Rabe Ralf vom Aussterben bedroht

Berliner Umweltzeitung ist aus Kostengründen bestandsgefährdet und braucht 650 neue Soliabos

Witzig gezeichnet und ernst gemeint.
Witzig gezeichnet und ernst gemeint.

Unten im Erdgeschoss an der Prenzlauer Allee sitzt die Grüne Liga Berlin, oben in einem Raum in der dritten Etage die Redaktion ihrer Umweltzeitung »Der Rabe Ralf«. Die nächste Nummer muss diesen Dienstag in den Druck gehen. Ende vergangener Woche sind von den 32 Seiten nur noch sieben nicht fertiggestellt. »Die Texte liegen aber bereits vor, müssen nur noch redigiert werden«, sagt Redakteur Johann Thun.

Das ist aber noch nicht alles. Denn er und seine Mitstreiter überlegen, die Titelseite kurzfristig zu ändern. »Artenschutz gibt es nicht im Baumarkt« lautet die ursprünglich ins Auge gefasste Schlagzeile der Aufmachung, die auf ein Interview im Innenteil hinweist. Aber vielleicht kommt da stattdessen noch eine Karikatur mit einem ganz und gar nicht lustigen Hintergrund hin: Die Zeichnung zeigt den Vogel Rabe Ralf bis zum Bauch im Wasser. Er droht unterzugehen und bittet um Hilfe. Die alle zwei Monate erscheinende Umweltzeitung braucht recht bald 650 Abonnenten, die freiwillig 40 Euro im Jahr zahlen. Dann wäre das Erscheinen für die Zukunft gesichert. Andernfalls wäre Ende 2024 Schluss – nach dann 34 Jahren.

»Wir würden darüber hinwegkommen. Aber wir machen es ja nicht für uns. Es wäre ein großer Verlust«, gesteht mit einem leichten Schulterzucken Matthias Bauer, der so eine Art Chefredakteur ist, die Bezeichnung aber zurückweist. Es ist nur so, dass er mit seinen 60 Jahren der erfahrenste Journalist in der Redaktion ist und sich darum kümmert, dass alles seinen Gang geht. Ihn als Chefredakteur anzusprechen, wäre da gar nicht so verkehrt. Aber der 20 Jahre jüngere Johann Thun macht das halb im Spaß und Matthias Bauer nimmt es mit Humor. Schließlich entsteht »Der Rabe Ralf« auf sehr basisdemokratische Weise und auch als Mitmachzeitung. Vereine und Verbände, die im Netzwerk Grüne Liga organisiert sind, liefern Beiträge. Aber auch Initiativen und Einzelpersonen, die nicht zur Liga gehören, dürfen sich einbringen. Ein klassischer Chefredakteur, der ein Machtwort spricht, passt da nicht ins Konzept.

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Bauer bekommt für seine Tätigkeit ein kleines Honorar. Er ist schon 1993 dazugestoßen und hat zwischenzeitlich von Arbeitslosengeld gelebt, während er sich bei »Rabe Ralf« betätigte. Das war die Zeit, als das Arbeitsamt ganz glücklich über solche Lösungen war, weil damals Massenarbeitslosigkeit herrschte und gar keine Stellen frei waren. Es gab auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei der Umweltzeitung. Aber das gibt es heute nicht mehr.

Johann Thun ist seit zwei Jahren an Bord und betont, dass es hier um die Existenz der einzigen regelmäßig erscheinenden Umweltzeitung Berlins gehe. Thun leistete bei »Rabe Ralf« seinen Bundesfreiwilligendienst und ist danach ehrenamtlich dabeigeblieben, weil es ihm so gut gefällt und weil ihm das Projekt sehr am Herzen liegt. Ansonsten ist er noch, ebenso wie Michael Bauer, beim Onlineportal »Klimareporter« aktiv. Sein jüngstes Rechercheprojekt befasst sich mit rechten Versuchen der Vereinnahmung ökologischer Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. Es kommt immer mal wieder vor, dass der »Rabe Ralf« über den Berliner Tellerrand hinausschaut. Meistens geht es dann aber ums brandenburgische Umland. So berichtete die Zeitung über die jüngsten Streitigkeiten beim Wasserverband Strausberg-Erkner. Da drehte es sich um den Trinkwasserbedarf der Tesla-Autofabrik in Grünheide.

