Verletzte bei Einsätzen: Robuste Bundespolizei

In 21 Monaten wurden laut Bundesregierung 577 Personen bei Einsätzen von Beamten der Behörde verletzt

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei den Protesten gegen die Räumung gegen die Abbaggerung des Dorfes Lützerath im Rheinischen Kohlerevier kam es zu massiver Polizeigewalt gegen Demonstrierende.
Bei den Protesten gegen die Räumung gegen die Abbaggerung des Dorfes Lützerath im Rheinischen Kohlerevier kam es zu massiver Polizeigewalt gegen Demonstrierende.

Mit 577 Verletzten in 21 Monaten wurde statistisch alle zwei Tage mindestens eine Person bei Einsätzen der Bundespolizei verletzt. Dies geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, die »nd« vorliegt. Basis der Auskunft ist allerdings die polizeiliche Eingangsstatistik der Bundespolizei im Zeitraum von Januar 2022 bis September 2023. Diese bietet keine Informationen über die Art von Verletzungen und die Umstände, unter denen sie entstanden.

Dafür finden sich umfangreiche Angaben zu insgesamt mehr als 1300 bei Einsätzen verletzten Beamtinnen und Beamten, wobei auch hier Angaben zu Schwere und Grund der Blessuren fehlen. Es wird aber deutlich: »Die Anzahl verletzter Personen bei Maßnahmen der Bundespolizei bleibt auf einem hohen Niveau«, konstatiert Martina Renner gegenüber »nd«. Die Linke-Bundestagsabgeordnete hatte die Anfrage initiiert. Auffällig seien die 93 Verletzten bei Blutentnahmen und Drogentests. »Gerade hier besteht ein großes Risiko für die Betroffenen und ein hoher Verantwortungsgrad bei den Beamt*innen.« Durch »fahrlässiges Verhalten« und unverhältnismäßige Gewaltanwendung könnten schnell lebensbedrohliche Situationen für die Betroffenen entstehen, so Renner.

Im vergangenen Jahr wurden laut Polizeistatistik 293 Menschen bei Einsätzen der Bundespolizei verletzt. Bis September 2023 waren es dieses Jahr bereits 284. Die meisten Menschen sind bei der Identitätsfeststellung, Gewahrsam- und Festnahme und bei Durchsuchungen verletzt worden. Laut Statistik gab es sowohl 2022 als auch in den ersten drei Quartalen 2023 in Frankfurt am Main die meisten Verletzten. Auf den Rängen zwei und drei folgen Berlin und Dortmund. Getötet wurde in den genannten Zeiträumen durch Bundespolizisten niemand.

Demgegenüber wurden nach Angabe der Behörde 1356 Beamte bei der »Abwehr eines Angriffes« verletzt. Auch diese Verletzungen geschahen hauptsächlich bei Identitätsfeststellungen, Ingewahrsamnahmen und Festnahmen sowie bei Durchsuchungen. Die meisten Fälle von Angriffen auf und Widerstände gegen Vollstreckungsbeamt*innen sind in München, Hamburg, Frankfurt und Berlin verzeichnet worden.

Die Linke hatte auch nach dem Gebrauch von Schusswaffen durch Bundespolizist*innen gefragt. Davon gab es den Angaben zufolge 198 Fälle. Allerdings richtete er sich in 171 Fällen »gegen Tiere und Sachen« und nur in zehn Fällen gegen Personen, wobei es sich wiederum vier Mal um Warnschüsse handelte.

Explizit fragte Die Linke auch nach dem Einsatz von als nicht tödlich angesehenen Einsatzmitteln wie Reizgasen und sogenannten Distanzelektroimpulsgeräten, kurz DEIG. Letztere sind als Taser bekannt. Laut Regierungsantwort gab es »für den Zeitraum November 2020 bis Oktober 2023« in der Bundespolizeidirektion Berlin »17 Androhungen und zwei Auslösungen von DEIG gegen Personen«. In der Bundespolizeidirektion Koblenz gab es demnach im selben Zeitraum 70 Androhungen des Einsatzes von Tasern und »sieben Auslösungen gegen Personen«. Taser befinden sich bei der Bundespolizei bislang nur in einigen Direktionen in Erprobung. Laut Antwort sind bislang 24 der Geräte im Einsatz.

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Martina Renner mahnt: »Entgegen häufigen Argumentationen ist der Taser keine ungefährliche Waffe.« Da er aber oft als »harmlose Alternative zu einer Schusswaffe propagiert« werde, sei zu befürchten, dass er »übermäßig und unverhältnismäßig eingesetzt werden« könnte. »In den USA sind Schätzungen zufolge schon Hunderte Menschen nach dem Einsatz solcher Elektrowaffen gestorben«, sagte Renner dem »nd«. Sie warnt deshalb vor der flächendeckenden Einführung von DEIG in den Polizeidienst. Vielmehr sei eine »Pflichtschulung für Polizeibeamte im Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen« und eine »weitere Sensibilisierung und Ausbildung der Beamten hinsichtlich Deeskalation und Gewaltprävention« nötig.

Die Linke wollte auch wissen, wie Bundespolizist*innen für entsprechende Einsätze trainiert werden. Laut Innenministerium werden alle Angehörigen der Behörde während der Ausbildung im Fach Psychologie für den Umgang mit psychisch auffälligen oder verwirrten Personen geschult. Praktisch geübt werde »im Zuge der Einsatzausbildung durch Situationstrainings«. Weiter heißt es in der Antwort: »Das auf der in den Laufbahnausbildungen erworbenen Querschnittsgrundbefähigung aufbauende Polizeitraining mit insgesamt 84 Stunden jährlich ist für alle Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der Bundespolizei verpflichtend und wird regelmäßig durchgeführt.«

Wegen des gravierenden Fehlverhaltens von Polizisten gegenüber einem Menschen in einer psychischen Ausnahmesituation sorgte 2022 der Fall des 16-jährigen Mohammed Lamine Dramé bundesweit für Schlagzeilen. Der Geflüchtete aus dem Senegal war in Dortmund durch mehrere Schüsse aus der Maschinenpistole eines Polizisten getötet, obwohl bereits verschiedene andere »Einsatzmittel« angewandt worden waren. So ist bekannt, dass der erste Schuss weniger als eine Sekunde nach dem Einsatz eines Tasers fiel. Die beteiligten Polizisten wurden inzwischen angeklagt, der Schütze wegen Totschlags.

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