»Spy Ops«: Der längste Krieg in kurz

Mit der neuen Doku-Reihe »Spy Ops« wäscht Netflix den »War on terror« rein

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 6 Min.
Nur saubere Operationen? Mitnichten! »Spy Ops« lässt Korruption, Bombardements mit zahlreichen Todesopfern und die Mittäterschaft der USA an Massakern außen vor.
Nur saubere Operationen? Mitnichten! »Spy Ops« lässt Korruption, Bombardements mit zahlreichen Todesopfern und die Mittäterschaft der USA an Massakern außen vor.

Es soll ein entspannter Abend nach einer ermüdenden Recherchereise und vielen Schreibtagen werden. »Netflix and chill« eben. Ich sitze vor meinem TV-Gerät und gehe die Streaming-Mediathek durch. Die Übersättigung des Serienmarktes wird abermals deutlich. Doch irgendetwas Gutes wird sich schon finden. Unter der Rubrik »Neuerscheinungen« macht mich ein Titel neugierig, der mir jüngst auf X, vormals Twitter, aufgefallen ist: »Spy Ops« – eine Doku-Reihe über die vermeintlich streng geheimen Operationen der CIA. Episode eins behandelt den Krieg in Afghanistan. Mit der Vorahnung, auch heute abend von meiner Arbeit eingeholt zu werden, drücke ich auf Play.

Bereits nach wenigen Minuten finde ich mich in einem Beitrag wieder, der mit journalistischer Sorgfalt und kritischer Recherche nichts zu tun hat. Stattdessen hat sich Netflix doch tatsächlich entschlossen, 20 Jahre nach dem verlorenen »längsten Krieg« der Amerikaner in Afghanistan ein Propagandastück zu inszenieren. In einer knappen Stunde ist nämlich fast keine einzige Minute zu finden, die sich nicht widerlegen lässt. Ein Grund hierfür ist gewiss der Umstand, dass ein Großteil der Bühne ehemaligen CIA-Agenten gewährt wird. Hinzu kommen einige ihrer afghanischen Verbündeten, die vom US-Einsatz profitierten, zu Multimillionären wurden und zwei Jahrzehnte lang Teil von mafiaähnlichen Warlord-Strukturen waren.

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Ein besonderer Fokus liegt auf dem mittlerweile verstorbenen CIA-Agenten Gary Schroen. Er gilt als der Hauptinsider der Afghanistan-Episode und kennt, so wird vermittelt, Land und Region wie kein anderer. Für Kenner anglosächsischer Politliteratur ist Schroen allerdings kein Unbekannter. Bereits in den 90er Jahren hielt er sich für einen »Geheimauftrag« im Norden Afghanistans auf. Was in »Spy Ops« unerwähnt bleibt: Schroen besuchte den berühmten Mudschaheddin-Kommandanten Ahmad Shah Massoud, um verschollene Stinger-Raketen wieder einzusammeln. Jene Stinger-Raketen, die noch wenige Jahre zuvor von ebenjenen Amerikanern an verschiedene Fraktionen der Mudschaheddin-Rebellen verteilt worden waren, um die Sowjetarmee zu bekämpfen.

Eines vorweg: Tatsächlich waren die Stinger im Kampf gegen sowjetische Helikopter, die zahlreiche afghanische Dörfer vernichtet hatten, wichtig und wertvoll. Laut vielen Zeitzeugen haben sie weitere Zerstörungen und Massenmorde verhindert. Doch irgendwann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs machte sich in Washington die Sorge breit, dass die Waffen in »falsche Hände« – Stichwort Al Qaida – gelangen könnten, weshalb man die CIA beauftragte, sie wieder einzusammeln. Dies geschah nur mit mäßigem Erfolg und in Afghanistan gibt es bis heute noch zahlreiche Mythen, was mit den verschollenen Raketen geschah und in wessen Hände sie gelangten.

Gerade heutzutage wäre es wichtig, einem übermäßig jungen Publikum, wie es sich bei Netflix finden lässt, die Folgen kurzsichtiger Waffenlieferungen zu erklären. Auch eine etwas allgemeine Geschichtsstunde zur Region wäre in diesem Kontext angebracht gewesen. In »Spy Ops« beginnt der Krieg in Afghanistan praktisch mit den Anschlägen am 11. September 2001. Dabei befand sich das Land zum damaligen Zeitpunkt bereits mehr als 20 Jahre im Krieg. All dies spielt keine Rolle und bleibt unerwähnt, obwohl die CIA auch in den 80er Jahren in verheerender Art und Weise klandestin in der Region tätig war, etwa indem sie sich in erster Linie mit den brutalsten und extremistischsten Mudschaheddin-Gruppen verbündete, diese im Kampf gegen die Sowjets massiv aufrüstete und Korruption und Drogengeschäfte nicht nur duldete, sondern praktisch auch förderte.

