- Kultur
- Biografie
RAF-Mitgründer Andreas Baader: »Im Gefängnis frei«
Wie wird man revolutionär? Alex Aßmanns Biografie über Andreas Baader vor der Gründung der RAF
Kann man sich im Gefängnis frei fühlen? Andreas Baader irgendwie schon, glaubt man seinem Biografen Alex Aßmann. Der Mitgründer der RAF fühlte sich erst »Im Gefängnis frei«, so der Titel von Aßmanns im Frühjahr erschienenen Buches über die neben Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin bekannteste Figur der sogenannten Stadtguerilla, die sich 1998 auflöste. »Ich bin Dichter. Ich lebe einen Roman«, so lautet der erste Satz im Buch. Ein Zitat von Baader, das dessen politischen und persönlichen Gestaltungswillen als Gefängener zeigt, lange vor Stuttgart-Stammheim.
Es stammt aus seinen Gefängnistagebüchern, die er schrieb, als er etwas mehr als ein Jahr lang in Frankfurt am Main in Untersuchungshaft saß und auf seinen Prozess wartete. Anfang April 1968 hatten er, Ensslin, Horst Söhnlein und Thorwald Proll in zwei Frankfurter Kaufhäusern Brände gelegt, um gegen den Vietnam-Krieg zu protestieren. Niemand kam dabei zu Schaden. Schon zwei Tage später wurden sie verraten und verhaftet. Was das überhaupt sollte, darüber wurde sich Baader erst im Gefängnis klar.
Wie wird man ein Revolutionär? In der Haft schrieb er elf Kladden und Notizbücher voll, die Aßmann erstmals historisch ausgewertet hat. Das ergibt eine andere Sicht auf Baader als die, die einem sonst medial angeboten wird, vor allem vom Journalisten und RAF-Cheferklärer Stefan Aust.
In Spielfilmen wie »Der Baader-Meinhof-Komplex« (2008) und »Stammheim – Zeit des Terrors« (2025), an denen Aust beteiligt war, erscheint Baader als Schreihals mit dem Drang zu Macker- und Arschlochtum. Meint es das Drehbuch etwas besser mit ihm, bekommt er einen Hauch Jean-Paul Belmondo in »Außer Atem« verliehen, muss aber immer noch viel rumbrüllen, wie in »Baader« (2002), zu dem Moritz von Uslar das Drehbuch schrieb.
In der Darstellung von Alex Aßmann erscheint Baader dagegen als nachdenklicher junger Mann, der sein Image selbst bestimmen möchte – im Bewusstsein, durch die Kaufhausbrände und den anstehenden Prozess in der Öffentlichkeit zu stehen. Um gezielt politische Forderungen erheben zu können, muss er sich erst mal über die Gesellschaft, in der er lebt, klar werden. Das geschieht durch die Bücher, die er im Knast liest (Marcuse, Lenin, Fanon, Flaubert und immer wieder Wittgenstein), und über die Briefe, die er aus dem Knast schreibt, vor allem an seine ebenfalls inhaftierte Geliebte Gudrun Ensslin. Mit ihr diskutiert er seine inneren Zustände, seine Lektüren und auch die Beziehung zu seiner Mutter. Außerdem entwickeln sie eine Erotik der Eingesperrten, indem sie sich über den Roman »Justine« austauschen, den Marquis de Sade schrieb, als er ebenfalls gefangen war.
Das Besondere an Baaders Briefen: Sie wirken lässig und prägnant, wie assoziativ hingeworfen, doch sie sind Ergebnis mehrerer Entwürfe, die Aßmann in Baaders Notizbüchern einsehen konnte. Mitunter muss Baader sechs Varianten ausprobieren, bis er einen Brief abschicken kann, der endlich so klingt, wie er es sich vorstellt: nicht zu lyrisch, nicht zu künstlich, sondern möglichst so, als habe er ihn nicht geschrieben, sondern gesprochen. »Um auch im Text so zu wirken, wie man ihn im mündlichen Gespräch kannte, musste er sozusagen sauber komponieren, aber fehlerhafte Briefe schreiben«, erläutert Aßmann, der davon ausgeht, dass Baader seine Briefe teilweise in der Zelle laut deklamiert hat, um ihre Wirkung zu überprüfen. Ein großer Aufwand für scheinbar spontane Gesten.
