Arbeitskampf in Italien: »Keine Rechte, keine Lieferungen!«

Gemeinsam mit der marxistischen Basisgewerkschaft S. I. Cobas kämpfen migrantische Arbeiter im Norden von Florenz gegen ihre Ausbeutung

  • Alieren Renkliöz
  • Lesedauer: 8 Min.
Die Möbelpacker der italienischen Firma Mondo Convienza streiken für ihre Rechte. Sie alle sind Migranten.
Die Möbelpacker der italienischen Firma Mondo Convienza streiken für ihre Rechte. Sie alle sind Migranten.

Shoiab Saleem posiert für ein Pressefoto. »Du bist wunderschön«, scherzen seine Kollegen von der Seite. »Blick nicht so fröhlich, du bist im Streik, guck böse«, verlangt einer. Sie lachen. Es ist Mitte Oktober. Seit dem 30. Mai kampieren die Arbeiter vor dem Lagerhaus im Industriegebiet von Campi Bisenzio, einer Stadt im Norden der Metropolregion Florenz. Bunte Zelte säumen das Gelände vor der Depotzufahrt. Matratzen liegen auf einer schmalen Wiese. In einem Wohnwagen ruhen sich einige Streikende aus.

Der 26-jährige Saleem streikt gemeinsam mit etwa 30 weiteren pakistanischen Möbelpackern gegen die Arbeitsbedingungen beim Möbelhersteller Mondo Convenienza und dessen Subunternehmen RL2-Logistica. »Praktisch hat RL2 nichts zu melden, Mondo entscheidet alles«, sagt einer der Streikenden. Die meisten von ihnen sind in den Zwanzigern und erst seit einigen Jahren in Italien. Bei einem Monatslohn von knapp über 1000 Euro müssen die Möbelpacker 80-Stunden-Wochen absolvieren.

Khazifa Arshad sitzt auf einer Hantelbank, die die Arbeiter im Schatten eines Baumes aufgestellt haben. Er berichtet: »Da ist kein einziger Italiener in dieser Fabrik, es sind alles Migranten: Rumänen, Moldawier, Albaner und Pakistani. Aber nur die Pakistani streiken.« Die anderen hätten mehr Angst, meint er. Die Moldawier, Rumänen und Albaner seien stärker abhängig von den Bossen, da die Arbeitgeberseite diese nur für diesen Job bei Mondo aus ihren Ländern bestellt hätte. Ihre Aufenthaltserlaubnis in Italien ist unmittelbar an ihre Beschäftigungsbewilligung bei RL2-Logistica geknüpft. »Manchmal kommen sie, um uns zu helfen. Nachts zum Beispiel, wenn die Bosse nicht da sind. Da bringen sie uns Essen. Sie können das nicht vor den Bossen tun«, erzählt Arshad.

»Wenn wir den Streik gewinnen, verbessert das die Arbeitssituation für alle 200 Angestellten in diesem Depot und hat Einfluss auf die Verträge von 5300 Arbeitern in ganz Italien«, erklärt Luca Toscano von der Basisgewerkschaft S.I. Cobas. Ein Hauptziel des Streiks ist die Anpassung der Arbeitsverträge, denn RL2-Logistica stellt die Möbelpacker mit einem Vertrag für Putzkräfte an und drückt so die Löhne. Bei der Stadt, der Regionalverwaltung und der Dachgewerkschaft CGIL war das schon lange bekannt, es brauchte aber erst den Streik, um dies in den Fokus zu rücken.

Toscano berichtet von den aufreibenden ersten Wochen: »Es gab ein großes Polizeiaufgebot. Als die Arbeiter die Zufahrt blockierten, kesselte uns die Polizei ein. Es gab viel Gewalt. 15 Tage lang ging das so.« Die Streikenden zeigen Bilder und Videos, wie die Polizei sie an die Mauer des Depots drängt und mit Knüppeln auf sie einschlägt. Getreu ihrem Motto verhinderten die Arbeiter in diesen Wochen, dass Möbel ausgefahren wurden: »Niente diritti, niente consegne!« – Keine Rechte, keine Lieferungen! Doch RL2-Logistica kündigte den Arbeitern mit Beginn des Streiks, was nach italienischem Arbeitsrecht illegal ist.

