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Esequibo: Vom Waldgebiet zur Ölquelle

Venezuela lässt über territoriale Ansprüche gegenüber dem Nachbarland Guyana abstimmen

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist ein ungewöhnliches Referendum, das am Sonntag in Venezuela stattfindet. Abgestimmt wird über die venezolanische Position in einem bis in die Kolonialzeit zurückreichenden Territorialkonflikt mit dem östlich gelegenen Nachbarland Guyana. Rechtliche Auswirkungen hat das Referendum nicht, die Regierung will sich vielmehr den Rückhalt der eigenen Bevölkerung sichern. Der Konflikt könnte in der Folge allerdings weiter eskalieren.

Es geht um das dünn besiedelte, rund 160 000 Quadratkilometer große Esequibo-Gebiet (etwa die Größe Tunesiens). Das wird faktisch von Guyana kontrolliert und verwaltet, die staatliche Präsenz ist allerdings gering. Es macht etwa zwei Drittel von Guyanas Staatsgebiet aus, besteht überwiegend aus schwer zugänglichem Waldgebiet und hat laut offiziellen Angaben knapp 130 000 Einwohner*innen, die überwiegend Englisch, aber auch andere Sprachen sprechen. In der Esequibo-Region leben mindestens neun indigene Gruppen, von denen sich mehrere auf beiden Seiten der Grenze bewegen. Der guyanische Präsident Irfaan Ali bekräftigte bei einem Besuch der Region im Oktober den Anspruch seines Landes. »Jeder Quadratzentimeter des Esequibo gehört uns.«

Der Konflikt reicht tief in die Vergangenheit zurück. Im 18. Jahrhundert zählte Spanien das Gebiet zu seinem Kolonialreich. Nach der Unabhängigkeit Venezuelas im Jahre 1811 wurde der Esequibo daher zunächst als venezolanisches Gebiet ausgewiesen. 1814 erwarb Großbritannien Teile des heutigen Guyana von den Niederlanden. Der deutsche Forschungsreisende Robert Schomburgk zog im Auftrag der britischen Regierung 1840 die westliche Grenze der Kolonie und weitete sie dabei beträchtlich in Richtung Westen aus. Der Konflikt mit Venezuela begann ein Jahr später, als britische Truppen in die Region vorrückten. 1899 sprach ein internationales Schiedsgericht die Esequibo-Region schließlich British Guyana zu. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden allerdings begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Schiedsgerichtes bekannt.

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Wenige Monate vor der Unabhängigkeit Guyanas im Jahr 1966 erkannte Großbritannien im »Vertrag von Genf« die venezolanischen Ansprüche grundsätzlich an. Der Konflikt sollte demnach durch Verhandlungen gelöst werden. Guyana beruft sich bis heute auf den Schiedsspruch von 1899, Venezuela hingegen pocht auf den »Vertrag von Genf«.

Zur Abstimmung stehen am Sonntag fünf Fragen. Vorgeschlagen wird neben der Ablehnung des Schiedsspruchs von 1899 und der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs in der besonders umstrittenen fünften Frage die Gründung eines venezolanischen Bundesstaates »Guayana Esequiba«. Das Nachbarland sieht darin eine existenzielle Bedrohung für die eigene territoriale Integrität. Den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, bei dem Guyana bereits 2018 eine Klage eingereicht hatte, um den Schiedsspruch von 1899 bestätigen zu lassen, bat das Land nun darum, das geplante Referendum kurzfristig für illegal zu erklären. Die venezolanische Regierung hingegen hat angekündigt, ein etwaiges Urteil ignorieren zu wollen.

An Brisanz gewann der Konflikt ab 2015, als ein Konsortium um den US-Konzern ExxonMobil vor der Küste des Esequibo große Erdölvorkommen und Gasvorräte entdeckte. Die Rede ist von mehr als elf Milliarden Barrel Erdöl, womit Guyana aus dem Nichts zu einem der weltweit wichtigsten Förderländer werden könnte. Auch werden in dem Gebiet riesige Mengen weiterer Rohstoffe wie Gold, Diamanten oder Bauxit vermutet. Und nicht zuletzt umfasst der Esequibo mehrere große Flüsse und enorme Süßwasserreserven. Bis 2027 will Guyana 1,2 Millionen Barrel Erdöl täglich produzieren, momentan sind es zwischen 300 000 und 400 000. Schon jetzt sorgt der Anstieg der Fördermenge, der nahezu komplett auf die Offshore-Tätigkeiten des so genannten Stabroek-Blocks in der von Venezuela reklamierte Meereszone zurückgeht, für immenses Wirtschaftswachstum. Im vergangenen Jahr waren es knapp 58 Prozent. Die geplante Vergabe weiterer Konzessionen facht den Streit nun weiter an, die Regierung Maduro sieht hinter den Interessen Guyanas vor allem die US-Regierung und ExxonMobil.

Die aus dem Verkauf erzielten Einnahmen könnten theoretisch die sozialen und wirtschaftlichen Probleme Guyanas lösen. 75 Prozent der Einnahmen sollen aber zunächst bei ExxonMobil verbleiben, die restlichen 25 Prozent gehen an Guyana. Die Erfahrungen anderer Erdölförderländer wie etwa Venezuela zeigen außerdem, dass sich Rohstoffreichtum nicht automatisch in soziale Fortschritte ummünzen lässt.

Erwartet wird am Sonntag eine hohe Wahlbeteiligung und – eventuell mit Ausnahme von Frage 5 – klare Unterstützung der venezolanischen Position. In Venezuela gibt es kaum ein Thema, bei dem sich Regierung und Opposition derart einig sind. Die meisten Oppositionspolitiker*innen haben angekündigt, abzustimmen zu wollen, obwohl die Regierung den Konflikt politisch zu vereinnahmen versucht und die nationalistische Karte spielt. »Es ist Zeit für die nationale Einheit, um die territoriale Integrität ganz Venezuelas zu verteidigen«, erklärte Präsident Nicolás Maduro am Donnerstag

Die landesweite Mobilisierung um den Esequibo fällt just in eine Phase, in der Regierung, rechte Opposition und die USA um die Bedingungen für die venezolanische Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr ringen: Am 17. Oktober hatten die Maduro-Regierung und ein Großteil der Opposition in Barbados ein Abkommen über transparente Wahlen unterzeichnet. Im Gegenzug lockerten die USA zunächst temporär die Sanktionen gegen den Rohstoffsektor. Am vergangenen Donnerstag lief eine Frist der US-Regierung aus, um bei den Antrittsverboten gegen prominente Oppositionspolitiker*innen Fortschritte zu erzielen. Regierung und Opposition einigten sich am selben Tag auf ein Verfahren, die Antrittsverbote vor dem Obersten Gericht überprüfen zu lassen. Dass der Konflikt mit Guyana bis zu den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr gelöst sein wird, darf bezweifelt werden.

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