Potsdam: Abriss läuft trotz Wohnungsnot

Stadt Potsdam lässt den Staudenhof-Komplex beseitigen, obwohl Quartiere für Geflüchtete fehlen

Die geplante Containersiedlung für 500 Geflüchtete am Standort »Nedlitzer Holz« sollte ursprünglich bereits bezugsfertig sein. Doch weil drei Gerichtsverfahren gegen die Errichtung anhängig sind, verzögert sich die Fertigstellung. Gleichzeitig hält die städtische Wohnungsgesellschaft Pro Potsdam stur am Abriss des Wohn- und Geschäftskomplexes Staudenhof fest. Im schlimmsten Fall müssten Flüchtlinge behelfsmäßig in Turnhallen untergebracht werden, was wiederum schlecht für den Schul- und Vereinssport wäre. Am Montagabend beschäftigte sich die Stadtverordnetenversammlung in einer Sondersitzung mit der Problemlage.

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) versicherte, dass Potsdam ein sicherer Hafen für Geflüchtete bleiben und Menschen aufnehmen wolle. »Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch in Zukunft gemeinsam bewältigen«, sagte er. Es sei jedoch nicht so einfach, wenn in kurzer Zeit sehr viele Flüchtlinge kommen. In den neun Jahren von 2013 bis 2021 habe Potsdam insgesamt 3250 Menschen aufgenommen, 2022 dann in einem einzigen Jahr 2700. Für das laufende Jahr 2023 war der Stadt vom Land Brandenburg zunächst vorhergesagt, sie müsse mit 1470 Geflüchteten rechnen. Im August sei das Aufnahmesoll auf 1033 abgesenkt worden und auch so viele werden es nicht mehr, erklärte Schubert. 700 Menschen seien bislang eingetroffen. Auf wie viele Neuankömmlinge man sich 2024 einrichten müsse, werde man erfahrungsgemäß frühestens im Januar herausfinden. Fakt sei aber, dass die 1500 vorhandenen Plätze in den Gemeinschaftsunterkünften der Stadt zu 90 Prozent belegt sind. 598 dieser Plätze wie etwa in der Metropolis-Halle des Filmparks Babelsberg werde man einbüßen. Andererseits könnten ohne die Gemeinschaftsunterkunft »Nedlitzer Holz« nur 570 neue Plätze geschaffen werden. »Das reicht nicht«, erläuterte der Oberbürgermeister.

Angesichts dieser Tatsachen scheint es nur logisch, einen Abrissstopp für den innerstädtischen Wohn- und Geschäftskomplex Staudenhof zu verfügen. Die linksalternative Fraktion »Die Andere« beantragte das. Doch Oberbürgermeister Schubert begründete ausführlich, warum das nach seiner Einschätzung weder kurz- noch langfristig eine Hilfe wäre. Langfristig verzögere man damit nur den Neubau von Wohnungen, die nach dem Abriss an dieser Stelle entstehen sollen. Kurzfristig seien die für den Abriss freigezogenen Quartiere im Staudenhof nicht für Geflüchtete zu gebrauchen, sagte Schubert. Denn Fahrstühle und Sanitäranlagen seien teilweise schon ausgebaut. Von der Gas- und Stromversorgung seien die Wohnungen auch schon getrennt. Etliche seien zudem von Schimmel befallen. Das Quartier nun wieder rudimentär instand zu setzen, würde ein Jahr dauern und einen sechsstelligen Betrag kosten. Dies sei dann zu spät, um 2024 Ersatz zu haben, falls das Verwaltungsgericht Potsdam über die Klagen gegen die Gemeinschaftsunterkunft »Nedlitzer Holz« nicht rechtzeitig entscheidet.

Dass der Staudenhof schon unbewohnbar geworden sei, glaubt Arndt Sändig nicht. Der Vorsitzende der Fraktion »Die Andere« erinnerte, die Wohnungen dort seien ja für afghanische Ortkräfte extra noch einmal hergerichtet worden. Das waren Menschen, die in ihrer Heimat für die Bundeswehr oder für deutsche Hilfsorganisationen gearbeitet hatten. Die radikalislamischen Taliban, die Afghanistan von 1996 bis 2001 beherrschten, waren im August 2021 dort erneut an die Macht gekommen. Die sogenannten Ortkräfte schwebten damit in Lebensgefahr und durften mit ihren Familien in die Bundesrepublik fliehen.

