Lettland: Austreibung der Russen

EU-Mitglied Lettland will Bürger zweiter Klasse loswerden

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Russische Pelmeni auf dem Rigaer Weihnachtsmarkt. Wer nicht lettischer wird, soll das Land verlassen, fordert der Staat.
Russische Pelmeni auf dem Rigaer Weihnachtsmarkt. Wer nicht lettischer wird, soll das Land verlassen, fordert der Staat.

Das Thema Abschiebung hat nicht nur in westeuropäischen Staaten politische Konjunktur. Zu Wochenbeginn sendete das lettische Fernsehen ein Interview mit einer Frau namens Maira Roze. Sie ist Leiterin des Büros für Staatsbürgerschafts- und Migrationsangelegenheiten (OCMA). Was sie verkündete, erschreckte und verunsicherte zahlreiche Familien, denn: Immer mehr Menschen sind von Ausweisung bedroht, auch wenn sie seit Geburt in Gebieten leben, die heute zur Republik Lettland gehören.

Zunächst seien rund 1000 Menschen von den geplanten Maßnahmen betroffen. Rund 15 500 russische Staatsbürger, so berichtete die Regierungsvertreterin weiter, hätten eine unbefristete und fast 3000 Menschen eine befristete Aufenthaltserlaubnis beantragt. 2200 Menschen, so die vorläufige Zahl, erfüllten notwendige Formalien, die zum Bleiben berechtigen, jedoch nicht.

20 000 Russen »Nichtbürger« in Lettland

Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Lettlands im Jahre 1991 erhielten nur solche Einwohner die Staatsbürgerschaft, die sie bereits vor der Eingliederung des Landes in die Sowjetunion besaßen oder direkte Nachkommen solcher Personen sind. Alle anderen wurden zu »Nichtbürgern« erklärt. Betroffen sind Menschen vieler Nationalitäten, vor allem aber 20 000 Russen. Sie haben kein Wahlrecht und dürfen bestimmte Berufe nicht ausüben.

Nach Moskaus Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 entzog man russischsprachigen Radiosendern, die sich zu sehr in Richtung Moskau orientierten, die Lizenz. Behörden ließen weitere Denkmale abtragen, die an die Befreiung vom Hitlerfaschismus erinnerten.

Einen ähnlichen Umgang mit der Geschichte, der Kultur und der Sprache pflegen die beiden anderen baltischen Republiken, Litauen und Estland. Auch die Ukraine hatte so versucht, alles Russische aus dem Alltag zu verbannen. Kiew bot Moskau so zahlreiche Möglichkeiten, sich als Schutzmacht der unterdrückten Landsleute zu präsentieren. Die Weiterungen sind bekannt.

Lettland zieht die Zügel an

Im vergangenen Jahr verabschiedete das lettische Einkammerparlament, die Saeima, ein verschärftes Migrationsgesetz. Danach müssen alle Einwohner, die keine lettische Staatsbürgerschaft besitzen, sie aber erhalten wollen, verschiedene Dokumente vorlegen, einen Fragebogen zur Zufriedenheit der Behörde ausfüllen und sich einer Sprachprüfung stellen.

Zunächst schien es so, als wolle die Regierung in Riga die neuen Vorgaben nicht brachial durchsetzen. So hatte Maira Roze noch im April beschwichtigend erklärt, man wolle das Thema »von der positiven Seite betrachten«, und erwarte, dass die Betroffenen »ehrlich und gehorsam sind«. Obwohl zwei von drei Bewerbern die Sprachprüfung, von der nur Personen über 75 Jahren ausgenommen sind, nicht beim ersten Anlauf überwinden können, werden nun die Zügel angezogen.

»Ich glaube nicht, dass das Glück zu denen ins Haus kommt, die eine solche Politik verfolgen«, betonte der russische Präsident unlängst in Moskau. Wer Teile seiner Bevölkerung – so zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Tass Wladimir Putins Äußerung bei einer Sitzung des russischen Menschenrechtsrates – »derart schweinisch« behandele, brauche sich nicht zu wundern, wenn sich dies gegen einen selbst kehre. Putin zeigte zwar Verständnis dafür, dass jedes Land von seinen Bewohnern Grundkenntnisse der Kultur und Sprache fordere, doch der Status »Nichtbürger« sei eine rechtliche Missgeburt. Er versicherte, Russland werde den Vertriebenen natürlich helfen – und sein Verhältnis zu den Vertreibern entsprechend gestalten.

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