Online-Kaffeemarktplatz als Herausforderung für Tchibo und Co.

Fünf Kaffeekollektive aus Hamburg und Lüneburg engagieren sich für solidarische Strukturen in der Branche

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 9 Min.
Das Kollektiv Avenir in Lüneburg steht nicht nur für fairen Kaffee, sondern auch für gute Gastronomie.
Das Kollektiv Avenir in Lüneburg steht nicht nur für fairen Kaffee, sondern auch für gute Gastronomie.

Der Aufkleber auf der blauen Packung, die gerade die Verpackungsmaschine in der Rösthalle in Hamburg-Rothenburgsort verlassen hat, ist auf das Wesentliche reduziert. »Solikaffee« steht da, in großen roten Buchstaben auf schwarzem Grund. Ein kleiner roter Stern am rechten unteren Rand lässt erahnen, dass es sich um eine linke Solidaritätsaktion handelt. Drum herum sind die Logos der fünf kaffeeimportierenden Kollektive aus Hamburg und aus dem gerade einmal 50 Kilometer entfernten Lüneburg aufgedruckt. Die sind in den letzten drei Jahren enger zusammengerückt, treffen sich regelmäßig, und der Ende September erstmals frisch geröstete Solikaffee ist eine gemeinsame Premiere für das Quintett.

Die Kollektive sind gemeinsam ein Big Player in der Hamburger Röstszene. »Zusammen sind wir hinter Tchibo und Darboven der größte Röster in der Hansestadt«, sagt Andreas »Pingo« Felsen. Knapp 600 Tonnen Rohkaffee werden von den fünf Kollektiven zu Röstkaffee verarbeitet, und Quijote Kaffee ist mit einer Importmenge von rund 250 Tonnen Rohkaffee ihr Schwergewicht.

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Felsen, mit raspelkurzen, grau melierten blonden Haaren und blauen, optimistisch funkelnden Augen, ist Gründungsmitglied des im November 2010 gegründeten Kollektivs mit Sitz in der Marckmannstraße in Rothenburgsort. Dort steht die nigelnagelneue Röstmaschine, auf der heute in drei bis vier Röstgängen frischer Solikaffee geröstet und anschließend verpackt und etikettiert werden soll. Auf maximal 60 Kilogramm pro Röstgang ist die mattschwarze Anlage ausgelegt, und mit Ole Halver und Max Timm stehen Felsen zwei Kollegen zur Seite, die sich damit auskennen. Beide haben bei Quijote Kaffee das kleine Röst-Einmaleins gelernt.

Doch während Ole Halver nun mindestens einmal im Monat mit seinen Kolleg*innen vom Röstkollektiv La Gota Negra die Anlage nutzt, ist Max Timm nur noch sporadisch in der Rösthalle. »Wir vom Avenir-Kollektiv haben uns 2021 einen eigenen Röster per Crowdfunding zugelegt. Nun rösten wir in Lüneburg selbst. Allerdings habe ich hier das Handwerk gelernt, und wir bekommen weiterhin Tipps und viel Unterstützung von Quijote Kaffee«, erklärt der 36-jährige Blondschopf.

Cafe libertad
Cafe libertad

Ein zentrales Merkmal der Hamburger Kollektive ist, dass sie sich gegenseitig helfen, Erfahrungen austauschen und gemeinsame Projekte auf den Weg bringen. Der Solikaffee ist nur eines davon und geht auf die Initiative von Café Libertad, dem ältesten Kaffeekollektiv Hamburgs, zurück. Das im Juli 1999 aus Solidarität mit dem indigenen Aufstand der Zapatistas in Mexiko vom Januar 1994 gegründete Kaffeekollektiv bezieht große Mengen seines direkt importierten Kaffees aus Mexiko – aus den kaffeeproduzierenden zapatistischen Genossenschaften im Bundesstaat Chiapas. Die stehen nach wie vor unter Druck – von Paramilitärs, von den Drogenkartellen, die in der Region operieren, aber auch vom Staat, so das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba). »Dabei sind indigene Gemeinden besonders gefährdet«, sagt die Mexikanerin Leticia Hillenbrand, die seit 1995 in Deutschland lebt. Sie ist regelmäßig mit Organisationen vor Ort in Kontakt und hat sich für die gemeinsame Soli-Röstung engagiert.

Pro verkauftes Pfund gehen rund 7 Euro nach Chiapas. Die ersten 180 Kilogramm, die Ende September geröstet wurden, sind nahezu weg. Daher werden in der Quijote-Rösthalle gerade die Bohnen für neuen Solikaffee in den Röster gesogen, um für Nachschub zu sorgen. In den Onlineshops der Kollektive wird der Kaffee in den nächsten Monaten parallel zu deren eigenen Röstprodukten angeboten. Alle fünf importieren ihren Rohkaffee direkt bei den Partner-Genossenschaften, die oft indigener Herkunft sind, immer kleinbäuerlich strukturiert und meist basisdemokratisch entscheiden. Ein Kriterium, das die Kollektive verbindet und sie vom etablierten Kaffeehandel unterscheidet.

Solidarisch, transparent, nachhaltig und partnerschaftlich sind zentrale Attribute, die von den Kollektiven gelebt werden. Auf ihren Homepages sind Einkaufspreise, Importmengen, zum Teil die Kaufverträge und Röstmuster veröffentlicht – bei der industriellen Konkurrenz von Tchibo, Darboven, Melitta und Co. ist all das »Betriebsgeheimnis«. Visiten in den Röstereien der großen Kaffeekonzerne, die den Kaffeemarkt nach wie vor dominieren, sind nur ausnahmsweise möglich, müssen Monate vorher angemeldet werden, und Anfragen, was bei den Bäuer*innen ankommt, werden zum Beispiel bei Melitta in Bremen mit einem Schulterzucken quittiert. »Betriebsgeheimnis« heißt es dann; und ob direkt oder von Handelsunternehmen gekauft wird, beantwortet man auch nicht klar. Obendrein gilt dort ein striktes Fotografierverbot.

In der gläsernen Rösterei des Lüneburger Avenir-Kollektivs ist das komplett anders. Dort im Ilmenaugarten, am Rande des Stadtzentrums und in direkter Nähe des Flusses Ilmenau, wird geröstet, während die Kunden Kaffeespezialitäten schlürfen und selbst gebackenen Kuchen verzehren. Der Geruch nach frisch gerösteten Bohnen hängt schwer in der Luft. »Wir sind beides, Rösterei und Gastronomiebetrieb, und agieren vollkommen transparent. Wir informieren, woher der Kaffee kommt, zu welchen Preisen er eingekauft wird, machen Infoveranstaltungen nach Besuchen bei Genossenschaften, und selbst die Löhne, die wir uns auszahlen, finden sich auf der Homepage«, erklärt Kristin Jordan. Sie ist eines von derzeit elf Mitgliedern des Kollektivs, das seit 2021 besteht und spätestens im nächsten Jahr Kaffee direkt importieren will.

Martin und Hans-Martin vom Aroma-Zapatista-Kollektiv aus Hamburg-Wilhelmsburg
Martin und Hans-Martin vom Aroma-Zapatista-Kollektiv aus Hamburg-Wilhelmsburg

Das ist der nächste Schritt, der alles andere als einfach ist. Usus ist unter den drei derzeit direkt importierenden Kollektiven, Café Libertad, Aroma Zapatista und Quijote Kaffee, 60 Prozent der Abnahmemenge vorzufinanzieren, und das zinslos. Dieses Geld muss erst einmal da sein. »Wir nehmen dafür hier Kredite auf, denn die Genossenschaften auf der anderen Seite des Atlantiks, in Afrika oder Asien benötigen Kapital, um die Kaffeekirschen oder den bereits verarbeiteten Rohkaffee von den Mitgliedern anzukaufen.

Erntehelfer*innen, aber auch Mitarbeiter*innen müssen direkt bezahlt werden«, erklärt Andreas Felsen. Er war im August bei Produzent*innen in Ecuador, und die nächste Reise in die Amazonas-Region des Landes ist bereits für den Januar gebucht. Kurz blickt er auf die Uhr, entnimmt den Probenzieher aus der Röstmaschine und riecht an den Kaffeebohnen, ob sie schon ihr volles Aroma entfaltet haben. Das ist der Fall, sodass er den ersten Röstgang für den Solikaffee abbricht und die knapp 60 Kilogramm dampfenden Bohnen in das rotierende Kühlsieb gleiten lässt. Die Rösthalle füllt sich mit dem satten Duft der gerösteten Bohnen, die wenig später in den blauen Beuteln mit dem schwarz-roten Etikett landen sollen.

Der Solikaffee könnte demnächst auf der Homepage der jüngsten Initiative der Hamburger Kollektive landen: auf dem Kaffeemarktplatz »Überlegen«. Dort wird seit Anfang November Espresso und Filterkaffee von zwölf Röstereien angeboten, die ihren Rohkaffee von demokratisch organisierten Genossenschaften importieren und zu fairen Preisen einkaufen. Die Röstereien haben sich auf gemeinsame Standards für ihre »ehrlichen« Kaffees geeinigt, die auch potenzielle Neumitglieder erfüllen müssen. Dazu gehören die partnerschaftliche Zusammenarbeit, wobei Risiken gemeinsam getragen werden, sowie Ankaufpreise, die »immer so hoch (sind), dass in Verbesserungen des Anbaus investiert werden kann und die Produktionskosten sicher gedeckt werden«. Das sind in der Kaffeebranche nicht nur ungewöhnliche, sondern quasi revolutionäre Standards. Ergänzt werden sie von einem Bekenntnis zum nachhaltigen, umweltschonenden Anbau und zur Transparenz der Röstunternehmen. Diese verpflichten sich, ihre Einkaufspreise, die Mengen, die Qualitäten und die Dauer der Beziehung zu den Lieferanten offenzulegen.

