Staudenhof soll neu erblühen

Appell für klimaschonende Sanierung statt Abriss und Neubau im Potsdamer Zentrum

Am Potsdamer Wohn- und Geschäftskomplex Staudenhof parken am Freitag gleich mehrere Autos mit ukrainischen Kennzeichen. Auf der anderen Seite des markanten Plattenbaus läuft eine Frau mit Kopftuch entlang. Die 182 Ein-Raum-Wohnungen und die einzelnen Vier-Raum-Wohnungen sind schon weitgehend unbewohnt. Denn der 1972 errichtete Komplex ist dem Abriss geweiht. Die Entscheidung gegen eine Sanierung und für einen Neubau fällte das Stadtparlament im Mai vergangenen Jahres. Zwischenzeitlich wurden die Wohnungen aber neu belegt mit Flüchtlingen aus der Ukraine und mit sogenannten Ortskräften aus Afghanistan, die in ihrer Heimat für die Bundeswehr gearbeitet hatten und nach dem Vorrücken der radikalislamischen Taliban in Lebensgefahr schwebten. Sie durften mit ihren Familien nach Deutschland kommen.

Wenn der Staudenhof nun im übernächsten Jahr abgerissen wird, droht die Unterbringungen in behelfsmäßigen Gemeinschaftsunterkünften. Denn in Brandenburgs Landeshauptstadt herrscht Wohnungsnot. Die Kommune weiß sich jetzt schon nicht mehr anders zu helfen, als einen Teil der Ukrainer in der zur Notunterkunft umfunktionierten Metropolishalle in der Filmstadt im Ortsteil Babelsberg unterzubringen.

2029 soll anstelle des Staudenhofs der neobarock anmutende Block V als Neubau fertig werden. Die sechs Jahre bis dahin würden die Wohnungen fehlen, während eine Sanierung möglich wäre, ohne die Bewohner auszuquartieren, kritisiert Sophie Haebel vom Energieforum Potsdam, einem gemeinnützigen Verein, der sich für eine nachhaltige Klimapolitik einsetzt. Aus Sicht des Klimaschutzes ist der Plan irrsinnig: Der Abriss inklusive Entsorgung des Bauschutts plus anschließendem Neubau verschwendeten natürliche Ressourcen, die bei einer Sanierung geschont würden. Obendrein würde die Neubauvariante nach Rechnung der kommunalen Wohnungsgesellschaft Pro Potsdam vom vergangenen Jahr 3304 Euro je Quadratmeter kosten, die Sanierung bloß 2221 Euro. Dass das Stadtparlament trotzdem für den Neubau stimmte, lässt sich nur damit erklären, dass bei dieser Variante Fördermittel in Anspruch genommen werden könnten, die es für eine Sanierung angeblich nicht geben würde. Aber, so argumentiert Haebel: In der Förderpolitik sei angesichts der Klimakrise inzwischen eine Umkehr zu beobachten. Außerdem wäre die Sanierung angesichts der rasant gestiegenen Kosten mit mittlerweile 2776 Euro je Quadratmeter gegenüber 4130 Euro je Quadratmeter für den Neubau im Vergleich noch günstiger geworden.

Angesichts dessen hat Haebel nach eigener Auskunft »keine Sekunde gezögert«, den am Freitag vorgestellten Appell »Retten wir den Staudenhof« zu unterzeichnen. Eine Reihe von Persönlichkeiten hat unterschrieben, darunter mit Christoph Martin Vogtherr der Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und sein Architekturabteilungsleiter Ayhan Ayrilmaz. Neben vielen weiteren Architekten und Kunsthistorikern stellt sich auch Hiltrud Berndt hinter das Anliegen. Sie leitete einst die kommunale Freiraumplanung von Potsdam und war am Entstehen des Staudenhofs beteiligt.

Auch die Brandenburgische Architektenkammer ist mit im Boot. Ihr Präsident Andreas Rieger stellt am Freitag klar, dass der Abriss mit Blick auf den Klimaschutz nicht zu vertreten sei. Sozial sei das Vorhaben auch nicht, da es bezahlbare Quartiere vernichte. Rieger spekuliert, es müsse den Verantwortlichen also um das Stadtbild gehen, das wohl in unmittelbarer Nähe des mit Schlossfassade ausgeführten Landtags verschönert werden solle.

Ob es allerdings schön zu nennen ist, was da als preußische Puppenstube schon entstanden ist und noch entstehen soll, ist die Frage. Potsdam hat genug historische Bauwerke, für die jeder Euro besser investiert wäre, als Fördermittel für einen Abklatsch zu verschwenden. Insofern ist die Unterschrift von Schlösserchef Vogtherr nur logisch.

Zu den Unterstützern des Appells gehören auch Brandenburgs Ex-Umweltministerin Anita Tack, Berlins früherere Stadtentwicklungssenatorin Kathrin Lompscher sowie Ex-Kultursenator Thomas Flierl (alle Linke). Außerdem springt Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer, ihrem Brandenburger Amtskollegen Andreas Rieger bei. »Wir haben die gleichen Probleme in Berlin leider. Wir müssen sehr achtsam sein«, sagt sie.

Eine Rede zu schreiben, das hat sich Angela Schweers von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gespart. Sie zitiert stattdessen am Freitag aus dem amtlichen Armutsbericht der Stadt Potsdam. Daraus geht hervor, dass 18 Prozent der Einwohner mehr als 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben müssen und dass immer mehr Potsdamer einen Wohnberechtigungsschein erhalten, aber die Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen wegen auslaufender Belegungsbindungen sinkt. Für den AWO-Bezirksverband Grund genug, den Appell zur Rettung des Staudenhofs mitzutragen.

»Der Staudenhof ist ein qualitativ hochrangiger Beitrag zur Ostmoderne«, findet Stephanie Herold, Professorin für Denkmalpflege an der Technischen Universität Berlin. Mit dem Gebäude würde ein Stück ostdeutscher Zeitgeschichte verschwinden. Andererseits: Es gebe auch in der Hauptstadt Stimmen, die für eine »Überbauung der Ostmoderne« werben, bedauerte die Berliner Linke-Politikerin Katalin Gennburg Anfang der Woche im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses. »Es geht dabei nicht nur um Architektur, lassen sie mich das als Kind des Ostens ganz klar sagen.« Letztlich sei das auch eine ideologische Auseinandersetzung

Die Unterzeichner des Staudenhof-Appels wären allerdings mit einem Umbau einverstanden, der das Gesicht des Hauses verändert. Es geht ihnen vorrangig um die erhaltenswerte Substanz, die nicht leichtfertig vernichtet werden soll. Der Appell soll bei der Sitzung des Stadtparlaments am 7. Dezember an Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) übergeben werden. Die größere der beiden Linksfraktionen, die sich abgespaltet habe und acht Köpfe zähle, unterstütze das Anliegen einhellig, erklärt die dazugehörige Stadtverordnete Anja Günther. So klar positioniert sich Hans-Jürgen Scharfenberg von der zweiköpfigen Rest-Linksfraktion nicht. Aber mit der Idee, die Wirtschaftlichkeit von Sanierung und Neubau unter Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse noch einmal neu zu untersuchen, kann sich Scharfenberg durchaus anfreunden, wie er auf Nachfrage versichert. Eine solche Untersuchung will die linksalternative Fraktion »Die Andere« beantragen.

Als Staudenhof wurde ursprünglich eine Grünanlage bezeichnet. Der Begriff übertrug sich auf den daneben stehenden Wohn- und Geschäftskomplex, der heute im Erdgeschoss auch eine Begegnungsstätte beherbergt.

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