Letzte Altmieter wollen Staudenhof retten

Staffellauf rund um den abrissbedrohten Potsdamer Plattenbau

Am Samstagabend besetzt eine Handvoll Aktivisten kurzzeitig den Potsdamer Staudenhof. Seitdem haben Polizisten ein Auge auf das Stadt- und Klimacamp vor dem Gebäude und Wachleute sind an den Eingängen des innerstädtischen Wohn- und Geschäftskomplexes postiert – auch am Sonntagvormittag noch. Aber da passiert eigentlich nicht mehr viel. Es gibt lediglich ein abschließendes gemeinsames Frühstück mit Musik, und die Teilnehmer eines 24-Sunden-Laufs drehen unermüdlich weiter ihre etwa 800 Meter langen Runden um das Areal. Auf insgesamt 653 Runden haben sie es gegen 10.30 Uhr bereits gebracht, zählt Lutz Boede zusammen, der gerade die Strichliste führt.

Das Camp mit Diskussionsrunden, Konzerten und einer Filmvorführung begann am Freitagabend, der 24-Stunden-Lauf startete am Samstag um 14 Uhr. Nicht nur zu Fuß ging es im Staffellauf um den 1972 in Plattenbauweise errichteten Block, sondern auch per Tandem und Einrad, mit Rollschuhen, auf dem Skateboard und im Kinderwagen. 19 Initiativen organisieren und unterstützen das Camp, darunter als einzige politische Partei Potsdams Linke. Die Grünen machen nicht mit, aber ihr Jugendverband. Außerdem wirkt Lutz Boedes linksalternative Wählergruppe Die Andere mit, das Bündnis solidarisches Potsdam und beispielsweise auch die Letzte Generation, die einen Workshop anbietet. Die Initiative »Retten wir den Staudenhof!« darf natürlich nicht fehlen.

Die sozialen Bewegungen und die Klimaaktivisten hatten bisher in Potsdam nicht viele Schnittmengen. Aber beim Staudenhof verbünden sie sich. Das ist naheliegend. Denn wenn der Staudenhof wirklich wie geplant abgerissen und durch einen pseudobarocken Neubau ersetzt wird, dann gehen einerseits 182 preisgünstige Wohnungen verloren – fast die letzten bezahlbaren in der Innenstadt –, andererseits werden dadurch unnötig natürliche Ressourcen verschwendet. Was den CO2-Ausstoß betrifft, sollten eigentlich überhaupt keine Gebäude mehr abgerissen werden, heißt es. Stattdessen wäre energiesparende Rekonstruktion angesagt.

Nach Ansicht von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) ist es für ein Umsteuern beim Staudenhof allerdings zu spät. Der sei zu marode, eine Sanierung zu teuer, der Abriss also unumgänglich. Die Stadtverordnetenversammlung lehnte kürzlich den Antrag ab, wenigstens einen dreijährigen Abrissstopp zu verhängen, um alles noch einmal in Ruhe zu überdenken und durchzurechnen.

Gibt es jetzt überhaupt noch Hoffnung? »Ja, natürlich«, sagt die Stadtverordnete Anja Günther (Linke). Etwa 90 Bewohner zählt der Staudenhof gegenwärtig noch, vor allem Flüchtlinge aus der Ukraine, Syrien und anderen Staaten. Für sie hat die Stadtverwaltung die Wohnungen von der kommunalen Wohnungsgesellschaft Pro Potsdam angemietet. Darüber hinaus gibt es noch zwei Altmieter mit regulären Mietverträgen, die sich ihrem Auszug widersetzen. Sie haben es auf eine Räumungsklage ankommen lassen.

Ein Fall soll in einigen Wochen vor Gericht verhandelt werden, für den anderen Fall gibt es noch keinen Termin. Erst einmal zu beweisen wäre in den Prozessen, dass Abriss und Neubau wirtschaftlicher seien als eine Sanierung, erklärt Anja Günther. Wenn die beiden Mieter sich standhaft zeigen, könnten sich die Verfahren bis zu zwei Jahre hinziehen, sagt Lutz Boede. Eigentlich soll der Abriss schon dieses Jahr beginnen.

Das Absurde dabei: Hier sollen Wohnungen mit Küche und Bad verschwinden, während die Stadt plant, in einem Büro-Plattenbau am Rathaus 152 Geflüchtete unterzubringen, die dort zu Sanitärcontainern hinuntergehen müssten und nicht selbst kochen könnten.

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