BVG-Musical: Auch Öffis haben Gefühle

Die BVG nimmt sich im Musical »Tarifzone Liebe« selbst auf die Schippe, und das ist auch gut so

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 5 Min.
Hummeln im Bauch als Outfit: Vier glückliche Produkte der BVG singen mit Emotionen.
Hummeln im Bauch als Outfit: Vier glückliche Produkte der BVG singen mit Emotionen.

Man könnte ja meinen, dass die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) schon genug Marketingunsinn getrieben hat. Ein Turnschuh mit eingebautem Fahrausweis, ein Video mit Frank Zander als Marketingchef und last but not least eine eigene BVG-Klamottenkollektion. Aber nein. Das reicht noch lange nicht, denn der Auftritt der irischen Stadionrocker U2 in der U2, Kazim Akbogas »Is mir egal« und der umgetextete O-Zone-Hit »Dragostea din tei«, der letztlich zur »Freie Jobs hier, freie Jobs«-Hymne mutierte, gaben der BVG recht: Da geht noch mehr.

Mehr, das bedeutet: mehr Musik, mehr (schlechte) Wortspiele und mehr Öffi-Design. Alles in allem nennt sich das dann Musical. »Tarifzone Liebe – Die Gefühle fahren Straßenbahn« von Regisseur Christoph Drewitz feierte am Montagabend im restlos ausverkauften Admiralspalast Premiere. Die Tickets waren mit 29 Euro günstiger als das Deutschland-Ticket, Öffis im AB-Bereich inklusive. Wer zum Nulltarif in die »Tarifzone Liebe« fahren wollte, verfolgte den Livestream am Montag.

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2600 Fans trafen sich an zwei Tagen zum geselligen Öffis-Gucken und Öffis-Hören. Wer Glück hatte, der durfte sogar mit einem BVG-Jutebeutel nach Hause gehen. Das Gute: Dieses Design kommt nie aus der Mode, denn es war nie modisch. Letztes Jahr brachte die BVG dieses »Vielfalt«-Design heraus. Wer genauer hinsieht, sieht darauf viele bunte Menschen in Rot, Blau, Schwarz und Gelb. Keith Haring in trashig also. Das kann nur die BVG.

Ähnlich verhält es sich mit dem einstündigen Musical, das selbstpersiflierend-lässig sein möchte. Zugegeben, der eine oder andere Wortwitz tut schon sehr weh oder, um es im BVG-Slogan zu sagen, fährt auf einer ziemlichen lahmen Schiene. Allein der Name der Protagonistin Tramara (Jeannine Wacker), die sich in den Fahrgast Alexander (Jendrik Sigwart) verliebt, lässt Schlimmes vermuten. Muss das wirklich sein? Ja, es muss, denn die BVG hat ein Abo auf genau diese Art von Humor. Dass eine der besten Texterschmieden, Jung von Matt, am Musical mitgearbeitet hat, ist Teil des Marketingplans, den BVG-Vertriebs- und Marketingchefin Christine Wolburg mit ihrem Team ausheckte.

Auch mit an Board: Ko-Autor und Musicalschreiber Tom van Hasselt, auf dessen Konto das queere Musical »Brigitte Bordeaux« und die bittersüße Musical-Komödie »Mamma Macchiato« gehen. Na ja, dieses Mal ist’s eben eine Liebesgeschichte zwischen der Tram Tramara und ihrem Fahrgast Alexander. Dass die Freunde der Straßenbahn auch noch Bus-Tav (Gino Emnes) und U-Laf (Luca Went) heißen, ist dann eigentlich auch keine große Überraschung mehr. Für Ultras der Berliner Öffis genau die richtige Wahl, denn hier finden sie tolle Inspirationen für die Namen ihrer zukünftigen Kinder: Ber-Tram, U-Snelda und U-Schi freuen sich jetzt schon.

Das Musical, das aus neun eigens für den Abend komponierten Songs besteht, fährt gerne die Ironie-Schiene. Denn unzufriedene Fahrgäste gehören zum Berliner Nahverkehr wie die Ticketkontrolle mit Berliner Schnauze. Doch bevor es so weit ist, begrüßt das showähnliche Intro »Ankommen« vor rotem Vorhang mit Spotlights die Gäste. Dass bald alle auf der Straße oder am Bahnsteig stehen, ist wohl selbsterklärend, und dann geht’s los mit Technomusik, Tramgebimmel inklusive. So mancher »tramhafte« Hit wie »Weil ich ihn liebe«, Alexanders klavierbegleitete Ballade »Kein Fahrbetrieb« und die Duette »Einzelfahrt ins Liebesglück« sowie »Tarifzone Liebe« hätten wohl – allerdings ohne Tram-Outfit und ohne Ukulele – Chancen in den üblichen Schlagerparaden. Da überfahren wohl jede und jeden die Gefühle.

Natürlich gibt’s nicht nur den Fahrgast Alexander. Den Marketingtypen zum Beispiel, der eigentlich jeder Person seine Visitenkarte in die Hand drücken möchte, eine Oma in Leoleggins mit Hündchen oder das verliebte Ich-wollte-schon-immer-mal-Berlin-sehen-Pärchen, das sich in den Weiten der Möglichkeiten verliert und wiederfindet. Toller Tipp: Die Buslinie 100 soll ganz gut für Touris sein. Danke, BVG-Musical, ohne dich hätte das wohl niemand gewusst. *Zwinker.

Das wäre ja alles so weit gut und durchaus glaubhaft, aber das Musical setzt noch einen drauf, denn eine Peitsche, ein Eifelturm und ein Gebiss singen auch mit. Warum? Na ja, das ist wie mit der besten Freundin oder mit dem besten Freund in Filmen. Meistens sind sie nur Mittel zum Zweck. Die drei – allesamt Funde aus Transportmitteln – befreien Tramara zum Beispiel aus ihrem Tram-Outfit.

Der Kopf der drei Freunde (Tramara, U-Laf und Bus-Tav) wird jeweils in einer Art Fahrerkarton festgehalten, die Beine stecken entweder in der U-Bahn-Hülle fest, rasen auf einem selbstfahrenden Board als Bus herum oder rollen auf Rollschuhen statt auf einer Straßenbahnschiene. Simpel, aber effektiv. Wenn die Tram ihre Rollschuhe gegen High Heels tauscht, dann bekommt der Ausdruck »Hals- und Beinbruch« seine wahre Bedeutung. Vielleicht wird das Musical deswegen nur zweimal aufgeführt. Denn so richtig sicher sehen Tramaras Stöckelschritte nicht aus.

Ein schöner Kniff bei den drei Öffi-Freunden: Statt Haltestellen werden ihre Namen über ihren Köpfen angezeigt. Das wäre doch bei so mancher Bus-, U-Bahn- oder Trambahnbekanntschaft auch ganz nett. Sehr praktisch: Die Kostüme sind schnell auseinanderbaubar. Kein unwichtiger Faktor bei so mancher Feier.

Für jede Fahrsituation gibt es den passenden Song im Musical. In »Beschwern«, mit dramatischen Streichern am Anfang und Beschwerde-Rap in der Mitte, meckern die Fahrgäste drauflos. Der Hit »Verzögerung im Betriebsablauf« sollte ziemlich bald viele Aufrufe bekommen, denn je kälter die Temperaturen, desto länger die Wartezeiten. Sagt man. Schlimmer geht immer, wie »Die Stadt steht still« beweist. Aber selbst wenn das passieren sollte, dann hat die BVG immer noch ein Ass im Ärmel. Zwei Songs des Musicals entstanden mithilfe des Malteser-Chors für geflüchtete Kinder und Erwachsene aus der Ukraine im Ankunftszentrum Tegel. Gemeinsam singen sie unter anderem den Nichts-geht-mehr-Song »Die Stadt steht still« – und da wird dann allen warm ums Herz.

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