Nachfolgerin von Johann Thun im Bundesfreiwilligendienst bei »Rabe Ralf« ist Maiia Davletkhanova. Die gebürtige Russin lebt seit März 2022 in Deutschland. Der 35-Jährigen ist die antikapitalistische Stoßrichtung der Zeitung wichtig. Als Bundesfreiwillige bekommt sie eine Aufwandsentschädigung, ebenso wie die 20-jährige Shirin Shanibaqi, die in der Redaktion ein Freiwilliges Ökologisches Jahr absolviert.

Im Dezember 1990 erschien die erste Ausgabe der Umweltzeitung in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Später wurden es 10 000, eine zeitlang sogar 12 000 Exemplare. Aktuell sind es wieder 10 000. Alle zwei Monate gibt es eine neue Ausgabe. 700 Exemplare erreichen per Postweg treue Abonnenten, die dafür 25 Euro im Jahr bezahlen oder aus Solidarität sogar 40 Euro. Doch den Löwenanteil der Auflage bringen die Redakteure und weitere Freiwillige zu rund 500 Ausgabestellen in der Hauptstadt. Ganz umweltbewusst nehmen sie dafür das Fahrrad oder die öffentlichen Verkehrsmittel. Bioläden, Bibliotheken, Bürgerämter, Universitäten, Cafés und auch Schulen wie der Grüne Campus Malchow legen die Zeitung aus, ebenso Partei- und Abgeordnetenbüros der Linken und der Grünen. Interessierte können gratis zugreifen. Das ist ein Geheimnis des Erfolgs. Die Zeitung erreicht Leser, die man sonst nicht für Umweltthemen interessieren könnte.

»›Der Rabe Ralf‹ lebt von zufälligen Begegnungen«, erklärt Claudia Kapfer. Sie hat schon 2016 begonnen, bei diesem Zeitungsprojekt mitzuwirken. Seit 2020 ist sie Geschäftsführerin der Grünen Liga Berlin. In dieser Eigenschaft erzählt die 40-Jährige von einer Entscheidung, die schweren Herzens getroffen werden musste. »Der Rabe Ralf« hat sich von den Abos und Spenden nie selbst getragen und musste von der Grünen Liga etwa zur Hälfte querfinanziert werden. Nun sind zuletzt jedoch die Preise für Papier und damit die Druckkosten immer weiter gestiegen bis auf mehr als 2000 Euro je Ausgabe.

»Das, was wir machen, hat sich nicht geändert, aber die Rahmenbedingungen«, erläutert Kapfer. Fördermittel für Projekte auch für die Miete und Energie zu verwenden, das sei künftig nicht mehr erlaubt, bedauert sie. Das Geld dürfe nur noch in die inhaltliche Arbeit fließen. Angesichts dieser Situation zehre das Büro die Mitgliedsbeiträge und Spenden der Grünen Liga komplett auf. Es bleibe jetzt nichts mehr übrig für den »Raben Ralf«. Dadurch entstehe eine Finanzierungslücke von 25 000 Euro im Jahr. Eigentlich kein sonderlich großer Betrag. Aber auch der muss erst einmal aufgebracht werden. »Wir brauchen Abos, wir brauchen Fördernde, vielleicht findet sich auch ein Mäzen«, wirbt Kapfer um Unterstützung.

40 Euro im Jahr sind vielleicht nicht viel. Aber wie die Leser überzeugen, diese Summe für ein Unterstützungsabo auszugeben, wenn die Zeitung gratis im Bioladen ausliegt – und das manchmal schon bevor die Post es geschafft hat, das bestellte Exemplar in den Briefkasten zu stecken? Matthias Bauer kann nur immer wieder das Argument vorbringen: »Wenn keiner bezahlt, wird es die Zeitung bald nicht mehr geben.« Angesichts der Klimakrise wäre das bedauerlich. Oder wie Bauer es formuliert: »Gesellschaftspolitisch wäre das ein falsches Signal.«

»Der Rabe Ralf«, Grüne Liga, Prenzlauer Allee 8 in 10 405 Berlin, Tel.: (030) 44 33 91 47,
www.raberalf.grueneliga-berlin.de, Spendenkonto bei der Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE42 3702 0500 0003 0605 02

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