Das Recht auf öffentlichen Luxus

Die Vergesellschaftung der Daseinsvorsorge ist der Hebel, der aus vereinzelten Anstrengungen eine gemeinsame Sache macht

  • Eva von Redecker
  • Lesedauer: 8 Min.
Öffentlicher Luxus heißt auch: nicht für jeden, der es sich leisten kann, seinen Privatpool, sondern ein Schwimmbad für alle.
Öffentlicher Luxus heißt auch: nicht für jeden, der es sich leisten kann, seinen Privatpool, sondern ein Schwimmbad für alle.

Teilen setzt voraus, die exklusive Verfügung Weniger über die Lebensgrundlagen aller zu beenden. Das muss nicht auf einmal geschehen, schon die Öffentlichmachung von Luxus in einem einzigen Segment, dem Gesundheitssystem etwa, würde das Leben der Vielen viel besser machen. Medizinische Patente, Medikamente und Forschungsdaten dürfen kein massenhafter Privatbesitz von intransparenten Firmen mehr sein. Es darf keine Oberklassenversorgung geben, von der die restliche Bevölkerung ausgeschlossen ist. Und wenn man sich das erst Mal vor Augen geführt hat, dann spricht wenig dafür, das Prinzip der Vergesellschaftung nicht auch auf andere Bereiche auszudehnen – Ackerbau, Wohnraum, Kultur und Bildung.

Auch dann bliebe ein großer Teil des Privatbesitzes unangetastet. Niemand, wirklich niemand, will alte Zahnbürsten. Und selbst wenn jemand die Lieblingsjacke, Omas Küchenschrank oder das Moped will – keine Sorge: Kriegen sie nicht. Die Obergrenze für privaten Luxus greift erst in ganz anderen Höhen. Ein paar Leute – niemanden, den die meisten von uns auch nur kennen – trifft das. Ein Diskussionseinstieg könnte lauten: Keine*r soll 3000 Mal so viel haben, wie eigentlich notwendig wäre.

Eva von Redecker

Eva von Redecker, Jahrgang 1982, ist Philosophin und Autorin. Sie unterrichtete an der Humboldt-Universität Berlin und der New School in New York und beschäftigte sich mit sozialem Wandel, Eigentum und Herrschaft.
Der hier veröffentlichte Text ist eine leicht bearbeitete Passage aus ihrem Nachwort zu dem Buch »Öffentlicher Luxus«, herausgegeben von der Gruppe Communia und der BUND-Jugend und kürzlich erschienen im Karl-Dietz-Verlag Berlin (167 Seiten, 16 Euro).

Was hingegen durchaus alle konsumstarken Mittelstandsexistenzen trifft, ist, dass bestimmte Sachen einfach nicht mehr gekauft werden können. Auch jetzt werden mitunter gesundheitsschädliche Produkte verboten. Mit neuem Wissen um Zusammenhänge und Folgewirkungen werden zusätzliche Dinge unerhältlich. Pestizidverseuchtes Gemüse und Fleisch aus Massentierhaltung. Verbrennungsmotoren. Zweitwagen. Wegwerfartikel. Und womöglich wird es dann auch den wenigen Leuten, die sich so was leisten können, nicht mehr möglich sein, einen beheizten Swimmingpool im eigenen Garten anzulegen. Oh nein!! Aber was wird aus deren Freiheit? Worin genau besteht eigentlich der befürchtete Freiheitsverlust, wenn man statt ins eigene Schwimmbad ins öffentliche gehen kann? Warum soll sich die Freiheit nicht auch am geteilten Objekt erfahren lassen – zumal mit längeren Bahnen, Wasserrutsche und Rettungsschwimmerin?

Es ist nicht nur ein dreckiger Trick der Rechten, jede soziale oder ökologische Verbesserung als freiheitsfeindlich zu verschreien. Es ist auch ein Effekt dessen, dass der liberale Freiheitsbegriff einen Pakt mit dem Eigentum eingegangen ist. Das Eigentum birgt ein Versprechen der Gesellschaft, innerhalb seiner Grenzen auch in Zukunft ungestört schalten und walten zu können. Unsere gängige Vorstellung von Freiheit hat sich – genauso wie die der Sicherheit – diesem Versprechen nachgeordnet. Freiheit ist, dass ich ungestört machen kann, was ich will, und dass ich diese Ungestörtheit durchsetzen kann. Der Staat hilft dabei, alle anderen aus meinem Luxus auszuschließen. (Auch wenn es tatsächlich meist andersherum kommt: mich aus dem Luxus der anderen.) Dieses Versprechen – die individuelle, liberale Willkürfreiheit – galt aber nie unbegrenzt. Diese führt nur dann nicht augenblicklich in Despotie und Chaos, wenn gilt, dass die eigene Willkür mit der der anderen vereinbar bleibt, wie zum Beispiel Immanuel Kant es formulierte. Wenn meine Freiheitsausübung die der anderen beschneidet, dann muss ich sie beschränken.

