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Berlin-Pankow: Unterricht auf der Drehscheibe

Erstes Berliner Ausweichquartier für die Sanierung von Schulen eingeweiht, das zweite folgt in Kürze

So modern und schön wie das Büro der Schulleiterin sind an der Thulestraße 73a alle Räume eingerichtet. Das Grundstück ist 9500 Quadratmeter groß.
So modern und schön wie das Büro der Schulleiterin sind an der Thulestraße 73a alle Räume eingerichtet. Das Grundstück ist 9500 Quadratmeter groß.

Die Freifläche ist begrenzt. Da wird es eng, wenn die Schüler in der Hofpause nach draußen drängen und dort auch noch ganz viele Kinderfahrräder abgestellt sind. Aber anders geht es nicht. Normalerweise sind die Einzugsgebiete von Grundschulen so geplant, dass die Mädchen und Jungen zu Fuß zum Unterricht gelangen können. Kurze Wege für kurze Beine, lautet der Grundsatz. Doch die Wolkenstein-Grundschule ist nur vorübergehend an der Thulestraße 73a in Berlin-Pankow untergebracht. Diese Grundschule befindet sich eigentlich knapp anderthalb Kilometer entfernt in einem 1987 eröffneten Plattenbau an der Neumannstraße. Doch der wartete schon »lang, lang, lang« auf seine Sanierung, wie Berlins Bildungsstaatssekretär Torsten Kühne (CDU) am Freitagmorgen sagt.

Jetzt endlich können die Bauarbeiter loslegen. Das Schulgebäude wird gegenwärtig dafür leergeräumt. Die Mädchen und Jungen sind zum Schuljahresbeginn am 2. September an die Thulestraße umgezogen – mit 1500 Kartons, die erst einmal ausgepackt werden mussten. Die Klassen mit je 24 Kindern haben zunächst »auf Kisten gelebt«, erzählt Schulleiterin Antje Küchner. »Wir freuen uns, hier vorübergehend ein Quartier gefunden zu haben.«

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Man sieht es dem modernen Ausweichquartier nicht an, aber es ist ein lediglich provisorisches, aus über 200 Modulen zusammengesetztes Gebäude. Im Oktober 2022 habe es hier nichts als einen Sandhaufen gegeben, erinnert sich Staatssekretär Kühne. Doch innerhalb kürzester Zeit entstand die sogenannte Schuldrehscheibe. »Das ist eine Sensation in Berlin«, freut sich Kühne, der Anfang 2023 noch Schulstadtrat im Bezirk Pankow war. Erst nach der Berliner Wiederholungswahl im Februar rückte der CDU-Politiker zum Staatssekretär auf, als sein Parteifreund Kai Wegner Regierender Bürgermeister wurde und seine Parteifreundin Katharina Günther-Wünsch Bildungssenatorin. Die Planungsphase eingerechnet schwärmt Kühne: »In weniger als zwei Jahren kann man Schulen in Berlin genehmigen und bauen. Das ist doch mal eine Erfolgsbotschaft.«

Von einer Schuldrehscheibe wird gesprochen, weil hier in den nächsten 15 Jahren nacheinander Pankower Schulen unterschlüpfen sollen, deren Gebäude dann gerade saniert werden. Der Bezirk hat dieses Konzept erfunden. Bis vor ein paar Jahren habe man gedacht, man bekomme die Sanierung der Schulen bei laufendem Betrieb hin, erläutert Kühne. Doch es zeigte sich, dass Schüler und Bauarbeiter einander stören. Schmunzelnd berichtet der Staatssekretär von »traumatischen Erlebnissen Helene-Fischer-geschädigter Kinder« der Carl-Humann-Grundschule. Denn die Bauleute hätten bei der Arbeit in voller Lautstärke die Lieder dieser Schlagersängerin gehört.