Fraktionschef Sändig verwies darauf, dass die Gas- und Stromleitungen noch vorhanden seien. Das müsse auch so ein, weil ein Altmieter noch in dem Objekt ausharrt. Er wehrt sich gegen seine Räumung. Seine Berufungsverhandlung sei für den Februar 2024 anberaumt, sagte Sändig. Eine Berufung werde überhaupt nur zugelassen, wenn sie Erfolg verspricht. Es gebe also Hoffnung, dass der Mieter das Verfahren gewinnt. »Ganz offensichtlich will die Pro Potsdam Tatsachen schaffen«, argwöhnte Sändig mit Blick darauf, dass zum Beispiel die Geschäftsräume im Komplex Staudenhof gegenwärtig schon entkernt werden. Für Sändigs Fraktionskollegen Eric Blume handelt es sich hier um »schikanöse Bauarbeiten«, mit denen der Mieter herausgeekelt werden soll.

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In Potsdam hat sich die Linksfraktion in zwei Teile gespalten, nachdem der Stadtverordnete Ralf Jäkel im September vergangenen Jahres für den AfD-Antrag stimmte, Oberbürgermeister Schubert solle sich wegen der gestiegenen Energiepreise für die Öffnung der Gasleitung Nord Stream 2 einsetzen (»nd« berichtete). In Sachen Staudenhof sind sich die beiden Linksfraktionen aber einig.

Der Glaube, die Gemeinschaftsunterkunft »Nedlitzer Holz« könne bereits im Oktober 2023 übergeben werden, sei »von vornherein unrealistisch gewesen«, beschwerte sich am Montagabend Hans-Jürgen Scharfenberg, der mit Ralf Jäkel zusammen die Rest-Fraktion der Linken bildet. Acht andere Stadtverordnete haben durch Abspaltung die neue Fraktion »Sozial. Die Linke« gegründet. Den Staudenhof als Alternative fürs »Nedlitzer Holz« auszuschließen, sei »verantwortungslos« gewesen, kritisierte Scharfenberg. Der Leerzug habe die Wohnsituation der Geflüchteten verschärft. »Wir haben keine gesicherte Lösung«, warnte der 69-Jährige. Jetzt könnte mit einem Abrissstopp noch »die Notbremse gezogen werden«. Das zu beschließen, würde ja nicht einmal bedeuten, das Haus wirklich zu sanieren. Man würde sich aber wenigstens die Möglichkeit offenhalten, so Scharfenberg.

Doch das Werben um Zustimmung war vergeblich. Die Stadtverordnetenversammlung (SVV) lehnte das Ansinnen mehrheitlich ab. Gar nicht zur Abstimmung kam ein Dringlichkeitsantrag der Fraktion »Sozial. Die Linke«. Diese wollte den Oberbürgermeister beauftragen, »durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die vom Land Brandenburg im Jahr 2024 zugewiesenen Geflüchteten unter dem Verzicht auf Turnhallen untergebracht werden«. SVV-Vorsteher Pete Heuer (SPD) sah keine Dinglichkeit. Formal mag das stimmen, doch würde die Linksfraktion gern mit einem zählbaren Ergebnis aus der Sondersitzung herausgehen, bat die Fraktionschefin Sigrid Müller vergeblich darum, die Dringlichkeit doch zu bescheinigen.

Als dringlich anerkannt wurde dagegen ein Antrag der CDU, die Unterbringungspotenziale für Migranten aufzuzeigen. Dieser Antrag wurde auch angenommen und sogar mit einer Ergänzung von der Linken – dass nämlich im Januar dem Hauptausschuss und auch der AG Asyl eine Kapazitäts- und Standortplanung mit zwei Varianten vorgelegt werden solle. Eine Variante für den Fall, dass es mit der Gemeinschaftsunterkunft »Nedlitzer Holz« im kommenden Jahr nichts wird. Der CDU ging es darum, alle Möglichkeiten zu bewerten und auszuschöpfen. »Soweit wir wissen, gibt es weitere Alternativen und die werden der Stadt auch laufend angeboten«, erklärte Fraktionschef Matthias Finken. Private Investoren wollen ihre Grundstücke für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung stellen, habe er gehört. Oberbürgermeister Schubert bestätigte, dass Angebote gemacht werden. »Doch bisher lagen die Grundstücke zu weit draußen oder die Preisvorstellungen waren überzogen.«

Umstritten ist der Standort »Nedlitzer Holz«, weil es sich um ein Naturdenkmal und Wasserschutzgebiet handelt. Deshalb stimmten die Grünen nicht gern und nur wegen der Geflüchteten einer Containersiedlung an dieser Stelle zu.

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