Für Baader hatte diese Schreibarbeit existenzielle Bedeutung, schrieb er doch damit gegen die Depressionen an, die ihn in der Haft überkamen. Durch sein Lesen und Schreiben schuf er laut Aßmann mit literarischen Mitteln von sich eine Art Double, über das er frei verfügen konnte, oder wie es Baader in seinem Tagebuch formuliert: »Ich setzte mich auf Wittgenstein wie auf ein Pferd, wie man sich draufsetzt und damit über die Mauer setzt.«
In Frankfurt wurde er zwei Tage vor seinem 25. Geburtstag verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt ist ihm in seinem Leben nicht allzu viel gelungen. Er war in München vom Gymnasium geflogen, hatte es auf einer Privatschule nicht geschafft und konnte die Ansprüche seiner Mutter nicht erfüllen – eine Kriegswitwe, deren Bruder als Schauspieler arbeitete und die Anschluss zu sogenannten Künstlerkreisen suchte. Baader war ein Einzelgänger, der durch Diebstähle, Fahren ohne Führerschein und Schlägereien auffiel, nicht durch politische Ambitionen; auch als er nach Westberlin gezogen war, mit dem Künstler-Ehepaar Ellinor Michel und Manfred Henkel zusammenlebte und eine Randfigur in der Kommune 1 wurde. Mit Michel setzte er Tochter Suse in die Welt, um die sich aber Henkel kümmern musste. Obwohl diese Vorgeschichte die Hälfte von Aßmanns Buch ausmacht, bleibt Baader darin als Figur undeutlich, als wolle der Autor betonen, dass Baader lange nicht richtig wusste, was er will.
Dagegen erscheint er als Gefangener sehr produktiv, das Schreiben von Briefen und Tagebüchern wirkt wie eine »Übung an sich selbst und durch sich selbst«, wie Aßmann Michel Foucault zitiert. Dabei geht es stets auch um die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Für Baader ist der westliche Kapitalismus gewalttätig und manipulativ. Er glaubt, dass der Protest dagegen ebenfalls gewalttätig sein sollte, um nicht zerredet und letztlich integriert zu werden: »Gewalt ist für uns die einzige Chance, [nicht] in dieser Gesellschaft zermahlen zu werden. Die einzige Chance, […] zu zeigen, dass ihr mit uns reden müsst und uns nicht mit ein paar Reformen das Maul stopfen könnt.« Baader ist sich sicher: »Die Herrschenden reagieren nur auf Gewalt.«
Derartige Positionen entwickelt Baader in Entwürfen für sein eigenes Auftreten vor Gericht. Gleichzeitig schreibt er an einem Drehbuch für einen Spielfilm über den Kaufhausbrand, den sein Bekannter, der junge Regisseur Klaus Lemke als »Vision von unten« drehen soll. Parallel möchten Autoren aus dem Umfeld der Alternativzeitschrift »Charlie Kaputt« Texte für einen Sammelband über die linksradikale Westberliner Szene haben. Agitation vor Gericht, in Film und Buch: Für Aßmann ist Baader der »Kurator eines komplexen multimedialen Projektes« mit dem Ziel, »den Protest bis zum Äußersten zu treiben«, wie Baader es ausdrückte.
Doch sein großer Auftritt vor Gericht misslingt, Klaus Lemke dreht den Film »Brandstifter« anders als von Baader intendiert, und den von Hartmut Sander herausgegebenen Sammelband »Subkultur Berlin«, unter anderem mit Briefen von Baader, Ensslin und Proll, fand er auch nicht gut.
Im Unterschied zu anderen revolutionären Nachwuchspolitikern, die bald damit beginnen, auf pathetische Weise Gruppen zu gründen, die sie als Neuerfindungen proletarischer Parteien verkaufen wollen, ist sich Baader darüber im Klaren, dass die Arbeiter nicht zu erreichen sind, »da sie durch die Massenmedien und durch ihre manipulierten Bedürfnisse an das System gekettet« seien. Stattdessen sollte klargestellt werden, »dass das bürgerliche Existieren an uns scheitert«.
Er steht auf der anderen Seite der bürgerlichen Gesellschaft und glaubt: »Sozusagen ist man in der Zelle frei.« Eine Deduktion in eigener Sache, formuliert wie ein Gottesbeweis. Dem Gericht, das er nicht anerkennen wollte, beschied er: »Die Person Baader gibt es nicht mehr (…) Ich kann Ihnen was über den Gefangenen Baader sagen.« Diesen Status hat er nicht mehr aufgegeben, auch wenn sich die RAF 1970 durch die Befreiung von Andreas Baader gründete. Das war erst Experiment, dann blutiges Desaster.
1972 war Baader wieder verhaftet, diesmal als Staatsfeind Nummer 1, und dann starb er 1977 im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim, sehr wahrscheinlich durch Selbstmord. Ist das besonders morbide Ironie, oder war er ein staatsfeindlicher Existenzialist? Dass man über die Paradoxien in dessen Leben nachdenken kann, ist eine große Leistung von Alex Aßmann.
Alex Aßmann: Im Gefängnis frei. Andreas Baader, der Brandstifterprozess und die politische Gewalt. Edition Nautilus, 288 S., br., 22 €.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.