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Ein germanischer X-mas-Elf
Stollenmampfen in X-mas-Pyjamas, Adventskalender und »Christmas Stockings«: Deutsch-amerikanische Weihnachten bieten viele Möglichkeiten der Fusion
Sind Sie gerade so richtig entspannt? Nein? Die schönste Zeit des Jahres ist auch nicht zum Ausruhen da, sondern zum Streiten, Saufen, Überfressen, Überfordern, Verplanen und Verschulden. Und egal ob Sie noch schnell in den Supermarkt müssen, weil Sie Käsefondue ohne Käse machen wollten, oder ob Sie sich ein Last-Minute-Geschenk aus den Fingern saugen müssen, für jemanden, den Sie nicht mögen (wird’s wieder ein Gutschein?) – ich teile Ihren Schmerz.
Ich muss jeden Abend im Dezember eine kleine, hässliche und in roten Filz gehüllte Kreatur an verschiedenen Stellen im Haus platzieren, und zwar weit oben auf Regalen und Schränken, weil sie angeblich herumfliegt und im Auftrag von Santa ausspäht, ob mein Kind sich gut benähme. Eigentlich handelt es sich nur um die Lightversion des sogenannten »Elf on the Shelf«, denn theoretisch müsste das Ding jeden Tag etwas Nettes oder Freches anstellen – Bonbons dalassen oder sich im Mehl wälzen, zum Beispiel. Mein Elf ist für diese Tollereien zu sparsam und ordentlich: Er ist Germane.
Auch musste ich meiner Tochter, die in der deutschen Samstagsschule vom Christkind und Nikolaus hörte und nun logischerweise verwirrt ist, erklären, dass Wohltäter regional tätig sind. Was die Verwirrung nicht auflöste – meine Fünfjährige merkte korrekterweise an, es sei seltsam, dass Santa vom Nordpol ganz nach Texas käme. Und dann noch die Frequenz seiner Auftritte! Jedes Jahr buchen wir nämlich einen Santa-Termin im Einkaufszentrum, das heißt, wir bezahlen ein angepummeltes Männlein dafür, dass es unserer Tochter glaubhaft versichert, sie bekäme genau die Geschenke von ihm, die sie sich wünsche: ergo die, die ich für sie gekauft habe. Doppelt bezahlt und nicht mal Dank geerntet, das ist Elternsein im 21. Jahrhundert. Vielleicht beobachtet der garstige Stasi-Elf gar nicht die Kinder sondern ihre an niedrigem Selbstbewusstsein leidenden Millennialeltern? Aber zurück zum Claus: Nach dem diesjährigen Treffen mit ihm muss ich meiner Tochter ständig erklären, dass wir uns nicht noch einmal zum bezahlten Betteln in der Santa-Schlange anstellen werden, denn der Alte folgt uns diesen Monat in alle Malls und Parks!
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Während ich also versuche, deutsche und amerikanische Weihnachtstraditionen zu fusionieren (Adventszeit gepaart mit Elf-Regime, Stollenmampfen in X-mas-Pyjamas, Adventskalender und »Christmas Stockings« befüllen, Geschenke für Heiligabend und »Christmas Morning« einplanen), fällt mir auf, dass ich den Stress gar nicht schlimm finde. Vielleicht, weil er mich vom Weltgeschehen ablenkt, vielleicht auch, weil er mir hilft, den wahren Hintergrund von Weihnachten zu verdrängen: Als Atheistin will ich nichts mehr vom Jesusbaby und seiner abenteuerlichen Geburt hören, egal, ob in der klassischen oder neuen Woke-Version, in der er Palästinenser ist. Bekannte posten haarsträubende Konzerte aus ihren »Megachurches« – so werden die riesigen evangelikalen Stadien genannt, in denen Tausende Hardcore-Christen Platz finden und wo Jesus’ Geburt mit Rockband und von der Decke schwebenden Trommlern inszeniert wird. In den USA hält sich nämlich seit dem Song »The Little Drummer Boy« von 1941 hartnäckig das Gerücht, ein Junge mit (Blech-)Trommel habe in der Bethlehemer Scheune für coole Beats gesorgt. Hoffentlich war dessen Persönlichkeit angenehmer als die von Oskar Matzerath.
Für ungläubige Amis wie mich gibt es Festivus, einen Parodiefeiertag, der durch die Serie »Seinfeld« popularisiert wurde und am 23. Dezember begangen wird, aber in Texas käme so was der Ketzerei gleich. Auch könnte ich mich auf meine russischen Wurzeln besinnen und meinen Enthusiasmus auf die Neujahrsparty verlegen: Die Sowjetunion verbannte alle Religionsfeiertage, behielt aber das neutralere Silvester als Familien- und Trinktag mit Geschenken und Tannenbaum; dass man damit trotzdem das Geburtsjahr Jesu feierte, wurde, wie so viele Fakten in Russland, einfach ignoriert. Aber Neujahrspartys sind out, zumindest unter den an chronischem Schlafentzug leidenden Eltern, die mich umgeben. Es hilft also nichts, ich muss da durch und Sie mit mir: Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch, liebe Lesende! Bleiben Sie gesund, stressresistent und auf keinen Fall nüchtern!
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