Als in den frühneuzeitlichen Vertragstheorien, die noch immer unsere politische Theorie bestimmen, die Freiheit des Eigentums proklamiert wurde, herrschte eine Auffassung der Welt, die geradezu das Gegenteil unseres heutigen Wissens bildet. Die neuen Vordenker (nicht die Hexen, nicht die indigenen Völker) hielten die Erde für 6000 Jahre alt und für in weiten Teilen vollkommen unbewohnt. Außerdem dachten sie, dass intensive Landwirtschaft eine ungebrochene Fruchtbarkeitssteigerung zur Folge hätte. Von Verseuchung der Böden und Treibhauseffekt gab es nicht die geringste Ahnung.

Die Bereicherung der einen durch die Arbeit der anderen erschien ihnen natürlich und völlig unproblematisch (die Leibeigenen, die Vagabund*innen und die ersten Heim- und Fabrikarbeiter*innen wurden ebenfalls nicht gefragt). Wer nicht für andere arbeiten wolle, könne sich schließlich auf einem noch unberührten Stück Erde selbst zum Herren machen. Armut ist so gesehen ein moralisches Problem. Die Leute haben einfach keine Eigeninitiative.

Nichts davon hat den Test der Zeit bestanden. Was jemand mit seiner Scholle, Fabrik oder Kapitalanlage macht, kann nicht nur diese verwüsten, sondern auch dafür sorgen, dass die Scholle der anderen überschwemmt, die Arbeit der anderen wertlos und die Innenstadt überhitzt wird. Wir nutzen das Fünffache der uns zustehenden Erdkapazität. Dass das überhaupt geht, also mehr Erdereserven zu nutzen, als es gibt, liegt an der Auslagerung von Verbrauch und Verwüstung in die Zukunft. Das alte Versprechen auf Schutz des Eigentums ist in dieser Zukunft ultimativ heuchlerisch – jeder Besitz wird durch die Naturgewalts-Lotterie gehen, aus der sich nur die Aller-aller-Reichsten absetzen können.

Wer sich sein Dasein erarbeiten muss, bleibt jeder Sicherheit beraubt: Wenn das Geld nicht mehr reicht, ist gar nichts garantiert, und was einen umgibt, ist kein einladendes Neuland, sondern sind die Zäune und Sicherheitskräfte, die den Reichtum der anderen bewachen. Und doch schlagen wir uns immer weiter mit einem Eigentumsverständnis herum, das behauptet, privater Luxus würde niemandem etwas wegnehmen. Und mit einem Freiheitsverständnis, das sich einbildet, im (meist unerfüllten) Anspruch auf privaten Luxus die tiefste Menschheitssehnsucht erfüllen zu können.

Eine viel größere Freiheit wird durch die bestehenden Verhältnisse verstellt: die Freiheit, keine Angst mehr um das eigene Leben und um das der anderen haben zu müssen. Also auch keine Angst vor Neid, Rache und Raubzug. Diese Freiheit erwächst aus der Sicherheit, sich auf eine sorgende Gesellschaft verlassen zu können. Eine sorgende Gesellschaft tut sich zusammen, um Wohnen und Speisen und Bildung und Reisen für alle bereitzustellen. Und ja, wir müssen uns zusammentun und zusammen auch tun. Der Traum, durch Technik gänzlich von der Arbeit befreit zu werden, ist mit Einbruch des Anthropozäns endgültig ausgeträumt. Zur bereits schlecht automatisierbaren Sorgearbeit für Menschen tritt nun noch die für fragile Ökosysteme hinzu. Umso wichtiger ist aber, die Arbeit gerecht zu verteilen und richtig einzusetzen: zuerst für das Leben und zumeist so, dass sie in Form des Öffentlichen Luxus wirklich allen zugutekommt. Den Überlebenskampf können wir einander abnehmen, sodass jeder Einzelnen viel mehr Spielraum zur Lebensgestaltung zuwächst.

