Die Herrschaft des Akkus

Über den Zusammenhang von kabelloser Technik, permanenter Ressourcenverwaltung und den »leeren Akkus« der Menschen

Chronische Erschöpfung wird meist damit beschrieben, dass »der Akku alle« sei. Was sagt es, dass wir über uns in Begriffen technischer Leistung sprechen?
Chronische Erschöpfung wird meist damit beschrieben, dass »der Akku alle« sei. Was sagt es, dass wir über uns in Begriffen technischer Leistung sprechen?

Im Jahr 1999 brachte der Film »Matrix« eine paranoide Konsum- und Entfremdungskritik der postpolitischen 90er Jahre auf den Punkt: Die Menschen seien in einer gigantischen technischen Simulation gefangen, die ihnen ein freies Leben vorgaukelt, während sie eigentlich als lebende Batterien jener riesigen Maschine gefangen sind. Mit dem Millennium hielt das Unbehagen angesichts der digitalen Revolution Einzug in das öffentliche Bewusstsein; Virtualität und technische Machbarkeit wurden zur Projektionsfläche aller möglichen Entfremdungsängste. Vom Klonschaf Dolly und der »Truman Show« bis zu heutigen Endzeitvisionen mit Künstlicher Intelligenz fürchtet man sich irrational vor dem Kontrollverlust über das eigene Leben.

Nun ist die Wirklichkeit aber nicht wie in »Matrix«. Die Smartphones, die die Menschen angeblich in Zombies verwandelt hätten, sind nicht einfach Vehikel technischer Unterdrückung und Verblendung, das Füttern der Algorithmen mit Daten noch kein Leben als menschliche Energiezelle. Diese Gedankenspiele sind Übertreibungen, sie verdeutlichen eine Tendenz, die wesentlich subtiler in unserem Leben zu finden ist: Technik und ihre Errungenschaften sind zugleich Ausdruck eines Herrschaftsverhältnisses der Menschen, das sie im Gebrauch der Technik prägt. Wir bräuchten schließlich keine Existenzangst vor der Technik zu haben, wenn unsere Existenz nicht auf eine spezifische Art technisiert wäre. Und diese Spezifik lässt sich gegenwärtig an einem Phänomen begreifen, das sich als Herrschaft des Akkus beschreiben lässt.

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Gespeicherte Intensität

Ein durchschnittlicher »smarter« Haushalt kommt mit Mobiltelefonen, Bluetooth-Kopfhörern und -Boxen, Smartwatch, Laptop, Digitalkamera, Staubsauger, Zahnbürste, E-Auto, Powerbanks auf ein ganzes Arsenal an Geräten, deren ständige Einsatzfähigkeit auf dem Prinzip Akku basiert. Der Akku hat dabei zwei strukturelle Bedeutungsebenen: als Idee und als gesellschaftliches Organisationsprinzip. Ideell ist er zunächst die Manifestation von Energie und damit eine Art universelle Möglichkeitsbedingung von Technik. An sich kann ein Akku gar nichts, er ist pures Potenzial, das beliebigen und damit nahezu allen Zwecken zugefügt werden kann.

Diese Potenz entspricht zugleich einer Art Wunschtraum und Identifikationsmoment der spätkapitalistischen Subjektivität, der vermeintlich grenzenlos alle Möglichkeiten offenstehen. Diese Subjekte gelten andersherum aber auch nur als voll verwirklicht, wenn sie zu all dem weiterhin in der Lage sind: beruflich und privat erfolgreich, Traumurlaube, Extremsportereignisse, Kulturerfahrungen und spirituelle Erweckungen, persönliches Wachstum und allerhand »Life Goals« auf der »Bucket List«, kein Mangel an nichts. Dafür hält man sich fit und gesund, will gut ausgerüstet sein, nicht weil es einen konkreten Anlass gibt, sondern weil es potenziell gebraucht werden könnte. Die Idee des Akkus ist gespeicherte Intensität.

Kein Wunder also, dass der Akku längst zum Sinnbild der Individualität selbst geworden ist: Die »Volkskrankheit« Burn-out-Syndrom und chronische Erschöpfung in der Leistungsgesellschaft wird meist damit beschrieben, dass »der Akku alle« sei, und entsprechend angeraten, wie man wieder »auftankt« und die Batterie auflädt. Dass wir seelische Verfassung und persönliches Funktionieren in Berufs- und Alltagsrollen als technische Leistung messen, ist nicht bloß eine Metapher. Denn mittlerweile haben die digitale Revolution und ihre Flut der Gadgets eine reale strukturierende Wirkung auf das Leben der Menschen.

Emanzipation vom Kabel

Der Akku ist also zugleich materielles Prinzip einer gesellschaftlichen Umstrukturierung. Damit jedes technische Gerät in modernen Haushalten noch einmal als akkubetriebene Neuerung verkauft werden kann, wird die halbe Erdkugel nach den nötigen Ressourcen und seltenen Erden für die Batterien umgegraben. Der ökonomische Innovationszyklus setzt eine ungeheure extraktivistische Akkumulation in Gang.

Natürlich muss der Produktion eine Entsprechung in der Konsumptionssphäre folgen, und sie ist daher an ein möglichst universelles Verkaufsargument geknüpft, das kulturindustriell verbreitet wird: das Versprechen auf ein größeres Maß an freiheitlicher Verwirklichung.

Auch dafür ist der Akku ein Sinnbild, in dem dieser Zusammenhang nicht einmal explizit ausgesprochen werden muss. Denn die Befreiung steckt im Detail der Kabellosigkeit. Von der Internetverbindung, die mit der Emanzipation des Computers vom Festrechner genauso kabellos werden musste, über die Kopfhörer und Lautsprecherboxen, die via Bluetooth-Kopplung ohne materielle Verbindung operieren: Kabellosigkeit ist Ungebundenheit – und damit wieder Ausdruck von Potenzial, der uneingeschränkten Möglichkeit.

Ironischerweise ist die Emanzipation vom Stromkabel nahtlos in den Terror des Ladegeräts übergegangen. Die Energiekapazitäten der unzähligen Geräte müssen ständig überwacht und einer sorgfältigen Verwaltung von Energiereserven unterzogen werden. Alles frei Bewegliche und Einsetzbare hat eine Station, an die es zurückkehren muss, eine Vernetzung, die über ein permanentes Management hergestellt werden muss.

Um das Potenzial sicherzustellen – das Smartphone abends am Bett laden, am besten die Kopfhörer und Smartwatch gleich noch mit, bis alle Steckdosen belegt sind und ein Gerät doch immer die gefürchtete rot blinkende LED anzeigt –, muss ein Aufwand betrieben werden, der gewissermaßen künstlich ist. Und dieses Prinzip des allgegenwärtigen Ressourcenmanagements ist ein Abbild unseres Lebens, bei dem es weniger um spontane Erfahrung als um das Potenzial zu allem Möglichen geht. Die Verwaltung der Einsatzbereitschaft, ohne die nichts verfügbar sein kann, zehrt alle Energie zum Einsatz auf. Der entladene Akku als Symbol der ausgebrannten und erschöpften Seele ist eine selbst erfüllte Prophezeiung.

Optimieren und Funktionieren

Der Herrschaftsaspekt der Technik basiert daher eben nicht einfach auf Werbe- oder Propagandatricks, die über noch mehr Geräte und zu noch mehr Zeiten eingespielt werden. Kulturindustrie entfaltet ihre Wirkung auf die Menschen nicht unbedingt in den manipulativen Botschaften, die in Film und Rundfunk unendlich wiederholt werden. Die Kulturindustrie leistet, was sie soll, bereits in einer grundsätzlichen Strukturierung unseres Lebens: Sie gibt den Takt der Freizeit vor, die von der Arbeit geschieden wird, so wie die Produktion sich von der Konsumptionssphäre trennt.

Auch die akkubetriebene Gerätelandschaft hat eine solch untergründige Wirkung. Denn nicht zufällig passt jenes Ressourcenmanagement der permanenten Verfügbarkeit ganz augenfällig in eine Realität entgrenzter Arbeit und der Projektförmigkeit des Lebens selbst. So wie jeder Text und jedes Manuskript, jedes Kulturprodukt und Demokratieförderprojekt, jeder Verwaltungsakt und Büroprozess in einem schier endlosen Takt von Brainstorming bis Execution verläuft, jeder Abschlussbericht in die nächste Antragstellung übergeht, so finden sich auch die Menschen in einer andauernden Prozessplanung und Optimierung der kommenden Achievements.

Leistungsfähigkeit ist darin zum Selbstzweck geworden, unabhängig von den konkreten Zielen, die in ihrer warenförmigen Mannigfaltigkeit ohnehin ununterscheidbar gleichgemacht sind. Wichtiger als der Outcome ist das Funktionieren, das durch die ständige Ladeverwaltung auch an sich selbst trainiert wird. Resilienztrainings, Mindfulness und therapeutische Selbsthilferatgeber sind nichts anderes als Übungen zur Energieeffizienz. Anscheinend gibt es nichts Schlimmeres, als wenn der Akku leer ist. Unvorstellbar, dass es ein Leben nach dem Funktionieren gibt.

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