemacht wurden.

Um hierhin zu gelangen, muss man von einem der zahlreichen Parkplätze an der Stadtmauer einige Höhenmeter hochkraxeln und wird dafür mit einer Altstadt belohnt, die in manchen ihrer Ecken durchaus als Kulisse für Mittelalter-Epen à la »Im Namen der Rose« dienen könnte. Wer Friedrich II. näherkommen möchte, taucht am besten ein ins Museo Federico II, wandelt mit reichlich Multimedia-Unterstützung durch die insgesamt 16 Räume und das bewegte Leben dieses hochgebildeten, die Falknerei liebenden, in Kriege und Kreuzzüge ziehenden Königs.

Die Reißbrett-Stadt mit Foto-Panorama

Urbino, etwa 30 Kilometer von der Küste landeinwärts, ist ebenfalls ein Werk des Federico. Aber nicht vom Stauferkaiser Friedrich II., sondern von Herzog Federico da Montefeltro, gut 300 Jahre später. Eine Modellstadt wollte er bauen lassen, und ein bisschen so sieht Urbino auch bis heute aus: Die Straßen sind schon mal beinahe schnurgerade Achsen. Vieles, was davon abzweigt, tut dies im rechten Winkel. Und was da rechts und links an Palästen und Kirchen aufragt, ist prächtigste Renaissance.

Allen voran der Palazzo Ducale mit seinen Kunstsälen, fürstlichen Gemächern und seinem enormen Vorplatz. Gleich daneben die 2016 bei einem Erdbeben schwer beschädigte, aber inzwischen komplett renovierte Kathedrale. Am besten genau gegenüber vor das kleine Café setzen, einen Latte bestellen und diese Freiluft-Architektur-Ausstellung in aller Ruhe bewundern. Abends, zur blauen Stunde, ist sie noch imposanter.

Apropos: Urbino mit seinen 15 000 Einwohnern und den dazukommenden etwa 20 000 Studenten ist eine lebendige Stadt mit vielen Trattorien in engen Gassen unter Lichterketten. Eine dieser Gassen sollte man schon tagsüber hochgestiefelt sein Richtung Parco della Resistenza. Hier rasten oder dösen, picknicken oder spielen kleine und große Einwohner und Besucher auf ausgedehnten Grünflächen mit überwältigendem Panorama-Blick auf Urbino und seine aus Rotschindel-Dächern aufragende Kathedrale. Ein Muss für Fotografen!

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