London verschärft Visa-Regeln

Britische Regierung zieht die Schraube in der Einwanderungspolitik ein weiteres Mal an

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele der unterbezahlten Jobs im Gesundheits- und Pflegesektor erledigen Migranten.
Viele der unterbezahlten Jobs im Gesundheits- und Pflegesektor erledigen Migranten.

Die britische Regierung hat ihren nächsten Versuch gestartet, die Migration einzuschränken. Fast drei Wochen nachdem der Supreme Court den Abschiebe-Deal mit Ruanda für illegal erklärte, hat Innenminister James Cleverly eine drastische Verschärfung der Visumsregeln angekündigt. »Genug ist genug«, sagte er am Montag im Unterhaus. »Die Einwanderung in diesem Land ist viel zu hoch und muss gesenkt werden.« Sein Plan werde dafür sorgen, dass die Migration so stark wie nie zuvor gebremst wird. Tatsächlich ist Cleverly weiter gegangen als man in Westminster erwartet hatte.

Zu den Maßnahmen zählt etwa die Anhebung des Jahreslohns, den ausländische Arbeitskräfte verdienen müssen, um ein Visum zu erhalten. Im Nach-Brexit-Migrationssystem müssen einzelne Unternehmen Mitarbeiter aus Übersee »sponsern«, also ihnen direkt einen Job zu einem bestimmten Lohn anbieten.

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Derzeit liegt der Mindestlohn für ein Visum bei rund 26 000 Pfund – jetzt soll er um fast 50 Prozent auf 38 700 Pfund angehoben werden, umgerechnet etwa 45 000 Euro. Das ist deutlich mehr als der britische Durchschnittslohn, der bei rund 33 000 Pfund liegt. Die neue Schwelle betrifft auch britische Bürgerinnen und Bürger, die eine ausländische Partnerin oder einen Partner haben – wer weniger verdient, darf nicht mit diesem Partner in Großbritannien leben.

Eine weitere Verschärfung zielt auf den Pflegesektor ab: Pfleger aus Übersee dürfen künftig keine Familienangehörigen mehr nach Großbritannien mitbringen. Das dürfte viele davon abhalten, hierher zu kommen. In den zwölf Monaten bis September 2023 kamen laut Innenministerium fast 144 000 Migranten als Pflegekräfte nach Großbritannien; sie brachten über 170 000 Familienmitglieder mit sich. Dank dieser Migranten konnte der akute Mangel an Fachkräften in der Pflege, der den britischen Gesundheitsdienst seit vielen Jahren plagt, zumindest teilweise behoben werden.

Deshalb hat die Ankündigung der Regierung auch viel Sorge ausgelöst. Christina McAnea, Generalsekretärin der Gewerkschaft Unison, die viele Pflegerinnen vertritt, warnte vor einem »totalen Desaster« für den Gesundheitssektor. »Migranten werden künftig lieber in gastfreundlichere Länder ziehen, als dass sie ohne ihre Familien leben.« Caroline Abraham vom Berufsverband Care and Support Alliance, der mehrere Dutzend Alters- und Behindertenstiftungen vertritt, warnte, dass unterstützungsbedürftige Menschen »einen hohen Preis« bezahlen würden. »Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Migration die Belegschaft in der Pflege letztes Jahr im Prinzip gerettet hat«, sagte sie.

Auch die höhere Lohnschwelle beunruhigt viele Arbeitgeber. Neil Carberry von der Recruitment and Employment Confederation, dem Dachverband der Personalvermittlungsfirmen, sprach von einer »sehr bedeutenden Verschärfung«, die »rund um die Welt das falsche Signal senden würde«. Besonders kleinere Firmen außerhalb Londons, wo die Löhne tiefer sind als in der Hauptstadt, würden große Mühe haben, die höheren Löhne zu bezahlen und so die nötigen Mitarbeiter zu rekrutieren. In den sozialen Medien haben sich schon viele Migranten, die unter den schärferen Visabestimmungen nicht mehr in Großbritannien bleiben dürften, empört geäußert, darunter auch Akademiker und Wissenschaftler.

Für die Tory-Regierung jedoch steht die Symbolik im Vordergrund. Seit der Supreme Court Mitte November entschieden hat, dass die Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda illegal ist, steht der neue Innenminister James Cleverly unter Druck seitens seiner Parteikollegen. Er müsse etwas Entscheidendes gegen die Migration unternehmen, sagen sie.

Nach neuesten Zahlen des Statistikbüros zogen im Jahr 2022 rund 745 000 Einwanderer nach Großbritannien – ein absoluter Rekord. Der ehemalige Minister John Hayes, ein rechter Tory-Abgeordneter, sagte, der Migrationsrekord sei eine »Katastrophe für Großbritannien«.

Gemessen an den zustimmenden Reaktionen in der konservativen Presse und auf den Tory-Bänken im Unterhaus, hat James Cleverlys Vorstoß die Gemüter etwas beruhigen können. Seine Vorgängerin Suella Braverman, die Hardlinerin vom rechten Parteiflügel, sprach von einem »Schritt in die richtige Richtung«.

Aber ob die Visa-Verschärfung bei der breiteren Bevölkerung – insbesondere bei Unternehmen, die Fachkräfte brauchen – gut ankommen wird, ist fraglich. Die neuen Regelungen sollen erst im Frühling in Kraft treten. Es ist gut vorstellbar, dass die Kritik bis dahin noch zunehmen wird.

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