Ein wichtiger Punkt, der von CIA-Agenten in der Episode aufgegriffen, aber in jederlei Hinsicht relativiert wird, sind die Koffer voller Bargeld, die kurz vor der US-Invasion an auserkorene afghanische Verbündete, sprich: berühmt-berüchtigte Milizionäre und Kriegsfürsten, verteilt wurden. Laut den Agenten war dies notwendig. Jeder, der Geld brauchte, bekam es. Damit kaufte man sich die Loyalität der Verbündeten. Dass dieser Schritt im Grunde genommen zu den größten Systemfehlern der afghanischen Republik nach 2001 gehörte und letzten Endes für deren Kollaps sorgte, wird von den Produzenten schlichtweg ignoriert. Dabei ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Korruption zu den Hauptproblemen des gesamten Einsatzes und des damit verbundenen »Nation Building« gehörte – und dass diese eben von Anfang mittels der Bargeldzahlungen der CIA gefördert wurde.

Aufgrund dieser Praxis witterte jeder das große Geld im »War on Terror« und erfand neue Wege, um daranzukommen. Das Resultat der Korruption am Hindukusch sind einige wenige Reiche, meist Politiker, sogenannte Contractors, die für die US-Truppen arbeiteten, sowie die bekannte Warlord-Mafia, während bis heute in den meisten Regionen des Landes keinerlei Infrastruktur existiert.

Ironischerweise sorgten Geldkoffer auch während des Abzugs der Nato aus Afghanistan für einige Schlagzeilen. Anfangs hieß es etwa, dass der letzte, von Washington installierte Präsident des Landes, Ashraf Ghani, mit Taschen und Koffern voller Bargeld das Land verlassen habe. Einigen Berichten zufolge handelte es sich hierbei um eine gezielte Desinformationskampagne der russischen Botschaft in Kabul, die zuerst diese Nachricht gestreut haben soll. Später stellte sich allerdings heraus, dass sie gar nicht so falsch gewesen sein soll. Allein dem afghanischen, von der CIA aufgebauten Geheimdienst National Directorate of Security stand ein jährliches Budget von 225 Millionen US-Dollar zur Verfügung, davon mindestens 70 Millionen in Bargeld. Am 14. August 2021, einen Tag vor der Flucht Ghanis und dem Fall Kabuls an die Taliban, sind diese Gelder verschwunden.

Ausgiebig erwähnt wird in »Spy Ops« auch der Warlord Abdur Rashid Dostum, der gemeinsam mit US-Soldaten und CIA-Agenten den wahrscheinlich letzten Kavallerieritt der Militärgeschichte antrat. Das Bündnis zwischen Dostum und seinen Milizen sowie den Amerikanern war auch Inhalt des Films »12 Strong« aus dem Jahr 2018. Was sowohl im Film als auch in der Netflix-Doku nicht behandelt wurde: das Massaker von Dasht-e Laili 2001, bei dem Dostum Tausende von Kriegsgefangenen in Containern in der Wüste in der Hitze schmoren und ermorden ließ. Unter den Opfern befanden sich nicht nur Taliban-Kämpfer, sondern auch zahlreiche junge Männer, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Kenner der Region betrachten das Massaker, bei dem die Amerikaner als Mittäter zusahen, als eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der modernen afghanischen Geschichte.

Eine ähnliche Ignoranz und Reinwaschung lässt sich auch im Kontext der zahlreichen US-Bombardements finden, die in den ersten Tagen des Militäreinsatzes stattfanden. Schätzungen zufolge wurden mindestens 4000 Afghanen durch klassische Luftbombardierungen sowie Drohnenangriffe getötet. Für diese Operationen waren sowohl das US-Militär als auch die CIA verantwortlich. Die Opfer dieser Angriffe finden in »Spy Ops« keinerlei Beachtung. Stattdessen wird das Bild des sauberen Antiterrorkrieges propagiert, der ausschließlich die »bösen Buben« eliminierte. Ein Bild, das in den vergangenen Jahren immer wieder dekonstruiert wurde.

Abermals war der August 2021 hierfür mehr als symbolträchtig, als viele Taliban-Führer, die in den Jahren zuvor nach vermeintlich präzisen Drohnenoperationen für tot erklärt worden waren, in Kabul triumphierend einmarschierten. Doch niemand, auch nicht das woke Netflix, stellt bislang die wohl offensichtlichste Frage: Wer waren all die Afghanen und Afghaninnen, die anstelle hochrangiger Taliban im Feuer der Bomben und Raketen sterben mussten?

»Spy Ops«, acht Folgen (je 35 bis 52 Minuten), bereits komplett online auf Netflix

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