»Als die Polizei nicht mehr täglich kam, mobilisierte die Firma Arbeiter aus anderen Depots hierher, um dafür zu demonstrieren, dass die Polizei wiederkommt«, erzählt die Gewerkschafterin Sara Caudiero. Die Firma machte Druck: »Wenn der Streik nicht endet, schließen wir das Lagerhaus«, soll Mondo Convenienza erklärt haben, so Caudiero. Toscano findet deutliche Worte für das Vorgehen der Firma: »Sie wollen uns erpressen: Jobs oder Rechte.«

Als Antwort demonstrierten 1000 Menschen gegen Mondo Convenienza, sodass sich der Streik im Juli auf die Städte Rom, Bologna und Turin ausbreitete. Nach einem dreiwöchigen Streik in diesen Städten ging die Gewerkschaft S. I. Cobas Ende Juli Kompromisse mit der Kapitalseite ein. Es gab eine Lohnerhöhung um 100 Euro. Bei den Verträgen für Putzkräfte blieb es jedoch. Stattdessen wurde ein zweimonatiges Streikverbot beschlossen. Weil die Arbeiter und ihre Gewerkschaftsvertreter*innen in Campi Bisenzio entschieden weiterzustreiken, überwarfen sie sich mit der Gewerkschaftsführung: »Das war die Strategie des Unternehmens: die Arbeiter zu spalten und Campi Bisenzio zu isolieren«, beurteilt Gewerkschafterin Francesca Ciuffi die Lage.

Obwohl für viele von ihnen die Wohnung und die an ihre Arbeitsverträge geknüpfte Aufenthaltserlaubnis auf dem Spiel steht, wollen sie nicht aufhören zu streiken, bevor Mondo Convenienza ihre Dumping-Verträge als Putzkräfte an ihre Tätigkeit als Möbelpacker anpasst. Als Symbol für ihren Kampfwillen bauten sie im Sommer eine Holzhütte. »Damit die Bosse wissen, dass wir bereit sind, auch im Winter hier zu streiken«, erklärt Ishtiaq Muhammad.

Die Streikenden wechseln sich ab, es ist immer eine Gruppe von 20 Arbeitern vor der Lagerhalle präsent. Sie leben im Industriegebiet. Das Plenieren ist täglicher Bestandteil ihres Alltags, viele von ihnen erleben zum ersten Mal kollektive Entscheidungsfindung. Gemeinsam mit den Gewerkschafter*innen von S. I. Cobas planen sie die nächsten Schritte ihres Arbeitskampfes. »Seit Monaten kämpfen wir hier zusammen, wir sind wie eine Familie«, sagt Ishtiaq Muhammad.

Odyssee eines Zwölfjährigen

In der heiteren Gruppe der Streikenden fällt der 21-jährige Ali auf, der Löcher in die Luft starrt. Er lächelt nie mit den Augen. »In Europa kannst du ein besseres Leben haben«, sagte ihm seine Mutter 2014. Er ist zwölf, als er allein aus Pakistan aufbricht – ein Junge im Alter eines Sechstklässlers reist in den Iran, in die Türkei, dann von Bodrum per Boot nach Griechenland. Er hat Glück, der überfüllte Kutter kommt in der EU an. Ali übertritt Grenzen: Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich. Es ist 2015. Angela Merkel wagt eine humane Migrationspolitik.

»Ich hörte, Deutschland hat die Grenzen geöffnet«, erzählt der dünne Mann. Er verbringt zwei Monate in Deutschland, verlässt das Land aber auf Rat seines Bruders Richtung Italien, wird inhaftiert und landet in einer Unterkunft für Minderjährige. »Das war die schlechteste Entscheidung, die ich je getroffen habe«, sagt er und kritisiert: »Italien ist schlecht für Minderjährige.« Als er 18 wird, werfen sie ihn aus der Unterkunft: »Da! La via – geh!«, erinnert er sich. La via, das Leben, führt ihn in die Landwirtschaft. Er erntet Obst und verdient fünf Euro die Stunde. Dann verdingt er sich bei einem Wanderhändler: »Ich habe alle Städte Italiens gesehen«, behauptet er. Es folgen Anstellungen beim Versanddienstleister GLS und schließlich bei RL2-Logistica, dem Subunternehmen, gegen das er heute streikt.