Die Neuvermessung der Welt, für die es sich zu kämpfen lohnt, bedeutet eine Einschränkung für manche und einen Umbruch der Routinen für viele. Ist es nicht womöglich bequemer zu warten, bis die Katastrophe da ist, bis man nur noch reagieren kann, bis man nicht mehr selbst die Wahl und Verantwortung hat? Zumindest aus dem Wissen um unsere Verantwortung kommen wir sowieso nicht mehr raus. Die Folgen der imperialistischen Lebensweise liegen klar auf der Hand. Unsere Emissionen drohen im 21. Jahrhundert die Länder zu zerstören, die sich im 20. Jahrhundert aus kolonialer Unterdrückung freikämpfen konnten. Der Klimawandel ruiniert auch in den wohlhabendsten Ländern Lebenserwartungen und Zukunftshoffnungen. Wenn wir einfach warten, bis von oben rationiert wird, wird das meiste auch genau dort landen: in den Taschen der Oberschicht. Und bloß zu rationieren, was da ist, vergibt die Chance, zielgerichtet Neues und Besseres zu schaffen. Dann wird Benzin rationiert, aber die Bahn immer noch nicht funktionieren.

Die größere Freiheit bestünde in jedem Fall darin, die Wahl zu behalten. So sehen es ja viele, die auch derzeit schon versuchen, durch ambitionierte Vorwegnahmen ein anderes Leben einzuüben. Man kann das als vergebene Liebesmüh betrachten oder als bloßen Lifestyle abtun. Aber dass Leute vegan und bio essen, Radfahren, Konsum verweigern, patriarchale Geschlechterrollen boykottieren, schon jetzt, wo die politische Macht fehlt, den kapitalistischen Status quo mit all seinen rassistischen und sexistischen Verstrebungen auszuhebeln – lässt das nicht hoffen?

Und bloß, weil ich »vegan« geschrieben habe, heißt das nicht, dass hier nur von urbanen Mittelschichten die Rede ist. Gerade in den Außenbezirken und in der Landbevölkerung, gerade in den nicht hipsterhaft durchästhetisierten Schichten gibt es ja neben dem »Statussymbol neue Sofagarnitur« auch den gegenläufigen Affekt, eben das Festhalten am Alten, das noch taugt, das Sammeln und Horten und Flicken und Reparieren, von dem viel zu lernen wäre. Heißt das nicht, dass vielerorts die private Genügsamkeit und das schönere Zusammenleben bereits gesucht werden? Ein Leben führen, dessen Sinn sich nicht im »Höher, schneller, weiter« verliert – soll man das Verzicht nennen? Eher geht es doch darum, »ausgrenzendem Eigentum und gewaltvollem Besitz« aktiv zu widerstehen, wie die BUND-Jugend sagt.

Damit dieser Widerstand öko-sozial wirksam wird, damit er sich zu wirklichem Wandel auswächst, bedarf er eines öffentlichen Gegenstücks. Die Vergesellschaftung der Daseinsvorsorge ist der Hebel, der aus vereinzelten Anstrengungen eine gemeinsame Sache macht. Und auch diesen Hebel müssen wir uns aus lauter ersten und weiteren Schritten zusammenmontieren. Es gibt bereits jetzt mögliche Maßnahmen: Share Deals in der Landwirtschaft können verboten werden (bei denen Großkonzerne unter Umgehung des Vorkaufsrechts für Landwirt*innen Boden aufkaufen). In einzelnen Bundesländern und Stadtstaaten können kommunale Träger für Pflegeeinrichtungen geschaffen werden und private stärker kontrolliert werden. Und gerade wo Standortschließungen drohen, können ausgehend von Vorschlägen der Belegschaft neue, öffentlich mitfinanzierte Prioritäten in der Produktion durchgesetzt werden. Durch solche Schritte beginnt sich abzuzeichnen, was möglich wäre: das gute Leben für alle.

Die ökologische Krise aktiv anzugehen verspräche, die verschiedenen Einzelansprüche auf Freiheit überhaupt erst vereinbar zu machen. Es verspräche aber auch eine größere Freiheit. Denn ist das nicht der ultimative Luxus, dass dieser wunderschöne, feuchte, diversitätsstrotzende Planet nicht abstirbt? Dass wir weiterhin aus Werken und Wissen unzähliger vorheriger Generationen schöpfen können? Dass wir als Protagonist*innen der Geschichte die Zukunft und unsere Wirtschaft planen können? Es wäre die Freiheit hierzubleiben, mit all den anderen Menschen und all den anderen Arten. Unsere Aufgabe ist groß und revolutionär: für wirkliche Fülle zu sorgen.

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