Cheikh Anta Diop - Wider die Arroganz des Abendlandes

Vor 100 Jahren wurde der afrikanische Universalgelehrte Cheikh Anta Diop geboren

  • Gerd-Rüdiger Hoffmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Verehrt in Afrika, vor allem in Senegal: der Philosoph Cheikh Anta Diop
Verehrt in Afrika, vor allem in Senegal: der Philosoph Cheikh Anta Diop

Er habe den Afrikanern ihr historisches Bewusstsein zurückgegeben, heißt es über Cheikh Anta Diop. Für diese Einschätzung gab und gibt es gute Gründe, obwohl seine zentralen Thesen in einigen Punkten mehr Spekulation als empirisch gesichertes Wissen bieten. Sie lauten: Erstens, Afrika ist durch eine kulturelle Einheit gekennzeichnet und zweitens sei die altägyptische Kultur negroiden Ursprungs und drittens habe die antike griechische Philosophie fast nahtlos altägyptisches Denken übernommen. Daraus ergab sich für Diop die Konsequenz der Rückkehr zu den Quellen, also um die Rückbesinnung auf altägyptische Kultur negroiden Ursprungs. Heute würde dieses Herangehen wahrscheinlich mit dem Begriff Afrofuturismus bezeichnet werden.

Cheikh Anta Diop wurde am 29. Dezember 1923 in Thieytou, einem kleinen senegalesischen Dorf in der Nähe von Diourbel, als Sohn einer muslimischen Wolof-Familie geboren. Die Schulausbildung erfuhr er sowohl in Koranschulen als auch in katholisch geprägten Schulen der Kolonialmacht Frankreich. Sein in Dakar begonnenes Physikstudium setzte er in Paris fort. Zudem studierte er an der Pariser Sorbonne Geschichte und Ethnologie, unter anderem bei Marcel Griaule. 1954 erschien bei Présence Africaine sein Buch »Nations nègres et culture«, das als klassisches Werk der »afrikanischen Authentizität« gilt. Bis 1960 in Paris tätig, war er anschließend in Senegal Mitbegründer und Führer mehrerer oppositioneller Parteien. Der Rassemblément National Démocratique (RDA) wurde zu einer der stärksten Oppositionsparteien in Senegal. Bekannt ist Diop vor allem als Historiker, Physiker und Kulturtheoretiker, wegen einiger kühner Thesen besonders umstritten als Ägyptologe. Cheikh Anta Diop starb am 7. Februar 1986 in Dakar.

Obwohl sich viele seiner Ansichten nicht belegen lassen, beispielsweise die Kongruenz von ägyptischen und afrikanischen Göttern, wurde Diop zum Symbol für das Emanzipationsstreben der Wissenschaft in Afrika. Im Kontext der Kolonialgeschichte, der vom Paternalismus geprägten Missionierung ebenso wie der Hegelschen Auffassung von der Geschichtslosigkeit Afrikas war das nur zu verständlich. Die Ignoranz und – schlimmer noch – Herabwürdigung jeglicher Leistungen von Afrikanerinnen und Afrikanern prägte die Geschichtsschreibung seit der Antike. Herrschte in der Antike noch großes Unwissen über die Kulturen südlich der Sahara gab es jedoch immer wieder Kontakte zum heutigen Äthiopien, Ägypten oder Nubien. Diese waren nicht konfliktfrei, von Barbaren war die Rede, zugleich wurden diese jedoch oft mehr oder weniger als Partner, Konkurrenten oder Feinde auf Augenhöhe betrachtet. »Auf Augenhöhe« bedeutete damals nicht wie heute vielfach, dass »die Anderen« erst auf den Stand »unserer Werte« gehoben werden müssten, bevor sie gleichberechtigt mit »uns« an einem Tisch sitzen dürfen. Davon legen die Historien von Herodot, auf die sich Diop bezieht, eindrucksvoll Zeugnis ab.