Durch die Drehscheibe haben die Bauarbeiter freie Bahn und kommen schneller voran. Mindestens zweieinhalb Jahre, eher drei Jahre werden sie dennoch benötigen, die Wolkenstein-Grundschule auf Vordermann zu bringen. Die Mädchen und Jungen können derweil an der Thulestraße in sehr angenehmer Atmosphäre lernen. Nachteile sind der längere Schulweg und der vergleichsweise kleine Schulhof. Aber ansonsten bietet die Drehscheibe beste Bedingungen: große, helle Klassenräume, eine großzügige Mensa, eine Bibliothek, ein Kabinett für die Naturwissenschaften und eine bestens ausgerüstete Küche.

Da will Staatssekretär Kühne hoffen, dass es Schulleiterin Küchner und ihrem Kollegium hier nicht zu sehr gefällt und sie nach Abschluss der Sanierung an der Neumannstraße gar nicht mehr zurückkehren wollen. Obwohl schon seit fast drei Monaten in Benutzung, wird die erste Schuldrehscheibe der Hauptstadt am Freitagmorgen offiziell eingeweiht. Sie bietet Platz für bis zu 600 Schüler, auch wenn sie im ersten Durchgang nur die 480 Kinder von der Neumannstraße aufnimmt. Die zweite Schuldrehscheibe folgt bereits am 8. Dezember an der Werneuchener Wiese – am Rande des Volksparks Friedrichshain ebenfalls im Bezirk Pankow. Hier ist Platz für 800 Schüler und es gibt sogar eine Turnhalle, die an der Thulestraße fehlt. Damit sind dann im Bezirk Pankow im laufenden Jahr gleich sechs neue Schulen eröffnet worden.

Nach den Grundschulen werden in wenigen Jahren die weiterführenden Schulen die nächste Herausforderung sein. Denn die vielen Kinder werden Jugendliche und besuchen dann eine Oberschule oder ein Gymnasium. Solche Bildungsstätten haben größere Einzugsgebiete und höhere Schülerzahlen. Man braucht also weniger davon, aber dafür größere Standorte. Freie Flächen sind allerdings in der Hauptstadt kaum noch zu finden, es sei denn, es werden Kleingartenanlagen angetastet. Doch das ist politisch sehr schwer durchsetzbar. Erinnert sei nur an den Aufruhr, den im Jahr 2017 der Plan erregte, der Kleingartenanlage Bornholm II sechs Parzellen für den Bau einer zusätzlichen Turnhalle für die benachbarte Bornholmer Grundschule abzuzwacken. Bis jetzt ist trotz einigem Hin und Her nichts daraus geworden.

Für die Schuldrehscheibe an der Thulestraße mussten ein Spielplatz und ein Parkplatz weichen. Theoretisch könnten diese wiederhergestellt werden, wenn die Drehscheibe nach 15 Jahren ausgedient hat. Aber es wäre auch schade um den Modulbau, der nach Angaben der Hersteller gut und gerne 50 Jahre genutzt werden könnte. Es sieht gegenwärtig nicht danach aus, dass der Bezirk Pankow und das Land Berlin angesichts eines Bevölkerungswachstums leichtfertig auf eine funktionierende Schule verzichten könnten. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Einwohnerzahl von 3,4 Millionen auf 3,8 Millionen und es wird prognostiziert, dass die Hauptstadt in den nächsten zehn Jahren die Marke von vier Millionen Einwohnern knackt. Im Rahmen der 2017 noch unter einem rot-rot-grünen Senat gestarteten Berliner Schulbauoffensive gibt es mehr als 200 Bauprojekte.

Die viergeschossige Schuldrehscheibe an der Thulestraße hat 25 Millionen Euro gekostet. Diese vergleichsweise geringe Summe ist ungefähr genauso erstaunlich wie die kurze Bauzeit. »Es zeigt, was möglich ist, wenn alle wirklich wollen«, meint Jörn Pasternack. Er ist Nachfolger von Torsten Kühne als Pankower Schulstadtrat und ebenfalls CDU-Mitglied.

»Wir werden wohl noch etwas Zeit brauchen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen«, erwartet Schulleiterin Küchner nach dem Stress des Umzugs. Bei all ihrer Erfahrung hat sie etwas dazugelernt: »Wo alle Sicherungskästen sind.« Solches Wissen würde sie dann gern weitervermitteln an die Kollegen, die nach ihr einziehen werden. »Wir können sicher ein paar Tipps geben.«

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