Er erzählt von der Frühphase des Streiks, als er und seine Kollegen das Gewerkschaftsbüro der S. I. Cobas aufsuchten: »Wir hatten über Freunde aus anderen Fabriken, die schon mit Luca und Sara gestreikt hatten, gehört, dass wir uns an sie wenden könnten.« Regelmäßig habe das Unternehmen Lohnzahlungen ausgesetzt. Die Phase des ersten Kontakts mit den Gewerkschaftern sei im Geheimen verlaufen. Wenn die Firma gewusst hätte, dass sie streiken wollten, erklärt Ali, hätte man sie gefeuert. Es gab vor dem Streik keinen einzigen gewerkschaftlich organisierten Arbeiter im Lagerhaus.

Luca Toscano und Sara Caudiero sind in Prato und Campi Bisenzio bekannte Persönlichkeiten. In den vergangenen zwei Jahren organisierten die Gewerkschafter*innen der S. I. Cobas in den beiden Städten in mehr als 20 Unternehmen vornehmlich migrantische Arbeiter*innen. April 2023 gelang es in Prato der »8 for 5«-Bewegung, dass ein Streik in der Textilindustrie sein Hauptziel erreichte. »8 for 5« steht für die 40-Stundenwoche, denn die Arbeiter*innen in der Textilindustrie arbeiten im Schnitt zehn bis zwölf Stunden an sechs oder sieben Tagen.

»Es kam dazu, dass die Fabrik neben der von uns bestreikten Fabrik auch die Arbeit niederlegte«, erzählt Caudiero. Die Stadtverwaltung und die Polizei reagierten, indem sie eine Verbannung gegen die Gewerkschafter*innen aussprachen. Das sogenannte »Foglio di via« ist ein Dokument, das Menschen verbietet, eine Stadt zu betreten. Ein Mittel, das die Polizei in Italien regelmäßig gegen Fußball-Ultras und politische Akteur*innen einsetzt. Toscano und Caudiero hielten sich nicht an das Verbot. Repression, sagen sie, gehöre zu ihrer Arbeit dazu. Man müsse die Gründe für Repression thematisieren und dürfe sie nicht individualisieren: »Tocca uno tocca tutti« – Berühren sie eine*n, berühren sie alle, sagt Caudiero. Sechs Monate nachdem die Polizei die Verbannung erklärt hatte, hob ein Gericht diese auf.

Unwetter beendet Streik

In der Nacht auf den 3. November regnet es in der Toskana innerhalb von drei Stunden so viel wie sonst in einem ganzen Jahr. Der Fluss Bisenzio tritt über seine Ufer und überschwemmt mehrere Gemeinden. Es gibt Tote und Vermisste. Florenz ruft den Notstand aus. Campi Bisenzio ist ein Zentrum der Unwetterkatastrophe. Hier reißen die Wassermassen Autos mit sich. Am 8. November beenden die Arbeiter ihren Streik vor dem Depot von Mondo Convenienza. S. I. Cobas unterschreibt keinen Vertrag mit dem Unternehmen: »Wenn wir einen schlechten Vertrag unterzeichnen, kann das später zum Nachteil der Arbeiter sein«, sagt Ciuffi.

Nichtsdestotrotz gibt es eine Lohnerhöhung von 100 Euro für alle Angestellten des Unternehmens und eine bessere Regelung von Krankentagen. Die Streikenden erhalten eine Entschädigung für ihre Lohnausfälle. »Wir haben den Streik verloren, das müssen wir so klar sagen. Aber wenn wir nicht bis in den November hinein gestreikt hätten, dann würde die Dachgewerkschaft CGIL jetzt nicht über die Anpassung der Verträge für alle Logistikarbeiter von Mondo Convenienza verhandeln«, sagt Toscano einen Monat nach den Überschwemmungen am Telefon.

Der Gewerkschafter berichtet von zwei weiteren Logistikunternehmen im Industriegebiet von Campi Bisenzio: »Aktuell bereiten wir Streiks vor mit ihnen. Das ist ein gutes Zeichen.« Jeder Streik zeigt anderen Arbeiter*innen, dass sie ihre Arbeitsbedingungen nicht ertragen müssen. Als ich im Oktober Toscano vor dem Depot interviewte, stoppte ein Auto neben den Plenierenden. Dem Fahrer war anzusehen, dass er Angst hatte. Er reichte Toscano ein Stück Papier: »Wir wollen streiken.« Toscano steckte den Zettel ein, seine Augen blitzten.

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