Das Personal ist schon fast weg

Kein Einzelfall: das Evangelischen Krankenhaus in Holzminden steht vor dem Aus

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Evangelische Krankenhaus Holzminden, offensichtlich eine Aufnahme noch aus besseren Zeiten
Das Evangelische Krankenhaus Holzminden, offensichtlich eine Aufnahme noch aus besseren Zeiten

Noch vor etwa einer Woche hatten sich die Stadt und der Weserbergland-Landkreis Holzminden bemüht, das Evangelische Krankenhaus, in dessen Einzugsbereich rund 71 000 Menschen leben, vor dem Aus zu bewahren. Eine Sanierungssumme von 12 Millionen Euro war im Gespräch, auch ein Schrumpfen von 180 auf 40 Betten und die Schließung mehrerer Stationen, verbunden mit der Verringerung des Personalbestandes. Bislang arbeiteten in der Klinik 320 Menschen.

Doch nun teilt das Krankenhaus mit: Ab sofort wird niemand mehr stationär aufgenommen. Ambulante Untersuchungen und Operationen, die ab dem 23. November stattfinden sollten, müssen abgesagt und der überwiegende Teil der Patientinnen und Patienten in den nächsten Tagen entlassen werden. Verlegungen werden organisiert, wenn notwendig.

Wie vom Insolvenzverwalter des Hauses Franz Ludwig Danko zu erfahren ist, haben Stadt und Landkreis entschieden, den Klinikbetrieb nicht mit einer Betriebsgesellschaft zu übernehmen und demzufolge diesen auch nicht mit einer Finanzspritze in Millionenhöhe zu stützen. Zuvor sei durch eine Reihe von Personalabgängen ein Restrukturierungskonzept immer unwahrscheinlich geworden.

Für eine Rettung des Krankenhauses wären zusätzliches Geld und das nötige Personal erforderlich gewesen, fasst der Insolvenzverwalter zusammen. Doch es habe sich abgezeichnet, dass beides nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehe. Inzwischen gebe es knapp 160 Kündigungen, darunter auch Schlüsselpositionen, sagt Danko. »Dass sich Mitarbeiter in der Insolvenz einen neuen Job suchen, ist völlig normal, und man kann das niemandem zum Vorwurf machen«, betont er. Der Kampf um das knappe Personal werde im Gesundheitswesen mit sehr harten Bandagen geführt. Wenn Kliniken mit zum Teil hohen vierstelligen Antrittsprämien lockten, könne dem ein insolventes Krankenhaus nichts entgegensetzen.

Patientinnen und Patienten in Holzminden sollen dort fortan von drei medizinischen Versorgungszentren betreut werden, die zwar ebenfalls Insolvenz angemeldet hatten, nun aber in das Gebäude des Krankenhauses ziehen und dort arbeiten sollen. Der Rat der Stadt Holzminden hat beschlossen, für diese Zentren eine Bürgschaft von 2,2 Millionen Euro zu übernehmen. Durch dieses Konzept sollen zumindest die ambulanten Strukturen der Versorgung gewährleistet werden.

Schon seit einiger Zeit hatte sich die prekäre Situation des Evangelischen Krankenhauses abgezeichnet. In ihrer Sorge um die Klinik und ihre Arbeitsplätze wollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Bürgerinnen und Bürger des Kreisgebietes Holzminden im Oktober eine Unterschriftensammlung für den Erhalt des bedrohten Hauses an Niedersachsens Sozialminister Andreas Philippi (SPD) übergeben. Doch der Ressortchef nahm diese nicht an und erklärte, er sei nicht zuständig, das sei der Bundesgesundheitsminister in Berlin.

Wie in Holzminden so sehen sich in ganz Niedersachsen nicht wenige Krankenhäuser durch wirtschaftliche Probleme bedroht. Nach Mitteilung der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) sind dort mehr als 80 Prozent der Kliniken existenzgefährdet. Die Situation der Krankenhäuser sei »so schlecht wie nie zuvor«, informierte die NKG schon vor geraumer Zeit nach einer Umfrage unter den niedersächsischen Kliniken, an der sich 123 von 167 Einrichtungen beteiligten.

Für die bedrohliche Situation seien sowohl die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Personalausfälle als auch gestiegene Energie- und Sachkosten verantwortlich. Nicht ein einziges Krankenhaus habe angegeben, derzeit auf eine positive Entwicklung zu hoffen. Im Gegenteil: Es sei mit einer »weiteren und massiven Verschlechterung« der Lage zu rechnen.

Mit ihren Sorgen reihen sich die niedersächsischen Krankenhäuser ein in das bundesweite Bild. Wie eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts unter 448 Kliniken ergab, sehen nahezu 70 Prozent aller Krankenhäuser in Deutschland ihre Existenz bedroht. Mit Schließungen von Fachabteilungen rechnet nahezu jedes zweite Krankenhaus. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, appellierte an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Er müsse die Kliniken durch einen Inflationsausgleich von ihren extrem gestiegenen Kosten entlasten.

Innerhalb eines knappen Jahres haben insgesamt 34 Krankenhäuser Insolvenz angemeldet. Das geht aus Zahlen der DKG für die Zeit seit November 2022 hervor. Mit diesen Entwicklungen hat sich auch die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplante Krankenhausreform auseinanderzusetzen.

Zu diesem Thema fand am Donnerstag eine weitere Bund-Länder-Runde in Berlin statt. Obwohl aus dem Regierungslager von einem Durchbruch gesprochen wird, wird es im Januar noch ein weiteres dieser Treffen geben müssen – und erst danach geht es an die Erarbeitung eines Referentenentwurfs für das nötige Gesetz. Es gelte, gangbare Kompromisse zu finden, »die sowohl die Finanzierung der Krankenhäuser auf sichere Beine stellt und die Planungshoheit der Länder nicht einschränkt als auch die notwendigen Weichen stellt, um die stationären Strukturen zu modernisieren«, erklärte etwa der SPD-Gesundheitspolitiker Christos Pantazis. Das hört sich schon weniger optimistisch an.

Auch Minister Lauterbach sprach von einer schwierigen Diskussion und einer komplizierten Reform. Es gehe aber weiter. Für 2025 und 2026 angestrebte Umsetzungsschritte stünden aus jetziger Sicht zeitlich nicht infrage. Der Vorsitzende der Gesundheitsminister der Länder, Manne Lucha (Grüne) aus Baden-Württemberg, sagte, man habe sich verständigt, weiter »in dieser Verantwortungsgemeinschaft« zu arbeiten. Es sei ein harter Prozess. Lauterbach habe erkennen lassen, die Position der Länder zu sehen. Zuvor hatte die Gesundheitsministerin Bayerns Judith Gerlach (CSU) noch mit einer Verfassungsklage gegen das Projekt gedroht.

Im Sommer hatten sich Bund und Länder eigentlich mehrheitlich auf Grundzüge einer Reform verständigt. Mit Agenturen

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal