Saft mit bitterem Beigeschmack

Orangen werden in Brasilien oftmals unter unmenschlichen Bedingungen angebaut

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Laut Verband der deutschen Fruchtsaftindustrie konsumiert jeder und jede Deutsche jährlich im Schnitt rund 7,1 Liter Orangensaft. Damit ist es der beliebteste Fruchtsaft in Deutschland. Und europaweit sind die Deutschen die Rekordkonsumenten dieses Produktes, das als Direktsaft und als Konzentrat in die Supermärkte kommt.

Das Gros des Konzentrats beziehen die großen Marken wie Granini, Hohes C oder Valensina aus Brasilien. Die Stiftung Warentest hat nicht nur Geschmack und Qualität der Säfte, die hierzulande von Supermärkten und Discountern angeboten werden, unter die Lupe genommen, sondern auch die Produktionsbedingungen. Das geschah in Bahia – fünftgrößter Bundesstaat Brasiliens und eine der landesweit wichtigsten Anbauregionen für Saftorangen. Das riesige lateinamerikanische Land gilt als Nummer eins im Milliardengeschäft mit dem Getränk und liefert mehr als die Hälfte des Weltmarktangebotes.

Dabei wird meist nicht das fertige Getränk exportiert, sondern das eingedampfte Konzentrat. So werden beim Export per Tankschiff Kosten gespart, um den Saft in den Supermärkten rund um den Globus kostengünstig zu vermarkten.

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Hierzulande wird das Konzentrat dann bei den großen Produzenten und Abfüllern mit natürlichen Aromen und Trinkwasser gemischt, sodass es für die hiesigen Verbraucher*innen wie frisch gepresst daherkommt. Beim Test der Stiftung Warentest fielen nur zwei der 26 untersuchten Säfte durch.

Besonders schlecht schnitten die meisten Produkte jedoch mit Blick auf die Arbeitsbedingungen ab – vor allem auf den Plantagen in zentralen Anbauregionen. In Río Real etwa, im Bundesstaat Bahia, lebt jeder und jede Zweite direkt oder indirekt vom Handel mit den saftigen Früchten. Die werden dort auf einer Gesamtfläche von rund 21 000 Hektar angebaut.

Nur ein Bruchteil der per Hand erfolgenden Ernte entfällt auf genossenschaftlich organisierte Betriebe. Die beiden Saftfabriken Maratá und Topfruit sind dabei die Hauptabnehmer geworden, an die auch Kleinbäuerinnen und Kleinbauern liefern müssen. Für sie bleibt der Aufbau einer eigenen Saftfabrik deshalb oft nicht mehr als ein ferner Traum.

An diesen glauben aber Genossenschaften wie Coopealnor, die unter anderem das Fair-Trade-Handelshaus Gepa in Wuppertal beliefert. Die Kooperativen werden dabei von der Gewerkschaft der Landarbeiter und Kleinbauern (Contar) zumindest moralisch unterstützt, berichtet der Arbeitsrechtsanwalt Carlos Eduardo Chaves Silva. »Genossenschaften wie Coopealnor stellen zwar Personal während der Ernte an, aber meist nur für wenige Tage. Dabei zahlen sie anders als die Zwischenhändler und großen Zulieferer der Fruchtkonzerne fair«, erzählt der Jurist.

Das bestätigen auch die Experten im Arbeitsministerium von Salvador da Bahia. So sagt etwa Staatsanwalt Luis Carlos Gomes Carneiro Filho: »Es gibt immer wieder Arbeitsrechtsverstöße. Das geht bis zur Versklavung von Arbeiterinnen und Arbeitern im Orangensektor von São Paulo und Bahia. Seit 2020 wurden rund 120 Orangenpflücker*innen aus sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen befreit.« Er weist anlässlich einer von der Christlichen Initiative Romero (CIR) organisierten Visite im Februar 2023 aber darauf hin, dass dem Ministerium aufgrund von Etatkürzungen unter der rechten Regierung von Jair Bolsonaro immer noch die Inspektor*innen fehlen.

Das kritisiert auch Leo Sakamoto, Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Réporter Brasil aus São Paulo. Die NGO untersucht die sklavenähnlichen Arbeitsverhältnisse sowie systematische Verletzungen grundlegender Arbeits- und indigener Rechte in Brasilien und ist Partner von CIR. Deren Referentin Sandra Dusch versucht in Europa die großen Supermarktketten für diese Hintergründe zu sensibilisieren und weist auf die extreme Marktmacht der führenden Saftkonzerne Cutrale, Citrosuco und der Louis Dreyfus Company hin. Die seien äußerst einflussreich und im politischen Establishment Brasilias gut vernetzt.

Hilfe gegen den Machtmissbrauch der Konzerne erhofft sich Gewerkschaftsanwalt Chaves Silva aus Europa: »In Brasilien stellen wir uns neu auf, versuchen gemeinsam mit den staatlichen Institutionen bestehende Gesetze durchzusetzen, arbeiten enger mit den Arbeitsministerien zusammen. Aber auch Druck von außen ist nötig, um präventiv aktiv zu werden«, meint der Jurist. »Da hoffe ich auf das Lieferkettengesetz in Deutschland und das bald folgende europäische.«

Danach sind Unternehmen verpflichtet, Menschenrechte in globalen Lieferketten einzuhalten. Hierzu gehören auch der Schutz vor Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne und der Schutz der Umwelt. So könnten die Supermärkte, die vielfach über Eigenmarken verfügen, künftig stärker in die Pflicht genommen werden.

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