Cheikh Anta Diop wollte über möglichst exakte Forschungen, einschließlich naturwissenschaftlicher, den Nachweis erbringen, dass es Afrikanerinnen und Afrikaner waren, die entscheidende Beiträge für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation erbrachten. Mit konkreten Vorschlägen wollte er als Wissenschaftler und Politiker dazu beitragen, dass Afrikanerinnen und Afrikaner selbstbewusst auf ihre Geschichte blicken und ihre Zukunft selbstbestimmt gestalten. In Afrika, betonte Diop zu Recht, gab es ähnliche hochentwickelte Zivilisationen wie nördlich des Mittelmeers mit effektiven Verwaltungsstrukturen, raffinierten Technologien und starken Machtapparaten, zum Beispiel Aksum wie auch in Benin, Ghana, Simbabwe und vor allem in Ägypten. Es gäbe demnach keinen Grund, die Geschichte Afrikas lediglich als eine Geschichte von einzelnen isolierten »Stämmen« zu betrachten und damit die kulturelle Einheit des Kontinents komplett zu ignorieren. Diop setzte sich für einen neuen Panafrikanismus ein. Dazu gehöre auch, die afrikanischen Sprachen als anderen Sprachen ebenbürtig zu behandeln. Er regte Lehrpläne an, deren Inhalte schon in Kindergärten und Grundschulen koloniale Sichtweisen und Strukturen sowie die Kommunikation ausschließlich in den angeblich einzig modernen Erfordernissen entsprechenden Sprachen der Kolonialmächte überwinden sollten. Als Beweis dafür, dass afrikanische Sprachen hochkomplexe Sachverhalte wiedergeben können, übersetzte Diop Auszüge aus Albert Einsteins Relativitätstheorie in seine Muttersprache Wolof.

Interessant an Diops Schriften ist das Fehlen eines abstrakten Begriffs von Freiheit. Freiheit war für ihn konkret, beinhaltete den aktiven Aspekt der politischen Befreiung. Dieses Herangehen und seine Überlegungen und Vorschläge zur sozialen Struktur afrikanischer Gesellschaften und der ökonomischen Entwicklung brachten ihm den Ruf eines Marxisten ein. Bereits 1954 schrieb er im Vorwort zur Erstausgabe seines Hauptwerkes zu seinem methodischen Vorgehen sinngemäß, dass er sich keine Fragen zu wünschenswerten Antworten ausgedacht hätte. Um Analyse und nicht um Bekenntnisse ginge es ihm also. Diop selbst meinte: »Wer den Marxismus als Leitfaden für sein Handeln auf afrikanischem Terrain nutzt, wird im Wesentlichen zu den gleichen Schlussfolgerungen kommen.«

Ein noch weitgehend unbekanntes Feld der wissenschaftlichen Arbeit Diops sind seine Überlegungen zur afrikanischen Philosophie. Gerade hier werden allerdings auch seine theoretischen Schwächen sichtbar. Denn welcher Wahrheitsgewinn sollte sich ergeben, wenn philosophische Aussagen an Hautfarbe oder kollektive ethnische Merkmale gekoppelt werden? Andererseits ergibt sich durch den von Diop gegen Rassismus und Eurozentrismus propagierten Perspektivenwechsel ein erkenntnistheoretisch widerspenstiger Ansatz, der abgeschlossene Systeme ablehnt. Er kritisierte nicht nur entsprechende, aus Europa überlieferte, übernommende Theorien, sondern sah auch eigene, früher vertretene Thesen durchaus selbstkritisch. Für die Würdigung und kritische Auseinandersetzung der wissenschaftlichen Leistungen Cheikh Anta Diops gilt, was der Philosoph und ehemalige Kulturminister Benins Paulin Hountondji allgemein über afrikanische Philosophie schrieb: »Wir brauchen kein geschlossenes System, an dem wir alle kleben und das wir der restlichen Welt exhibitionistisch darstellen können. Nein, wir wollen den ruhelosen Zweifel, eine ungebremste Dialektik, die ab und an Systeme hervorbringt und diese schließlich dem Horizont neuer Wahrheiten empfiehlt.«

Cheikh Anta Diops Erbe mahnt, dem Wiederaufleben »abendländischer« Arroganz Einhalt zu gebieten. Den Parolen von einer »wertebasierten Weltordnung«, die für alle Staaten und Regionen der Welt als alleiniger Maßstab gelten soll, nicht zu widersprechen, liefe auf eine Verarmung intellektueller Debatten über die Zukunft in einer multipolaren Welt hinaus.

2016 hat das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar zu einer Konferenz mit mehr als 150 Teilnehmern geladen, die sich mit den wirtschaftspolitischen Auffassungen Diops befasste. Ein Referent war der Senegalese Felwine Sarr, zu jener Zeit Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Université Gaston-Berger in Saint Louis, heute vor allem als Autor des gemeinsam mit Bénédicte Savoy verfassten Berichts über die Restitution afrikanischer Kulturgüter bekannt. Beispiel einer kollegialen Zusammenarbeit auf Augenhöhe, wie es sich Diop gewünscht hatte.

Zum 100. Geburtstag Diops betonten Vertreter des von ihm gegründeten RND als dessen Vermächtnis, dass sich alle senegalesischen und anderen afrikanischen Patrioten und Demokraten im Kampf um wahre politische, wirtschaftliche und kulturelle Befreiung des Landes und des Kontinents vereinen sollten.

Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann, Philosoph und Afrikawissenschaftler; geb. 1952; Vorsitzender des Kuratoriums der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg.

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