Das hat seinen Grund, denn Ziel des Teams hinter »Überlegen« – mit dabei Andreas »Pingo« Felsen – ist es, den kommerziellen Marktplätzen von Tchibo, Melitta und Co. ein alternatives Modell gegenüberzustellen. Roastmarket, Roasted oder 60beans heißen die drei derzeit wichtigsten Marktplätze für Spezialitätenkaffees, hinter denen Melitta, Tchibo und Joh. Jacobs & Co. stehen. Sie werben damit, kleine Spezialitätenröstereien sichtbarer zu machen.

De facto bieten diese Marktplätze kleineren Röstereien an, eine größere Reichweite zu erhalten, neue Kunden zu gewinnen und zu wachsen. Das ist für viele der rund 1300 Röstereien in Deutschland, das Gros davon klein, auf den ersten Blick attraktiv. Doch das einleuchtende Angebot hat seine Tücken, so eine Analyse von Coffeeness, einem Kaffee-Blog, der die Idee dahinter und die Funktionsweise der Marktplätze unter die Lupe genommen hat. Die Kaffeemarktplätze ähneln anderen Plattformen mit großer Reichweite, die beispielsweise den Hotelmarkt, aber auch andere Branchen von Grund auf verändert haben.

Die Krux, so die Autoren, liege aber darin, dass die Marktplatzbetreiber nicht nur alle Kundendaten, sondern auch die Algorithmen kontrollieren, die dafür sorgen, dass bestimmte Produkte oben auf den jeweiligen Seiten stehen und andere unten. Transparenz? Fehlanzeige. Und das hat Gründe, wie das Beispiel von Roastmarket zeigt. Dort, so vermuten die Autoren, gibt es gleich mehrere Kaffeemarken, die von dem Unternehmen dahinter kreiert wurden, anderswo im Netz nicht präsent sind und überaus dominant platziert werden. Das macht Sinn, denn die Plattformbetreiber wollen schließlich Geld verdienen. Und die Gewinnmargen sind bei eigenen Produkten deutlich größer als bei jenen von externen Spezialitäten-Röstereien, meinen die Autoren. Ein Online-Check bestätigt: Unter den ersten zehn Kaffees, die in der Rubrik nachhaltige Kaffees bei Roastmarket auftauchen, finden sich immerhin zwei der mutmaßlichen Eigenmarken, die auch beworben werden, wenn das Produkt einer kleinen, unabhängigen Hamburger Rösterei angeklickt wird.

Solche Strukturen und Intransparenz lehnen die Betreiber von »Überlegen« ab. Für sie sind diese Marktplätze ein Risiko für die Vielfalt der Röstlandschaft in Deutschland und darüber hinaus. »Wir wollen zeigen, dass es anders geht. Wir möchten, dass die Leute begreifen, dass die großen Kaffeekonzerne strukturell kaum anderes als früher arbeiten, koloniale Austauschverhältnisse reproduzieren«, kritisiert Felsen. Natürlich weiß auch er, dass es durchaus positive Projekte von Tchibo, Nestlé und Co. in den Anbauregionen rund um den Äquator gibt. Aber die werden von den Marketingabteilungen der Konzerne so ausgeschlachtet, dass man meinen könnte, die Konditionen bei Pilotprojekten gelten für den gesamten Geschäftsbereich. Für Felsen eine »Marketing-Lüge«.

»Überlegen« informiert dagegen genau, wie die einzelnen Röstereien arbeiten. Anders als bei den rein kommerziell agierenden Marktplätzen, findet man die Websites und Adressen der vorgestellten Röstereien leicht, und es gibt auch keine Algorithmen, die das eine oder andere Produkt nach oben schieben, sondern einen Zufallsgenerator.

In der Röstbranche hat das binnen weniger Tage für reichlich Feedback gesorgt. »26 Röstereien haben Interesse gezeigt mitzumachen, und auch die Kaffeebestellungen übertreffen unsere Erwartungen«, sagt Felsen und beendet den zweiten Röstgang des Solikaffees. Die gerösteten Bohnen strömen in das Kühlsieb. Ole Halver hat derweil mit Max Timm an der Verpackungsmaschine die ersten 100 Beutel Solikaffee in Kartons verpackt. Ein paar Hundert mehr werden es heute noch werden, denn der nächste Schwung Bohnen wird in ein paar Minuten in der Maschine landen. Vor der steht Andreas Felsen, wirft einen Blick auf das Röstprofil auf dem Display und winkt zum Abschied.

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